Beim 2:0 gegen Dänemark tun sich die Deutschen lange schwer. Für den Ärger seines dänischen Kollegen über die Schiedsrichter-Entscheidungen hat sogar der deutsche Trainer Nagelsmann Verständnis.

Manchmal, wenn es besonders arg kommt, haben sogar siegreiche Fussballtrainer Verständnis für die Klagen des Unterlegenen. So erging es nach dem Achtelfinal der deutschen Fussballnationalmannschaft gegen Dänemark Julian Nagelsmann, der keine Mühe hatte, sich in die Rolle seines dänischen Kollegen Kasper Hjulmand hineinzuversetzen.

Das hatte gute Gründe: Binnen weniger Augenblicke profitierten die Deutschen gleich zweimal vom Videoassistenten. Das erste Mal, als Thomas Delaney einen Treffer erzielte, der einwandfrei aussah, aber wegen einer Abseitsposition Andersens aufgehoben wurde. Dass es sich dabei um eine buchstäblich hauchdünne Entscheidung handelte, brachte Hjulmand regelrecht auf die Palme, er sprach von einem absurden Theater.

Havertz trifft per Strafstoss zur Führung

Nur wenige Augenblicke später war die Lage allerdings für ihn zum Verzweifeln: Demselben Andersen unterlief im eigenen Strafraum ein Handspiel, aus der Bewegung heraus, von Absicht würde niemand sprechen: «Ich würde mich auch beklagen», sagte Nagelsmann. «Aber die Regeln sind halt so.» Das Handspiel führte zum Elfmeter und zur deutschen Führung durch Kai Havertz.

Wer ketzerisch sein wollte, der hätte nach diesen beiden Entscheidungen auch sagen können: Der Videoassistent, offiziell VAR, ist insgeheim Deutscher. So knapp waren die beiden Szenen, so beckmesserisch ihre Auslegung in einem Spiel der K.-o.-Runde einer Europameisterschaft. Aber zweifellos korrekt, zumindest dann, wenn man es ganz genau wissen will. Nur ignoriert ein solcher Ansatz die Dynamik des Spiels, es ist sogar davon auszugehen, dass Nagelsmann sich nicht beklagt hätte, wenn der Videoassistent nicht eingegriffen hätte. Es wäre gar niemandem aufgefallen.

Daher konnten sich die Deutschen durchaus im Glück wähnen. Denn das Spiel gegen die Dänen war ein sonderbarer Auftritt, einer, der die gesamte Spannweite deutscher Eigenschaften bot, und zwar im Guten wie im Schlechten. Dazu kam noch eine Unterbrechung von 25 Minuten, da in Teilen Nordrhein-Westfalens ein Unwetter tobte. Wassermassen stürzten vom Stadiondach herunter, die unteren Ränge der Tribünen leerten sich.

Erinnerungen an einen legendären Auftritt während der Fussballweltmeisterschaft 1974 dürften den älteren Zuschauern in den Sinn gekommen sein, an die berühmte «Wasserschlacht von Frankfurt», als das deutsche Team sich mit 1:0 gegen die Polen durchsetzte. Ein Ergebnis, das heute viel unspektakulärer wirkt, als es das Spiel eigentlich war, denn die Deutschen standen damals am Rande des Ausscheidens und wurden von ihrem Torhüter Sepp Maier im Spiel gehalten.

Tatsächlich gab es die eine oder andere Parallele zu damals, so etwa einen Elfmeterpfiff für die Deutschen, nur vergaben sie damals den Strafstoss in Gestalt von Ulrich Hoeness. Und der Platz war im Grunde unbespielbar, womit die Polen wesentlich schlechter zurechtkamen als die Deutschen.

Analyse während der Spielunterbrechung

Diesmal lag es jedenfalls nicht an den Platzverhältnissen. Der kurze, intensive Regenguss dauerte nicht lange genug, um den Untergrund sumpfig werden zu lassen. Die Zwischenzeit in der Kabine nutzte Nagelsmann für eine schnelle Videoanalyse. Doch trotz didaktischen Massnahmen hatten die Deutschen lange ihre Mühe mit dem Gegner, der sich weitaus gefährlicher präsentierte als noch in der Vorrunde.

Unzufrieden wollte Nagelsmann dennoch nicht sein. Und er führte allerhand Gründe dafür an. Zum einen, dass seine Mannschaft in einem hohen Masse «Resilienz» gezeigt habe, und das auch nicht zum ersten Mal. Mit Widerständen umzugehen: Das ist tatsächlich die Eigenschaft eines Klasseteams, sich dann zurückzukämpfen, wenn die Ereignisse gegen einen laufen.

Schliesslich hatten die Deutschen ebenfalls schon früh Grund, Klage zu führen, nachdem ein Tor von Nico Schlotterbeck nach einem Eckball keine Anerkennung gefunden hatte. Foulspiel – so lautete die Begründung des Schiedsrichters, die bei kleinlicher Auslegung durchaus nachvollziehbar war.

In dieser Phase, in den ersten 20 Minuten, habe er den bislang besten Auftritt seiner Mannschaft bei der Europameisterschaft gesehen, sagte Nagelsmann, und man wollte ihm gar nicht widersprechen. Immer wieder hob der Trainer den Aspekt der mannschaftlichen Geschlossenheit hervor. «Wir haben Charaktere, die nicht die Minuten sammeln wie andere, aber den Laden extrem gut zusammenhalten», sagte der Coach, der grossen Wert darauf legt, das Kader bei Laune zu halten: Von den 26 Spielern sind 23 zum Einsatz gekommen, nur ein einziger Feldspieler ist noch ohne Spielminute.

Klärung auf kurzem Dienstweg

Daran, dass das Team füreinander einsteht, gibt es tatsächlich so gut wie keinen Zweifel, wie auch ein Detail vor der deutschen Führung verdeutlicht: Dänemarks Keeper Kasper Schmeichel provozierte den deutschen Captain Ilkay Gündogan vor der Ausführung. Der reichte den Ball an Kai Havertz weiter, der prompt vollstreckte.

Offiziell ist nicht bekannt, wer von den beiden als erster Schütze vorgesehen ist, gegen Schottland war Havertz angetreten, doch da war Gündogan zuvor gefoult worden. Eine solche Klärung, gewissermassen auf kurzem Dienstweg, spricht dafür, dass es in der Mannschaft intakt zugeht. Gündogan, der Captain, für gewöhnlich ein sehr sicherer Schütze, wollte womöglich im Augenblick einer eventuellen Unsicherheit nichts riskieren.

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