Montag, November 25

Luxusgüterkonzerne wie LVMH und Kering vermelden sinkende Umsätze, Logos trägt man weniger zur Schau. Haben wir genug von teuren Taschen, exklusiven Uhren und Kleidung, die Reichtum vermitteln? Der Luxus-Professor Fernando Fastoso gibt Antwort.

Fernando Fastoso, in den letzten Wochen haben die grossen Luxuskonzerne und -marken ihre Quartalszahlen veröffentlicht. Gut sieht das nicht aus. Bei LVMH sind die Umsätze im wichtigen Mode- und Lederwarenbereich um 6 Prozent gefallen im Vergleich zum Vorjahr, bei Kering konzernweit gar um 16 Prozent. Ich frage plump: Haben wir genug vom Luxus?

Das ist eine etwas extreme Schlussfolgerung aus der Situation. (Lacht.) Aber im Ernst: Ich glaube, es ist weniger so, dass den Menschen die Lust am Luxus vergangen ist. Eher handelt es sich bei den aktuellen Umsatzrückgängen um eine natürliche Fluktuation aufgrund von wirtschaftlichen Entwicklungen auf der Welt, insbesondere in China. Der Luxusmarkt ist in der Vergangenheit jedes Jahr um etwa 6 Prozent gewachsen. Dagegen sind seit der Pandemie, also in den letzten beiden Jahren, die Luxusumsätze gegenüber dem Vorjahr jeweils um etwa 12 Prozent gestiegen. Daher war die negative Entwicklung, die wir jetzt erleben, ein Stück weit zu erwarten.

Warum hat die Luxusindustrie so von der Pandemie profitiert?

Die Luxusmarken dieser Welt haben zwei Zielgruppen: die High Net Worth Individuals, also Menschen mit einem Vermögen von mindestens einer Million Dollar, und die Aspirational Middle Classes, also die aufstrebenden Mittelschichten, die sich zu besonderen Anlässen Luxus leisten. Letztere haben zwar weniger Mittel zur Verfügung, sie haben diese aber während der Pandemie nicht ausgeben können. Deswegen konnten sie in den letzten zwei Jahren das ausüben, was wir Revenge Spending nennen. Das ändert sich jetzt.

Zur Person:

Prof. Dr. Fernando Fastoso

Fernando Fastoso ist seit 2020 Professor für Brand-Management für Luxusmarken an der Hochschule Pforzheim und somit der erste Luxus-Professor Deutschlands. Seine Expertise liegt im länderübergreifenden Luxusmarketing und darin, wie Konsumentinnen und Konsumenten darauf reagieren. (Bild: Axel Grehl)

Sie haben vorhin China erwähnt.

Das Vertrauen der Konsumenten in China ist zurzeit besonders niedrig, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht, und das betrifft vor allem die aufstrebenden Mittelschichten. Sie sorgen sich um ihre Zukunft und halten sich deswegen zurück bei nicht notwendigen Ausgaben wie die des Luxus. Das ist ein Problem für die globale Luxusindustrie, da sie knapp einen Drittel aller Umsätze in China erwirtschaftet.

Seit 2019 sind die durchschnittlichen Preise im Luxussegment laut HSBC um 50 Prozent gestiegen. Eine klassische Handtasche einer grossen Luxusmarke erhält man unter 5000 Franken eigentlich nicht mehr, oft bezahlt man das Doppelte. Warum?

Marken versuchen, den Mythos des Luxus aufrechtzuerhalten. Und dieser Mythos hat hauptsächlich mit Exklusivität zu tun. Diese wird aufgebaut durch eine aussergewöhnliche Qualität bei Produkten, die besonders selektiv vertrieben werden und die zu Preisen angeboten werden, die in keinem positiven Verhältnis zur Funktionalität der Produkte stehen. In Zeiten, wo die wirtschaftliche Lage angespannter wird, möchte man diese Exklusivitätswahrnehmung erhöhen. Das geht mit höheren Preisen einher. Und führt dazu, dass die Mittelschichten sich weniger Luxus leisten können. Dagegen sind die High Net Worth Individuals krisenresistenter, und Studien zeigen, dass ihre finanzielle Lage sich seit der Pandemie sogar verbessert hat.

Funktioniert das? Sind diese sehr vermögenden Kundinnen und Kunden für die Marken so viel wichtiger als die Mittelschicht, die sich ab und an etwas leistet und nun zunehmend Frustration ausdrückt?

Das ist von Marke zu Marke unterschiedlich. Verlässliche Zahlen für die Industrie insgesamt sind mir nicht bekannt. Studien beziffern aber diese High Net Worth Individuals weltweit auf über sechzig Millionen. Das ist eine Käuferschicht von erheblicher Grösse.

Manche werfen den Luxusmarken vor, sie seien mit ihren Produkten und Ideen bequem geworden durch den Post-Corona-Boom.

