Donnerstag, Oktober 10


Stilkritik

Der britische Premierminister wird statt für politische Entscheide gerade für die Wahl eines trendigen Sneakers kritisiert. Und das von Menschen, die den Schuh eigentlich mögen.

Es gibt bei jedem Modetrend diese eine Person, deren Teilnahme daran auch dessen langsamen Tod bedeutet. Vielleicht ist es die uncoolste Person an der Schule oder der Chef bei der Arbeit. Vielleicht ist es aber auch der britische Premierminister Rishi Sunak.

Als der immer sorgfältig gekleidete, politisch konservative Sunak in einem gefilmten Interview vergangene Woche ein Paar weiss-graue Sneaker trug, richtete sich die öffentliche Aufmerksamkeit statt auf seine Worte über seine Steuerpolitik vor allem auf seine Füsse. Das geschieht eben, wenn man dunkle Hosen und helle Schuhe anzieht – das Auge wandert wie magisch nach unten. Und dort entdeckte es statt die üblichen Lackschuhe oder Prada-Loafer etwas für manche Menschen wahrhaft Erschreckendes: drei dunkelblaue Streifen, eine flache Sohle, lange Bändel und damit zweifellos: den Sneaker Samba von Adidas.

Den Samba, den man in gewissen Zürcher Quartieren gefühlt mehrmals pro Tag zu Trenchcoat, Cap und To-go-Kaffee kombiniert sieht? Den Samba, den die «Vogue» vor knapp einem halben Jahr zum «shoe of the moment» kürte? Den Samba, der auf Tiktok zurzeit stolz in jeder erdenklichen Farbe ausgeführt wird? Genau der.

Ausziehen und nie wieder tragen

Rishi Sunak galt sogleich als Sensenmann des Sambas. «Ich fürchte, Sie müssen sie sofort ausziehen und nie wieder tragen», riet der «Observer» Trägerinnen und Trägern der Schuhe. «Dazed» schlug acht alternative Sneaker vor, «nun, da Rishi die Sambas gekillt hat». Scheinbar verzweifelt titelte «GQ»: «Kann Rishi Sunak den Adidas Samba bitte in Ruhe lassen?» Andere hielten dagegen, der Schuh sei längst ein Symbol für bürgerlichen, sicheren Geschmack geworden. Sunak als neues Aushängeschild bestätige das nur.

Vor allem zeigt die Schuhwahl des Premierministers aber, warum der Adidas Samba zu einer solchen Erfolgsgeschichte der letzten Jahre wurde: Er ist einfach tragbar, aber sofort erkennbar, sieht ein bisschen retro aus und zugleich zeitgeistig. Man demonstriert durch das Tragen seine Zugehörigkeit, aber lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster. Und das alles für 140 Franken.

«Ich bin einer von euch», scheint Sunak, der zusammen mit seiner Frau Akshata Murty ein Vermögen von einer halben Milliarde Pfund besitzen soll, in diesem wichtigen Wahljahr mit seinen Schuhen sagen zu wollen. Das scheitert nur schon daran, dass seine Sambas aussehen, als hätte er sie direkt vor dem Interview auf dem Teppichboden der 10 Downing Street zum allerersten Mal übergestreift.

Auf leisen Sohlen

Sunak ist nicht der erste zeitgenössische Politiker, der sich auf leisen Sneaker-Sohlen in die Herzen einer Nation zu trippeln gedenkt. Die amerikanische Vizepräsidentin Kamala Harris etwa trug auf ihrem «Vogue»-Cover für Februar 2021 Converse-Sneaker und löste damit Kritik aus: Sie sehe für eine Politikerin ihres Formats zu lässig aus. Das Bild solle ihre «authentische, zugängliche Art» demonstrieren, erklärte das Modemagazin die Wahl. Harris selbst sagte nichts dazu.

Erst Anfang Jahr lancierte Donald Trump, ehemaliger US-Präsident und abermals der republikanische Kandidat im Rennen, einen eigenen Sneaker. Mit seinem goldenen Glanz und dem Design in Anlehnung an die amerikanische Flagge ist der Schuh purer Kitsch. Und vermutlich eine Möglichkeit, den Wahlkampf des angeschlagenen Unternehmers zu finanzieren. Mit der zurzeit auf tausend Stück limitierten Auflage scheint sein Potenzial aber als gering eingeschätzt zu werden.

Eine Entschuldigung bei der «Samba-Community»

In all diesen Fällen scheinen die Sneaker den Tragenden abgesehen von ein paar Schlagzeilen weder geholfen noch geschadet zu haben. Denn soviel man auch über den modischen Auftritt von Politikerinnen und Politikern spricht, gemessen werden sie zum grössten Teil (und zum Glück) trotzdem an ihren politischen Entscheidungen.

Was sich hingegen verändert, ist die Wahrnehmung des einzelnen Kleidungsstücks. Wer trug während der Trump-Jahre schon ein knallrotes Cap, ohne zweimal darüber nachzudenken? Vielleicht hat der Adidas Samba nach der Sunak-Billigung nun also eine neue, konservativere Zielgruppe gefunden.

Rishi Sunak fühlte sich acht Tage nach dem Interview dazu genötigt, sich in einem Radio-Interview «bei der Samba-Community» für seine Schuhwahl zu entschuldigen. Seine Entschuldigung war dieselbe, die fast jede Person nennt, wenn sie bezichtigt wird, einem Trend zu folgen: Er trage den Schuh schon jahrelang. Natürlich.

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