Die Schriftstellerin Lana Lux skizziert in ihrem neuen Roman die Anatomie einer Beziehung, die auf gegenseitiger Abhängigkeit beruht.
Kurz vor Ende fällt das Schlüsselwort, das man beim Lesen ohnehin im Hinterkopf hatte. Es ist das Wort, das seit ein paar Jahren die deutschsprachige Literatur beherrscht, sobald es darum geht, verzweifelte (Liebes-)Beziehungen zu beschreiben. «Das ist wirklich toxisch», sagt Faina, eine Mittzwanzigerin, die die cholerischen Anfälle und jähen Stimmungsschwankungen ihres etwa gleichaltrigen Lebensgefährten Philipp nicht mehr erträgt.
Toxische Partnerschaften gehören mittlerweile zum festen Inventar der Literatur, festgehalten häufig aus der Sicht von Frauen, die nicht mehr bereit sind, Erniedrigungen hinzunehmen, und sich aus Abhängigkeiten freimachen wollen. Doch zum Toxischen gehört oft die Neigung, in alte Muster zurückzufallen, männlichen Peinigern vorschnell zu verzeihen und sich in einer fatalen Spirale zu verheddern. Terézia Mora hat darüber jüngst einen eindringlichen Roman geschrieben, «Muna oder Die Hälfte des Lebens».
Freundschaft ohne Sex
Philipp und Faina, die Protagonisten in Lana Lux’ Roman «Geordnete Verhältnisse», könnten als Modell toxischer Beziehungen dienen. Sie kamen 1996 in einer Grundschule im Ruhrgebiet zusammen. Der damals zehnjährige Philipp nähert sich einer neuen Schülerin an, Faina, die aus der Ukraine stammt. Zwischen den beiden Aussenseitern stellt sich bald Einverständnis her; «beste Freunde» wollen sie werden.
Ihre Freundschaft hält, wie ein Zeitsprung zeigt, ein gutes Dutzend Jahre, bis sie 2009 abrupt endet, als Philipp Fainas kranken Hund ohne ihr Wissen einschläfern lässt – eine Tat, die Faina nicht verzeihen will. Was genau diese Beziehung ausmachte, lässt sich schwer sagen. War es Freundschaft oder doch Liebe? Das bleibt offen; sicher ist nur, dass Philipp an Sex kein Interesse hat – ein Faktum, das seine Umgebung in Zweifel stürzt: «Wer keinen Sex hat, hat auch keine richtige Beziehung. Solange man aber gegenseitig an den Geschlechtsteilen herumfuhrwerkt, braucht es weder Gemeinsamkeiten noch Loyalität, weder Liebe noch Treue, damit es eine richtige Beziehung ist.»
Während Philipp daran festhält, selbst als er die Barbekanntschaft Romina bei sich einziehen lässt, lebt Faina nach der Trennung ihre (Bi-)Sexualität aus, mit ihrer Freundin Charly zum Beispiel. Als sie nach einem One-Night-Stand mit einem Paar schwanger wird, nimmt das Verhängnis seinen Lauf – zumal Fainas akademische Ambitionen sich nicht erfüllen und sie in finanzielle Nöte gerät. Rettung sucht sie bei Philipp, der zu Geld gekommen ist, ein elegantes Loft bewohnt und ihr zu gern seine helfende Hand reicht.
Lana Lux erzählt dieses Auf und Ab einer ungewöhnlichen Freundschaft in Rückblenden, die offenlegen, wie die beiden ungleichen Partner sich im Lauf der Zeit verändert haben. Vor allem Philipp zeigt nach und nach sein wahres Gesicht. Obwohl er sich generös gibt, sich von Romina trennt und Fainas Kind scheinbar bedingungslos bei sich aufnimmt, enthüllt sich zusehends seine Lust, Faina zu dominieren, zu kontrollieren und, als sie sich mit einer Freundin zusammentut, perfide auszuspionieren.
Sein Verhalten zwingt Faina in eine Mutterrolle, die sie alsbald überfordert. Offene Feindseligkeit tut sich auf; Philipp scheut nicht davor zurück, seine Freundin zu schlagen, die wiederum zusammenbricht und in der Psychiatrie landet. «Bipolare Störung» lautet die Diagnose. Zwangsläufig steuert der Roman auf eine Katastrophe zu.
Der Bösewicht steht fest
Wenngleich Lana Lux nicht allein aus Fainas Sicht erzählt und versucht, auch Philipps Beweggründe zu beleuchten, wird sein Part im Lauf des Erzählten immer schwächer. Philipp verwandelt sich zur Inkarnation des Bösen und schreckt nicht davor zurück, sich als Opfer darzustellen. Faina betreibe in seinen Augen das «Feminismusspiel», bei dem Männer immer verlören, nur weil sie Männer seien. Ja, selbst Fainas ukrainische Herkunft verleitet ihn zu Hasstiraden auf Flüchtlinge, die Deutschland einen «feuchten Dreck» kümmere.
Gewiss, in diesen Passagen macht Lana Lux aus ihrem Antihelden eine Hassfigur. Das ist bedauerlich, da sie grosse erzählerische Stärken zeigt, wenn sie ihre Figuren unkommentiert agieren lässt und sie auf diese Weise entlarvt. Dann entstehen vielschichtige, groteske Szenen – etwa wenn Faina und Philipp in ihrem maroden Berliner Häuschen eine absurde Einweihungsparty geben oder in einer der Rückblenden an eine nicht minder bizarre, tragisch endende Weihnachtsfeier erinnert wird, die Philipp und seine Mutter bei Fainas Familie verbringen.
Lana Lux’ «Geordnete Verhältnisse» (die natürlich – der Zaunpfahl winkt – alles andere als geordnet sind) ist ein Buch, das einerseits beeindruckend vom Toxischen erzählt und anderseits manche kompositorische Schwäche aufweist. Auch sprachlich hätte man dem Text mehr Wagemut gewünscht. Sätze wie «In den dreizehn Jahren hatte unsere Beziehung mehrere Krisen erlebt» oder «Ein Tag reihte sich an einen scheinbar identischen Vortag» brillieren nicht eben.
Lana Lux: Geordnete Verhältnisse. Roman. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2024. 287 S., Fr. 33.90.