Stefan Mey fragt, ob man sich Big Tech widersetzen könne. So wie es etwa Wikipedia, Firefox oder Linux tun. Sein neues Buch «Der Kampf um das Internet» ist allerdings nicht allzu optimistisch.
In der Frühzeit des Internets bezeichnete der amerikanische Politikwissenschafter Ithiel de Sola Pool die neuen Kommunikationsmittel als «Technologie der Freiheit». Das ist lange her, und heute mag man sich über den Optimismus wundern.
Der IT-Journalist Stefan Mey dokumentiert in seinem neuen Buch «Der Kampf um das Internet», wie der Traum einer Welt der freien Kommunikation und Information verflogen ist. An seine Stelle trat ein Marktplatz, auf dem es fast nichts mehr gibt, wofür man nicht bezahlen muss. Mit Geld, mit Daten und indem man unerbetene Werbung bekommt. Mit gründlicher Sachkenntnis beschreibt Mey, wie sich die digitale Macht bei wenigen amerikanischen Unternehmen konzentriert, die sich «in das Leben beliebiger Einzelpersonen und Gruppen hineinzoomen».
Kann man sich widersetzen? Die Frage stellt sich umso dringlicher, als es fast nicht mehr möglich ist, sich dem digitalen Leben zu entziehen. Meys Antwort ist ein verhaltenes Ja. Er skizziert eine «digitale Gegenwelt»: Einzelpersonen, Gruppen, Stiftungen, gemeinnützige Organisationen, Vereine, staatliche Stellen und Unternehmen, die Projekte für die Entwicklung nichtkommerzieller digitaler Werkzeuge betreiben und unterstützen.
Kampf gegen Big Tech
Wie werden freie Betriebssysteme und Plattformen ermöglicht? «Frei» bedeutet ja nicht nur frei von Gebühren, sondern auch ohne Bezahlung über private Daten. Und wer das will, dem bläst der Wind ins Gesicht. Denn Big Tech tut alles, um es zu verhindern. Mey erinnert auch daran, wie der amerikanische Geheimdienst NSA den grössten Überwachungsapparat aufgebaut hat, den es je gab – und dessen «wichtigste Augen und Ohren die grossen IT-Konzerne sind».
Stefan Mey schildert anschaulich, wie sich die Akteure der digitalen Gegenwelt organisieren, um Gemeingut zu schaffen. Ehrenamtliche Arbeit spielt dabei eine zentrale Rolle. Wie und wo sie geleistet wird, zeigen historische, finanzielle und organisatorische Porträts einer Reihe unterschiedlicher Initiativen, deren Begründer und Betreiber sich diesen Idealen verschrieben haben.
Das Vorzeigeprojekt ist die allein über Spenden finanzierte Enzyklopädie Wikipedia, die Mey als Demokratisierung der Wissenschaft bezeichnet. Weitere Projekte sind etwa der Kurznachrichtendienst Mastodon, das offene Betriebssystem Linux, die nichtkommerzielle Suchmaschine Firefox und der Browser Tor, der seine Benutzer gegen Tracking, Überwachung und Zensur schützen will (was allerdings auch Kriminellen in die Hände spielt, die das Tageslicht scheuen).
Der Autor stellt die Stärken und Schwächen solcher Projekte vor. Er legt dar, wo sie den Idealen eines nichtkommerziellen, herrschaftsfreien digitalen Raums gerecht werden – und er vergisst auch nicht, die Zugangsdaten zu notieren.
Überwältigende Macht der IT-Konzerne
Die Initiativen der digitalen Gegenwelt sind bewundernswert. Aber werden sie Erfolg haben? «Eine andere digitale Welt ist möglich.» Mit diesem Satz beginnt Meys Buch. Wer es gelesen hat, kann dem theoretisch zustimmen, hat aber auch gelernt, dass dafür spezielle Kenntnisse nötig sind.
Deutlich macht die Lektüre überdies die überwältigende Macht der amerikanischen IT-Konzerne, die mit ihren Betriebssystemen, Suchmaschinen, Browsern, sozialen Netzwerken und sonstigen Diensten Einblicke in das Leben von Milliarden von Menschen haben.
Staatliche Massnahmen wie etwa EU-Gesetze über digitale Dienste hat Mey nicht im Blick. Ebenso wenig juristische Initiativen, die gegen Profitgier und die Verletzung der Privatsphäre zu Felde ziehen. Die Möglichkeit, aus dem World Wide Web eine sichere, staatlich kontrollierte Infrastruktur zu machen, zieht er nicht in Betracht.
Dennoch bietet das Buch interessante Einblicke in Inseln des Gemeinguts im digitalen Raum und zeigt auf, wie man die Abhängigkeit von den IT-Monopolisten zumindest teilweise umgehen kann. Die Akteure von Meys digitaler Gegenwelt konzentrieren sich auf zivilgesellschaftliche technische Projekte. Zu einer echten Herausforderung für die amerikanischen Marktführer dürften sie indes kaum werden. Wenn man Nutzerzahlen, Finanzkraft, Umsatz und Verfügungsgewalt über die Technik betrachtet, fällt es jedenfalls schwer, daran zu glauben.
Stefan Mey: Der Kampf um das Internet. Wie Wikipedia, Mastodon und Co. die Tech-Giganten herausfordern. C.-H.-Beck-Verlag, München 2023. 236 S., Fr. 29.90.