Sonntag, September 29

Die Erwartungen an die wichtigste Firma der KI-Revolution sind extrem hoch. Enttäuschende Zahlen könnten ein Börsenbeben auslösen.

Der Börseneinbruch von Anfang August ist fast vergessen. Mit einer baldigen Rezession in den USA rechnet niemand mehr. Und der US-Notenbankchef Jerome Powell hat am letzten Freitag in Jackson Hole den Weg zu einer baldigen Zinssenkung geebnet. Die Grosswetterlage an den Börsen ist wieder heiter.

Doch eine für die Stimmung an den Märkten entscheidende Frage ist noch nicht geklärt: Geht die KI-Revolution weiter und, wenn ja, mit wie viel Elan? Die Antwort wird am Mittwoch nach US-Börsenschluss Nvidia liefern, die derzeit wichtigste Technologiefirma der Welt und Motor vieler Anwendungen der künstlichen Intelligenz.

Nvidia-Finanzergebnisse haben mittlerweile eine solche wirtschaftliche Bedeutung erlangt, dass die Nachrichtenagentur Bloomberg vom «wichtigsten Macro-Input» für die globalen Börsen spricht. Nvidia-Zahlen sollen also fast so wichtig sein wie ein Zinsentscheid des Fed.

Barometer der KI-Revolution

Denn für Investoren ist der Geschäftsgang des kalifornischen Chip-Anbieters das verlässlichste Barometer für Investitionen in KI. Nvidias Hochleistungs-Chips sind praktisch alternativlos, damit Tech-Firmen wie Microsoft, Amazon oder Google in ihren Datacentern die enorm rechenintensiven KI-Anwendungen laufen lassen können.

Deshalb sind die Tech-Giganten die grössten Kunden von Nvidia. Und derzeit investieren sie Dutzende Milliarden in den Aufbau ihrer KI-Infrastrukturen. Somit verhelfen sie Nvidia Quartal für Quartal zu Rekordzahlen. Die Aktie gehört zu den erfolgreichsten der letzten Jahre.

Die Titel haben in den vergangenen fünf Jahren um 2900 Prozent an Wert zugelegt, allein in den letzten zwölf Monaten um 170 Prozent. Nvidia verfügt mittlerweile über eine Marktkapitalisierung von 3,2 Billionen Dollar und ist das zweitwertvollste Unternehmen der Welt hinter Apple.

Mit Nvidia haben die Anleger bisher viel Geld verdient. Denn das kalifornische Unternehmen hat in den vergangenen fünf Jahren die Erwartungen des Marktes in jedem Quartal übertroffen. Und obwohl viele davon ausgehen, dass die Investitionen in KI etwas an Schwung verloren haben, sind die Erwartungen immer noch sehr hoch. Im zweiten Quartal erwarten Analysten einen Umsatz von 28,9 Milliarden Dollar und einen Gewinn von 15,9 Milliarden. Im Vergleich zur Vorjahresperiode entspricht das einer Umsatzverdoppelung.

«Alles sollte perfekt sein»

Bei Nvidia genügt es nicht, die erwarteten Finanzzahlen zu erreichen, normalerweise werden sie übertroffen. «Nvidia kann sich bei den aktuellen Bewertungen keine Fehltritte leisten. Alles, von den Zahlen bis zur Prognose, sollte perfekt sein, damit das Rally weitergeht», schreibt die Swissquote-Analystin Ipek Ozkardeskaya in einer Einschätzung.

Analysten von Bank of America, Deutsche Bank oder UBS gehen dennoch davon aus, dass Nvidia abermals die Erwartungen übertreffen und wieder für mehr Elan in dem erlahmten KI-Boom sorgen wird. Von 74 Analysten, die sich mit Nvidia beschäftigen, empfehlen 66 den Titel zum Kauf. Seit dem Börseneinbruch von Anfang August haben die Aktien um 30 Prozent zugelegt. Auf das Niveau des Allzeithochs vom 18. Juni haben sie es aber nicht zurückgeschafft.

