Freitag, Oktober 11


Stilkritik

Von allen roten Teppichen, die jedes Jahr ausgerollt werden, ist jener der Grammy-Verleihung der unterhaltsamste: Denn gute Musik setzt nicht immer guten Geschmack voraus.

Taylor Swift: Hier stimmt nicht einmal die Zeit am Uhrenhalsband

Mit dem trägerlosen Kleid von Schiaparelli, das Taylor Swift anlässlich der 66. Grammy Awards trug, konnte man eigentlich nicht viel falsch machen. Es ist klassisch elegant und zeugt von klarer Schlichtheit, selbst mit dem oberschenkelhohen Schlitz. Das Styling-Team von Taylor Swift hat aber volle Arbeit geleistet: Zu gefühlten fünf Tonnen Diamant-Halsketten bekam die Sängerin zusätzlich ein schwarzes Uhrenhalsband von Lorraine Schwartz umgelegt. Damit sie zwischendurch im Toilettenspiegel die Zeit prüfen kann?

Eher nicht. Swifts Uhrenhalsband soll Mitternacht angezeigt haben und eine Anspielung auf «Midnights» sein, Swifts Studioalbum aus dem Jahr 2022, das bei den Grammys sowohl für das beste Pop-Gesangsalbum als auch für das beste Album des Jahres nominiert wurde. Ohne bewusste Vermarktungsstrategien läuft bei Swift eben nichts mehr.

Ed Sheeran: schlechte Zeiten für Camouflage

Obwohl Hose und Jacke aufeinander abgestimmt waren – karierte Basis und darüber geschichteter, abstrakter Camouflage-Print –, sah der Look des Sängers einfach nur chaotisch aus. Fragen werfen auch die Outdoor-Schuhe mit den Leuchtelementen auf. Will sich der britische Singer/Songwriter nun tarnen oder nicht?

Kommt hinzu, dass vom Militär inspirierte Looks, erst recht auf dem roten Teppich, derzeit nicht gerade ihre Hochzeit erleben.

Lana Del Rey: Trauert sie (erneut) um ihren Grammy?

Obwohl die «Summertime Sadness»-Sängerin bei den diesjährigen Awards für fünf Auszeichnungen nominiert war und damit während ihrer Karriere schon insgesamt 11 Nominierungen bekommen hat, wurde Lana Del Rey bis heute noch nie mit einem Grammy ausgezeichnet. Der Grund für dieses Trauerkleid?

Die Meisterin der melancholischen Musik hat aus modischer Sicht etwas Besseres verdient als dieses schlecht sitzende, schwarze Kleid, das niemals gleichzeitig mit diesen mädchenhaften Accessoires hätte kombiniert werden sollen – Haarschleife, Handschuhe mit Schleifen und Schuhe mit Schleifen – das ist zu viel gewollt.

Will.I.Am: Dank der Helm-Sonnenbrille immerhin ein kühler Kopf

Mit Sonnenbrille, die in einen Helm übergeht, vermittelt US-Rapper Will.i.am eigentlich nur gute Botschaften: Die Sonne ist bekanntlich erbarmungslos, da schützt man sich lieber einmal zu viel vor ihr. Schliesslich kann UV-Strahlung auch durch Fensterscheiben Schaden anrichten. Vielleicht sogar auf dem roten Teppich vor der Crypto.com-Arena in der Innenstadt von Los Angeles. Mit seiner Sonnenbrille behält er auch im grössten Blitzlichtgewitter einen kühlen Kopf. Das Problem ist nur: Sie sieht einfach doof aus. Da hilft auch der schnittige Sakko nichts.

Doja Cat: Echte und Fake Tattoos

Bibliothekarin trifft Tattoostudiobesitzerin trifft Burlesquetänzerin trifft Madonna vor 30 Jahren trifft Heavy-Metal-Fan: Für die amerikanische Rapperin Doja Cat ist mehr augenscheinlich mehr, ausser es geht um Stoff. Wer wissen möchte, wer ihr das Kleid auf den Leib geschneidert hat: Doja Cat trägt den Namen der Schöpferin als Fake Tattoo auf der Stirn. Die britische Designerin Dilara Findikoglu ist bekannt für ihre von Lingerie inspirierten Stücke.

