Donnerstag, November 7

Bei Donald Trumps Wahlsieg 2016 war Europa völlig überrumpelt. Nun ist man besser vorbereitet und gibt sich vordergründig optimistisch. Ist das gerechtfertigt?

Es besteht kein Zweifel daran: In Brüssel, wo die EU und die Nato ihren Hauptsitz haben, hätte man sich einen anderen Ausgang der amerikanischen Wahlen gewünscht. Doch nun ist es so, Donald J. Trump zieht erneut ins Weisse Haus ein – und Europa wird damit kutschieren müssen. Was also bedeutet seine zweite Amtszeit, die disruptiver als die erste zu werden droht, fürs transatlantische Verhältnis? Sind Europas Sicherheit und Zusammenhalt in Gefahr?

Von amtlicher Seite wird vorderhand beschwichtigt, fast im Minutentakt trafen am Mittwochmorgen die offiziellen – und obligatorischen – Glückwünsche ein. Der Nato-Generalsekretär Mark Rutte schrieb auf X, dass Trumps Leadership zentral sei, um die Stärke der Allianz zu bewahren. Die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen sagte, dass sie sich auf eine «starke transatlantische Beziehung» freue. Und der EU-Rats-Präsident Charles Michel erinnerte daran, dass die USA und die EU eine «historische Bindung» hätten und man freudig «der Fortsetzung der konstruktiven Zusammenarbeit» entgegenschaue.

Die diplomatischen Gepflogenheiten täuschen allerdings darüber hinweg, dass die Unruhe in Brüssel gross ist. Man ist zwar nicht mehr komplett überrumpelt, wie bei Trumps erstem Sieg im November 2016, sondern hat sich in Szenarien auf einen erneuten Triumph des 78-Jährigen vorbereitet. Zudem war unabhängig vom Ausgang der amerikanischen Wahlen klar, dass das Verhältnis zwischen den USA und Europa auf eine neue Basis gestellt würde. Auch unter Kamala Harris hätte sich der amerikanische Blick in Richtung Pazifik und des systemischen Rivalen China verschoben. Aber eine US-Regierung mit Kamala Harris an der Spitze wäre berechenbarer gewesen.

Wie «entfesselt» wird Trump sein?

Für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und den USA wird Trumps Präsidentschaft mit ziemlicher Sicherheit eine Herausforderung. Verschiedentlich hat er während seiner ersten Amtszeit unter Beweis gestellt, dass er vor Zöllen und anderen Handelshemmnissen nicht zurückschreckt (welche die Regierung Biden teilweise weitergeführt hat). Auch in diesem Wahlkampf hatte er angekündigt, pauschale Zölle selbst gegenüber strategischen Partnern einzuführen.

Mehr noch als ökonomische Verwerfungen fürchtet man in Europa die sicherheitspolitischen Auswirkungen von «Trump unchained», wie ihn seine Gegner betiteln. Das Horrorszenario lautet, dass sich die USA aus der Nato zurückziehen könnten (dafür brauchte es neu allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Senat) oder ihren finanziellen und personellen Beitrag ans Militärbündnis zumindest stark reduzierten.

Solche Befürchtungen stützen sich auf zahlreiche Verlautbarungen Trumps – mehr als auf Taten, was für den sprunghaften Republikaner nicht unüblich ist. So sagte er einst etwa, die Nato sei «obsolet». Seinem früheren Sicherheitsberater John Bolton vertraute er an, dass er «einen Dreck auf die Nato» ausüben werde. In Brüssel bleibt besonders in Erinnerung, dass er laut dem damaligen Kommissar Thierry Breton die EU-Spitze 2020 darüber informiert haben soll, dass die USA «niemals zu Hilfe eilen» würden, sollte Europa angegriffen werden.

Der «Trump-Flüsterer» ist dankbar

Bei der Nato ist man nun aber bemüht, die Gefahr eines amerikanischen (Teil-)Rückzugs als unrealistisches Schreckgespenst darzustellen. Rutte, der sich einen Ruf als «Trump-Flüsterer» erarbeitet hat, betonte schon bei seiner Amtseinführung Anfang Oktober, dass Trump die Bedeutung der transatlantischen Beziehung auch für die ureigene Sicherheit Amerikas erkenne. Seine Kritik habe immer darauf hingezielt, dass die europäischen Partner ihre Verteidigungsausgaben, die lange Jahre und teilweise noch immer unter dem vereinbarten Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts lagen, in die Höhe schraubten. Das sei Trump (und seinem Nachfolger) gelungen, und dafür müsse man ihm dankbar sein, so Rutte.