Dass die Nvidia-Aktien in den Handelstagen vor der Publikation der Quartalszahlen zulegen, ist ein bekanntes Muster. Investoren decken sich zuvor mit Aktien ein, um vom kräftigen Kursschub zu profitieren, der bisher auf die Präsentation der Zahlen folgte. Die Optionsmärkte gehen von Kursschwankungen von bis zu 10 Prozent aus.

Nvidia bewegt die Weltbörsen

Angesichts des hohen Börsengewichts von Nvidia sind das Kursschwankungen, die amerikanische Referenz-Indizes wie den Nasdaq oder den S&P 500 bewegen. Die Bewegungen der US-Börsen strahlen wiederum auf ausländische Indizes aus.

Sofern die Zahlen Zeugnis dafür ablegen, dass der KI-Boom schwungvoll weitergeht, könnte das Erholungs-Rally nach dem August-Einbruch weitergehen und Nvidia den Börsen zusätzlichen Schub verleihen. Sollte Nvidia enttäuschen, könnte es nicht nur bei den Tech-Werten, sondern allgemein zu neuen Verwerfungen an den Märkten kommen.

Die Entwicklung im wichtigen «Data Center»-Geschäft von Nvidia wird besonders aufmerksam verfolgt. Über diesen Geschäftszweig beliefert Nvidia die Tech-Riesen mit KI-fähigen Chips. Der Umsatz der Sparte hatte sich im Vorquartal im Jahresvergleich verfünffacht. Aber auch der Ausblick, der Hinweise auf das künftig zu erwartende Wachstum liefert, wird von den Anlegern seziert werden.

Ist KI noch ein Selbstläufer?

Doch in der erfolgsverwöhnten Nvidia-Welt läuft nicht mehr alles so rund wie früher. Zwar hat sich der Aktienkurs vom jüngsten Rückschlag erholt, doch dafür muss sich der Nvidia-Chef Jensen Huang derzeit mit operativen Alltagsproblemen herumschlagen. So verzögert sich die Markteinführung der neuesten Chip-Modelle der Blackwell-Reihe wegen Schwierigkeiten beim taiwanischen Hersteller TSMC. Nvidia entwickelt zwar die Halbleiter, lässt sie aber von externen Anbietern, sogenannten Foundries, produzieren.

Die Auslieferung der neuen Blackwell-Chips ist nun für den Herbst vorgesehen. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Verzögerung negativ auf die Quartalszahlen ausgewirkt hat. Aber Huangs Aussagen an der letzten Bilanzkonferenz im Mai gaben Anlass zur Sorge. Er sagte, dass die neue Chip-Reihe dieses Jahr «eine Menge» an Einnahmen beisteuern werde. Allerdings dürften die Umsätze mit den neuen Chips der Hopper-Reihe volumenmässig viel stärker ins Gewicht fallen.

Hinweise auf eine strukturelle Abschwächung der Nachfrage nach KI-fähigen Chips gibt es jedenfalls keine. Hyperscaler wie Amazon Web Services, Google oder Microsoft, die Dritten Rechenleistung verkaufen, investieren weiterhin Milliarden in den Ausbau ihrer Datacenter. Google hat die Ausgaben für KI-Technik im Juli sogar um weitere 13 Milliarden Dollar erhöht. Hyperscaler machen rund 40 Prozent der Einnahmen von Nvidia aus. Solange sie weiterhin so viel Geld für KI ausgeben und nicht auf alternative Anbieter ausweichen können, profitiert Nvidia.

Einige Marktbeobachter befremden die enormen Ausgaben der Tech-Giganten zwar immer mehr. Kein Hyperscaler hat es bisher geschafft, genügend Geld mit KI zu verdienen. Trotzdem verfolgen sie weiter die Devise: Lieber zu viel als zu wenig Geld in KI investieren. Die «Revolution» will man auf keinen Fall verpassen.

Ob diese tatsächlich kommt, ist für Nvidia kurzfristig zweitrangig. Solange die Tech-Riesen weiter Milliarden investieren, wachsen auch Nvidias Umsätze. Insofern könnte dem Chip-Entwickler durchaus ein weiteres Spitzenquartal bevorstehen und dieses die Börsen zu neuen Höhen antreiben.

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