Chrissy Teigen: Vielen Dank für die Blumen?

Während Sänger John Legend in einer durchaus überzeugenden Mischung aus Smoking und Schluppenbluse auftrat, überraschte Model Chrissy Teigen als umgedrehte Vase mit übergrossen Stoffblüten. Der Look von Sophie Couture wirkte wie ein unfertiges Modeschulprojekt, das sich an den fiesen Cocktailkleidern der 1980er Jahren orientiert; aber immerhin brachte er gute Laune.

Ice Spice: nuller Jahre

Sofort hat man Mitleid mit den armen Häschen oder Füchsen, die für dieses Outfit ihr Leben lassen mussten. Rapperin Ice Spice, bekannt für das Lied «Barbie World» aus dem Soundtrack zum Film, erschien in einem Denim-Zweiteiler, dessen Jackenfutter auf ihre Haarfarbe abgestimmt war; oder andersherum. Auch sie trug, so wie Rap-Kollegin Doj Cat, ein übergrosses Kreuz um den Hals.

Das wie ihr Name eindeutig am Stil der 2000er Jahre orientierte Outfit stammt vom Label Baby Phat, das damals zu den Lieblingen der Hip-Hop-Szene gehörte und erst letztes Jahr sein Revival feierte. Immerhin: Durchaus überzeugend ist die Red-Carpet-taugliche Schleppe.

Miley Cyrus: Haare verweht

Miley Cyrus’ Kleid – kann man das überhaupt noch Kleid nennen? – bestand im Wesentlichen aus einem goldenen Netz und einer goldenen Quaste im Schritt. Obwohl die Kreation von Maison Margiela von der Machart her aufwendig scheint, wirkt das Gehänge eher wie ein Kleopatra-Kostüm. Aber nun, es ist Miley Cyrus. Wenn so etwas jemanden auf dem roten Teppich gut aussehen lassen kann, dann sie. Fragwürdig ist jedoch ihre voluminöse, gen Himmel gestapelte Frisur, die ausschaut wie nach einem Unfall mit dem Hochdruck-Staubsauger.

Calvin Harris zeigt Tapetenliebe

Ton in Ton ist im Trend. Wenn aber auch Haare und Bart mitschwingen, wird das Ganze dann doch etwas eintönig. Ein weiteres Problem an der Kleiderwahl von Calvin Harris: Der Brocki-Chic à la Gucci hat seit dem dortigen Designerwechsel ausgedient. Zugutehalten kann man dem DJ aus Schottland, dass er bereit ist, die eingetretenen Smoking- oder Anzug-in-Schwarz-Pfade für Herren auf dem roten Teppich zu verlassen.

Ellie Goulding: eher abschreckend denn anziehend

Gegen die Unterwäsche von Ellie Goulding, bestehend aus einem hochwertigen Bustier-Body und halterlosen Strümpfen aus schwarzer Spitze von Zuhair Murad Couture, ist nichts einzuwenden. Auch nicht gegen den Lingerie-Look, den die britisch-albanische Designerin Nensi Dojaka vor zwei Jahren mit ihrem gleichnamigen Label zur Kult-Abendmode erhoben hat.

Doch der Look der britischen Singer/Songwriterin – Krähenfedern auf einem transparenten alten Gardinenvorhang – macht unweigerlich den Eindruck, als käme er aus einer sonderbaren, von Morticia Addams inspirierten Ecke im Spektrum von Fetisch-Persönlichkeiten.

Folake Olowofoyeku: Grace Jones als Vorbild

Es ist glasklar, an wen der Look der nigerianischen Sängerin Folake Olowofoyeku eine Hommage sein soll: Musikerin und Stilikone Grace Jones. Kann man machen. Leider wollte Olowofoyeku auch noch ihre persönliche Note mit ins Outfit bringen und kombinierte ihre modische Referenz mit dem aktuellen Trend zum Ugly Chic in Form einer schlecht geschnittenen Latzhose ohne Latz.

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