Diesen Eindruck habe ich nicht. Ich glaube, man kann als Luxusmarke nicht statisch bleiben. Wie bei Gucci: Das maximalistische Design des Kreativdirektors Alessandro Michele war aussergewöhnlich und erfolgreich, bis es sich etabliert hat. Dann musste es abgelöst werden von einem Gegentrend, was man nun in den ruhigeren und zeitloseren Designs von Sabato De Sarno sieht. Die neue Designsprache bei Gucci muss sich aber am Markt erst noch beweisen.

Wird sich das Interesse immer mehr wegbewegen von sehr grossen, sehr bekannten Marken in Richtung von kleineren Luxuslabels wie The Row?

So pauschal würde ich das nicht sagen. Allerdings: Beim Luxus geht es um Distinktion. Also um das Anderssein und darum, das «richtige» Andere zu erkennen. Deshalb gibt es in gewissen Käufergruppen das Bestreben, sich mit leisem, abgekehrtem Luxus zu umgeben, der Stil und Raffinesse kommunizieren soll. Es geht also nicht darum, Produkte zu besitzen, die aussagen: «Ich kann es mir finanziell leisten», sondern solche, die zum Ausdruck bringen: «Ich habe auch noch den Geschmack, der mir hilft, das Besondere unter dem Teuren zu erkennen.»

Nun sieht aber selbst bei Zara alles nach Quiet Luxury aus.

Sogar bei Shein findet man Produkte unter diesem Suchbegriff. Aber weder Zara noch Shein verkaufen Luxus. So oder so wird momentan viel über den leisen Luxus geschrieben und geredet. Ich habe aber bisher keine Zahlen gesehen, die belegen würden, dass der leise Luxus jetzt populärer ist als der laute Luxus, obwohl er auf jeden Fall populärer ist als zuvor. Wenn ich mir die grossen Luxusmarken im Modebereich anschaue, sehe ich Produkte, die öfter laut als leise sind. Das ist wenig verwunderlich, denn die Mittelschichtskonsumenten, die sich zu einem besonderen Anlass Luxus leisten können, wollen das auch weiterhin klar nach aussen kommunizieren.

Die Idee, dass man Fan ist von einer Luxusmarke, ist einigermassen absurd – die meisten sind heute globale Firmen mit ständig wechselnden Kreativdirektoren, Ideen und Ästhetiken. Warum sind das so viele, vor allem junge Menschen?

Das hat meiner Meinung nach mit der Natur von Luxusprodukten zu tun. Sie emotionalisieren, polarisieren und symbolisieren sehr stark, nach aussen sowie nach innen. In der Konsumentenforschung spricht man von einem Extended Self: dass Besitz Teil unserer Identität wird und wir damit gut kommunizieren können, wofür wir stehen oder stehen wollen. Das ist das eine.

Und das andere?

Das andere sind die sozialen Netzwerke. Junge Menschen verbringen weite Teile ihrer Tage dort. Durch die sogenannte Algorithmic Augmentation, also die algorithmische Vergrösserung, erlebt man dort öfter als in der wirklichen Welt Luxusmarken. Und wenn ich mich auf sozialen Plattformen einmal für Luxus interessiere, dann werde ich fortan mit Luxusinhalten bombardiert. Das wiederum verzerrt meine Wahrnehmung dessen, wie verfügbar Luxus ist. Seine gefühlte Allgegenwärtigkeit macht ihn erstens begehrlich und zweitens erreichbar.

Davon profitieren auch ältere Marken wie Goyard, die man online gar nicht kaufen kann.

Goyard finde ich sehr spannend. Da kehrt eine Marke dem E-Commerce den Rücken, verzichtet dadurch auf Umsätze, gewinnt aber an Authentizität. Ohne Bling, ohne Werbung, nur über Mundpropaganda. Das ist so etwas wie ein Ursprungsgedanke des Luxus: ein Handwerkskünstler, der in einer kleinen Boutique kleine Kunstwerke erschafft. Es ist ein schönes Beispiel dieser neuen Art der Exklusivität, die hermuss, um die Mainstream gewordene Exklusivität der grossen Luxusmarken abzulösen.

Auf Tiktok hatte man eine Zeitlang trotzdem das Gefühl, dass jede zweite Person eine Goyard-Tasche besitzt.

Genau, das ist das Problem! (Lacht.) Dabei ist das wohl eher nicht der Fall.

Führt diese Bombardierung mit der Zeit nicht zu einer Desillusionierung?

Es gibt viele Menschen, die sich genau aus dem Grund gegen Luxus entscheiden. Ich glaube aber, die Faszination wird lange anhalten, weil wir Menschen von Natur aus ein Statusbedürfnis haben. Man möchte sich besonders fühlen. Und wir – die Durchschnittsmenschen, die Luxuskonsumenten – haben den Eindruck, dass Luxusprodukte etwas repräsentieren, das einen Beitrag zum Wohlbefinden leisten könne.

Aber können sie das tatsächlich?

Tatsächlich belegen Studien, dass Luxus seinen Nutzern Prestige in den Augen von Aussenstehenden verleiht. Das rührt daher, dass wir annehmen, dass ein Luxusnutzer den hohen Preis des Luxus durch eigenes Talent oder Zutun sich hat leisten können.

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