Mittwoch, Oktober 2

In Krisen wirkt der Franken wie ein Magnet. Ob dies die Frankenstärke erklärt, ist aber eine andere Frage.

Erstarkt der Franken in Zeiten der Krise, wird zur Begründung oft auf das Bild des «sicheren Hafens» zurückgegriffen. Der Gedanke: Bei Verunsicherung etwa aufgrund politischer oder wirtschaftlicher Spannungen tragen Anleger ihr Geld an einen Ort, der Stabilität verspricht. Ein solcher Ort ist der Frankenraum. Entsprechend steigt die Nachfrage nach Franken, entsprechend steigt dessen Wert.

Hohe Zuflüsse während Euro-Krise

Das Bild hat sich so stark in den Köpfen eingebrannt, dass es kaum noch hinterfragt wird. Doch allenfalls ist es ein Zerrbild, und die Sache ist komplizierter als angenommen. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse der UBS. Sie blickt auf die Zeit seit der globalen Finanzkrise von 2008. In diesen 15 Jahren flossen rund 340 Milliarden Franken in die Schweiz. Das sind mehr als 40 Prozent eines jährlichen Bruttoinlandprodukts (BIP).

Die grössten Zuflüsse fanden während des Höhepunkts der Euro-Krise statt, also zwischen 2011 und 2012. Weil damals auch der Franken einen starken Aufwertungsdruck erlebte, ist die Versuchung gross, die Aufwertung mit den Kapitalzuflüssen zu erklären. Doch die Ökonomen der UBS entdecken keinen gewichtigen Zusammenhang. Kapitalzuflüsse, so ihr Fazit, haben keinen entscheidenden Einfluss auf Wechselkurse.

So erklären die Nettozuflüsse in den Franken weniger als 5 Prozent der Bewegungen des Euro-Franken-Wechselkurses. Es handelt sich somit sicher nicht um den Haupttreiber. Selbst ein Zufluss von 1 Prozent des BIP würde den Franken nur um 0,06 Prozent aufwerten. Leicht stärker ist die Wirkung, wenn man allein die sehr volatilen Portfolioinvestitionen anschaut, nicht aber die deutlich stabileren Direktinvestitionen.

Beitrag zur Überbewertung

Während Kapitalzuflüsse den Franken gegenüber dem Euro nur minim stärken, kommt es gegenüber dem Dollar zu gar keiner Aufwertung. Es findet gar das Gegenteil statt: Fliesst also mehr Geld in den Franken, verliert dieser gegenüber dem Dollar an Wert. Als Erklärung für diesen überraschenden Befund verweist die UBS darauf, dass eben auch der Dollar als sicherer Hafen gelte. Es sei daher möglich, dass Kapitalzuflüsse in die Schweiz zeitgleich mit einer Dollar-Aufwertung erfolgten.

Wenngleich die Studie das Gewicht des «Safe Haven»-Arguments stark relativiert: Sie stellt die Argumentation nicht grundsätzlich infrage. So zeigt sich, dass eine Unter- oder Überbewertung des Frankens gegenüber dem Euro durchaus mit Kapitalzuflüssen erklärt werden kann. Weicht der Franken von der Kaufkraftparität – einem Indikator für den fairen Wert einer Währung – ab, hat dies durchaus mit Kapitalflüssen zu tun.

Zwar sind auch in diesen Fällen die Auswirkungen gering. Fliessen dem Frankenraum beispielsweise Gelder von 1 Prozent des BIP zu, weicht der Franken nur 0,15 Prozent vom fairen Wert ab. Da Kapitalzuflüsse aber in turbulenten Zeiten wie der Euro-Krise kurzzeitig erheblich sein können, geht auch die UBS davon aus, dass die Zuflüsse durchaus zur temporären Überbewertung des Frankens beitragen. Nur eben nicht gar so stark, wie oft angenommen.

Unterschätzte Inländer

Ohnehin gibt es einige Missverständnisse zur Idee des sicheren Hafens. Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass in stürmischen Zeiten primär ausländische Investoren ihr Geld in die Schweiz verschieben. Das mag so sein. Aber ebenso wichtig sind die in der Schweiz ansässigen Investoren. Diese kaufen seit der Finanzkrise 2008 nämlich deutlich weniger in Euro denominierte Wertpapiere – und besassen sie solche Papiere, haben sie diese bis vor wenigen Jahren in grossem Umfang verkauft.

Beide Trends sind inländischer Herkunft, führen aber ebenfalls zu einer steigenden Nachfrage nach Franken und zu latentem Aufwertungsdruck. Wenn es im Franken-Hafen daher zeitweise etwas eng wird, dann nicht allein aufgrund des Zustroms ausländischer Anlagen, sondern auch darum, weil die Inländer den Ort partout nicht mehr verlassen wollen.

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