Seither wiederholte der Niederländer die Beschwichtigungen verschiedentlich. Selbst in Bezug auf den Ukraine-Krieg, den Trump bekanntlich innerhalb von 24 Stunden beenden will, gibt sich Rutte gelassen. «Wie ich weiss, ist er absolut einverstanden mit uns, dass es beim Kampf in der Ukraine auch um die amerikanische Sicherheit geht», sagte er Mitte Oktober.

Kurz: Im Nato-Hauptquartier herrsche an diesem Mittwoch keinerlei Panik, erzählt ein Diplomat, der dort ein und aus geht. Obwohl die USA das mit Abstand wichtigste Mitglied des Militärbündnisses seien, sei ihnen gerade auch angesichts der Bedrohungen im Pazifikraum bewusst, dass sie mit den europäischen Partnern stärker seien als ohne. Eine Eventualplanung für allfällige Verwerfungen bei einem Trump-Wahlsieg habe man jedenfalls nicht erstellt, so der Diplomat.

«Drill, baby, drill»

Anders in der EU-Zentrale. Seit dem Ende von Trumps erster Amtszeit habe man mit einer Rückkehr von ihm oder «einem ähnlichen Politiker» gerechnet, sagt eine gut informierte Person. Anders als in der ersten Amtszeit kenne man den Mann nun und habe sich entsprechend vorbereitet. So habe man die Prozesse derart angepasst, dass man bei wichtigen Entscheidungen nicht mehr zwingend über den Atlantik schielen müsse.

Ein Beispiel dafür ist der «strategische Kompass», den die EU 2022 verabschiedet hat. Er soll ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärken und beim Ausbruch einer Krise ein rasches Handeln ermöglichen – wenn möglich mit Partnern, notfalls aber auch alleine. So steht nunmehr eine sogenannte «Schnelleingreifkapazität» von bis zu 5000 Einsatzkräften bereit. Neben einer verstärkten Zusammenarbeit mit der Nato sollen auch bilaterale Partnerschaften mit gleichgesinnten Ländern entwickelt werden.

Gross ist innerhalb der EU auch die Befürchtung, dass sich Trump 2.0 negativ auf die Klimapolitik auswirken wird. Bereits im Sommer hatte er angekündigt («drill, baby, drill»), die Öl- und Gasförderung weiter zu forcieren. Auch könnten sich die USA erneut aus dem Pariser Klimaabkommen zurückziehen. Statt einer Beschleunigung des grünen Umbaus, wie vom europäischen Staatenbund gefordert, droht eine Verlangsamung.

Orban freut sich am meisten

In der EU will man die Hoffnung allerdings noch nicht aufgeben. Am Mittwochmittag sagte ein Kommissionssprecher, dass der Klimaschutz im Rahmen der gemeinsamen Sicherheitspolitik betrachtet werden müsse. Beide Partner hätten ein eminentes Interesse am Kampf gegen den Klimawandel, wie dessen «verheerende Auswirkungen» gerade in den vergangenen Wochen in den USA wie in Europa gezeigt hätten, so der Sprecher. Zudem helfe der grüne Umbau der Wirtschaft, Jobs zu schaffen. Wie gerechtfertigt die optimistischen Worte tatsächlich sind, zeigt sich womöglich schon bei der Weltklimakonferenz, die kommende Woche in Baku startet.

Am 20. Januar wird die neue amerikanische Regierung ihr Amt antreten. Kommissionschefin von der Leyen dürfte in den kommenden Wochen mit Donald Trump telefonieren, zudem werden die Diplomaten in regelmässigem Austausch stehen. Ein hochrangiges Treffen zwischen der EU-Spitze und dem neuen Präsidenten sei vor dessen Einsetzung aber nicht geplant und würde auch nicht den diplomatischen Gepflogenheiten entsprechen, sagt ein EU-Beamter. Die neue Kommission ist zudem noch nicht einmal konstituiert, sie beginnt die Arbeit frühestens am 1. Dezember.

Die Staats- und Regierungschefs Europas werden hingegen schon viel früher die Gelegenheit haben, sich über die Auswirkungen von Trumps Wahl für den alten Kontinent zu unterhalten. Ausgerechnet diesen Donnerstag und Freitag finden in Budapest zwei Gipfeltreffen statt. Der Gastgeber Viktor Orban, der mit der EU seit Jahren auf Kriegsfuss steht, dürfte dabei der zufriedenste aller Teilnehmer sein. Kaum stand das amerikanische Wahlresultat fest, schrieb er auf X, dass Trumps Triumph «ein dringend benötigter Sieg für die Welt» sei. In Brüssel ging am Mittwoch gar das Gerücht herum, dass Orban seinen amerikanischen Freund am Donnerstag per Video zuschalten könnte.

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