Mittwoch, Januar 15

Ein Bundeskanzler Kickl bedeutete eine Zäsur für die österreichische Aussenpolitik – und ein Problem für die EU.

Wird mit Herbert Kickl bald ein «Propaganda-Instrument des Kremls» Bundeskanzler? Würde Österreich bei einer Regierung mit der FPÖ zum «trojanischen Pferd» Putins? Diese Befürchtungen äussert nicht die linke Opposition im Land. Es sind Aussagen der konservativen ÖVP, bevor sie sich in einer spektakulären Kehrtwende vor einer Woche doch bereit erklärt hat, mit den Rechtspopulisten über eine Koalition zu verhandeln.

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Von deutschen Sicherheitspolitikern klingt es ähnlich. Die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit müsse überprüft werden, um zu verhindern, dass heikle Informationen nach Russland abflössen, erklärten mehrere Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste dem «Handelsblatt».

Das wäre die Bestätigung dessen, was der scheidende Bundeskanzler Karl Nehammer und die ÖVP monatelang behauptet hatten: Herbert Kickl ist ein Sicherheitsrisiko für Österreich. Ist diese Sorge berechtigt?

Der russische Spion in Österreichs Staatsschutz

Die Russland-Nähe der FPÖ ist seit Jahren bekannt. Nach der Invasion der Ukraine vor knapp drei Jahren kam kaum ein Bericht eines internationalen Mediums über das lange europäische Appeasement gegenüber Wladimir Putin ohne das Bild aus, das Österreichs Aussenministerin Karin Kneissl anlässlich ihrer Hochzeit 2018 beim Tanz mit dem Kremlherrn zeigt. Sie war von den Freiheitlichen für ihr Amt in der damaligen Regierung von Sebastian Kurz nominiert worden.

Kneissl lebt seit 2023 in Russland – als Flüchtling, wie sie selbst behauptet. Im letzten Sommer ernannte Putin sie zur Botschafterin zum Schutz des bedrohten Sibirischen Tigers. Sie spielt in Österreich politisch längst keine Rolle mehr, mittlerweile ist aber bekannt, dass es im Aussenministerium unter ihrer Führung Pläne gab, einen «Schattengeheimdienst» einzurichten. Eine führende Rolle sollte dort einem ehemaligen Verfassungsschützer zukommen, der mutmasslich Teil einer Zelle in Österreichs Staatsschutz war, die via den einstigen Wirecard-Manager Jan Marsalek jahrelang geheimes Material nach Moskau lieferte.

Die Zelle begann ihre Spionagetätigkeit vor der Regierungszeit der FPÖ (2017 bis 2019) und führte sie auch danach weiter. Sie soll aber auch die hoch kontroverse Razzia beim Verfassungsschutz ausgelöst haben, die 2018 auf Basis anonymer Vorwürfe unter dem damaligen Innenminister Kickl stattfand. Das später von der Justiz als rechtswidrig qualifizierte Vorgehen erschütterte das internationale Vertrauen in Österreichs Staatsschutz, der daraufhin vorübergehend vom internationalen Datenaustausch abgeschnitten wurde.

Die ÖVP meinte vor allem diesen Skandal, wenn sie Kickl als Sicherheitsrisiko bezeichnete. Die Russland-Verbindungen der FPÖ gehen allerdings weiter als diejenigen einer wohl eher aus persönlichen denn aus parteipolitischen Motiven agierenden Zelle beim Verfassungsschutz und einer verirrten Ex-Ministerin. Ende 2016 und damit bereits nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim schloss die FPÖ einen Freundschaftsvertrag mit Einiges Russland, der Partei Putins. Der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache dokumentierte den Ausflug mit einem fröhlichen Selfie aus dem weihnachtlichen Moskau auf seinen Social-Media-Kanälen.

Seit dem Grossangriff auf die Ukraine ist die Vereinbarung der FPÖ unangenehm, und es ist unklar, ob sie noch gilt. Der einst auf fünf Jahre abgeschlossene Vertrag wurde nicht aktiv gekündigt, womit er sich laut den Russen 2021 um weitere fünf Jahre verlängert hat. Er sei aber nie «gelebt» worden, heisst es von beiden Seiten. Offengelegt hat die FPÖ das Dokument nie, und mittlerweile finde man es auch nicht mehr, erklärte die Partei im vergangenen April.

Kickl war damals zwar als Generalsekretär in einer wichtigen Rolle, in Moskau aber nicht dabei, und es ist auch nicht bekannt, dass die FPÖ Geld aus Moskau bekommen hätte. Ohnehin gilt der Fokus des möglichen künftigen Kanzlers der Innenpolitik, die Kontaktpflege mit Partnern im Ausland überlässt er hauptsächlich dem langjährigen EU-Abgeordneten Harald Vilimsky.

Gleichwohl lässt auch Kickl keinen Zweifel an der kremlfreundlichen Haltung seiner Partei: Die gegen Russland verhängten Sanktionen lehnt die FPÖ strikt ab, und die Unterstützung für die Ukraine will sie einstellen. Die EU betreibe Kriegstreiberei, erklärt er. Als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski 2023 per Videoschaltung im österreichischen Parlament sprach, verliess die FPÖ geschlossen den Saal. Stattdessen stellten die Abgeordneten Schilder mit der Aufschrift «Platz für Frieden» und «Platz für Neutralität» auf ihre Pulte.

Der offene Flirt mit einem «Öxit»

Der britische «Economist» sieht in einem Kanzler Kickl denn auch die Gefahr einer «Putinisierung» Mitteleuropas. In den Nachbarländern Ungarn und Slowakei sind mit Viktor Orban und Robert Fico bereits kremlfreundliche Regierungschefs an der Macht. Nach der Parlamentswahl im Herbst könnte Tschechien folgen, wo der Populist Andrej Babis die Umfragen mit grossem Vorsprung anführt.

Vor allem Orban blockiert oder verwässert regelmässig die europäische Sanktionspolitik gegen Russland. Mit Kickl erhielte er einen wichtigen Verbündeten, zumal die beiden Parteien gemeinsam mit der Partei Babis’ in der neuen EU-skeptischen Fraktion der Patrioten für Europa sitzen. Sie verlangt einen Rückbau des Staatenbundes auf eine Wirtschaftsunion und mehr Souveränität für die Mitgliedstaaten.

Die FPÖ propagiert eine «Festung Österreich» und flirtet auch immer wieder offen mit einem «Öxit». Ohnehin schreibt sie in ihrem Wahlprogramm, sämtliche internationalen Verträge seien zu überprüfen. Für Österreichs Wirtschaft wäre all das gefährlich. Das exportorientierte Land ist laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung einer der grössten Profiteure des Binnenmarkts.

Die ÖVP wird einen antieuropäischen Kurs schon aus diesem Grund nicht mittragen können. Sie versteht sich als Europapartei und stellt seit dem Beitritt zur Europäischen Union alle österreichischen EU-Kommissare. Eine Infragestellung dieser Haltung bedeutete wohl eine Spaltung der Konservativen.

«Wir wollen keine Abhängigkeit, insbesondere auch nicht von der Russischen Föderation», stellte ihr designierter Parteichef Christian Stocker vergangene Woche klar, und man brauche Verbündete. Dafür brauche es eine starke, wenn auch bessere Europäische Union. «Partnerschaft in Europa statt Abschottung», forderte Stocker.

Seine Partei ist allerdings in einer schwachen Position. Nach dem Scheitern der Verhandlungen für eine Dreierkoalition ohne die FPÖ hat sie keine Alternative mehr. Eine Neuwahl will sie angesichts schlechter Umfragewerte sowie der erschütterten Glaubwürdigkeit nach der Kehrtwende hin zu den Freiheitlichen unbedingt vermeiden. Dennoch ist möglich, dass Kickl der ÖVP entgegenkommt und ihr etwa das Aussenministerium überlässt – es geht oft an den Juniorpartner einer Koalition und wäre auch ein beruhigendes Signal an Brüssel.

Klar ist, dass die Aussen- und Sicherheitspolitik in den anstehenden Verhandlungen der grösste Konfliktpunkt zwischen den beiden Parteien ist. Es müsse nun geklärt werden, ob Österreich weiterhin ein konstruktiver und verlässlicher Partner der EU sein wolle und ob es sich an der freien Welt orientiere oder an Diktaturen, sagte der designierte ÖVP-Chef Stocker. Allein, dass sich diese Fragen stellen, zeigt, auf welchen Partner sich seine Partei möglicherweise einlässt. Die Antworten waren in der Geschichte der Zweiten Republik stets eine Selbstverständlichkeit.

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