Der Hollywoodstar hat zwei Gesichter. Damit ist er prädestiniert für «Presumed Innocent»: In der herausragenden Serie spielt er einen Ermittler, der womöglich auch der Täter ist.

Er hat das gewisse Etwas. Das Unergründliche, das einen Darsteller interessant macht. Zuallererst ist Jake Gyllenhaal natürlich ein sehr attraktiver Mann. Gepflegt, gut gebaut, bemerkenswert fit immer. Egal, was für ein Film es ist: Der 43-jährige Kalifornier kann alles spielen, nur nichts Lasches.

Er strahlt Virilität aus, tritt entschlossen auf. Ob als Rausschmeisser neulich im Actionfilm «Road House» oder als schwuler, verliebter Cowboy im Klassiker «Brokeback Mountain»: Gyllenhaal packt jede Rolle zünftig an, hat man den Eindruck. Beidhändig, aber auch sauber manikürt.

Dazu kommt sein freundliches Wesen. Ein Softie mit Waschbrettbauch, ein Traummann. Gleichzeitig wirkt der einstige Partner von Taylor Swift so freundlich, dass es fast verdächtig ist. Sein Spiel bekommt dann oft auch etwas Hinterlistiges, etwas Verstohlenes. Und da lauert das Kippmoment, das ihn spannend macht: Ist er nicht auch ein bisschen unheimlich? Ein Fanatiker? Garantiert könnte Jake Gyllenhaal hervorragend einen charismatischen Sektenführer spielen oder einen geschmeidigen Populisten. Man folgt ihm und stellt keine Fragen.

Er ist praktisch blind

Das liegt vor allem an den Augen, die so unverschämt blau sind, dass man ins Schwimmen kommt. Womöglich hat die Kraft der Augen sogar mit einer Sehschwäche zu tun, an der er seit Geburt leidet. Rechtlich gesehen, gilt er laut eigener Aussage als blind. Sein durchdringender Röntgenblick lässt ihn konstant ein wenig verstrahlt aussehen, unberechenbar.

Die Augen decken das ganze Spektrum ab, er kann wie ein Teufel dreinschauen oder auch wie eine Eule. Das weiss er und sucht sich entsprechend oft abgründige, harte Rollen aus: den Rekruten im Golfkriegsfilm «Jarhead», den Detective im Thriller «Prisoners». Perfektes Anschauungsmaterial für seine Zwielichtigkeit liefert nun aber die neue Serie «Presumed Innocent» (auf Apple TV+).

Gyllenhaal gibt den Staatsanwalt Rusty Sabich, der den sadistischen Sexualmord an einer Kollegin untersucht. Und dabei selber zum Verdächtigen wird. Denn es kommt heraus, dass der Familienvater und die Ermordete ein Verhältnis hatten. Die Enthüllungen folgen Schlag auf Schlag: In der Tatnacht war er bei der Frau zu Hause, es gibt Fingerabdrücke – im Schlafzimmer. Ausserdem war sie schwanger.

Ist Rusty der Vater? Hat er sie umgebracht, weil er nicht wollte, dass die Affäre auffliegt? Immer mehr deutet auf den strahlenden Strafverfolger als Täter hin. Und als Zuschauer ist man sich nach ein, zwei Folgen auch gar nicht mehr so sicher.

Besser als Harrison Ford

Die Miniserie (acht Episoden) ist hochspannend und sogar besser als das Original: In Alan J. Pakulas gleichnamigem Film von 1990 spielte Harrison Ford den Ankläger/Angeklagten. Aber die Rolle, scheint es, hat eigentlich auf Jake Gyllenhaal gewartet. Er ist prädestiniert dafür. Anders als Harrison Ford kauft man ihm das Jähzornige, das bei Rusty je länger, desto mehr zum Vorschein kommt, sofort ab. Der freundliche Mr. Gyllenhaal kann auch anders.

«Presumed Innocent» verlangt alles von dem Darsteller, komplizierter kann Schauspiel fast nicht sein. Vordergründig verkörpert Gyllenhaal den Ermittler in der Klemme: Er muss sich aus einem Fall heraus-ermitteln, das ist schon verzwickt genug. Dazu das Ehedrama. Um seine Unschuld zu beweisen, braucht er den Support seiner Frau, die er betrogen hat. Zwei Teenager-Kinder hat er ausserdem, denen er erklären muss, dass er kein Mörder ist, aber ein Betrüger. Doch vor allem ist die Herausforderung für Gyllenhaal, gleichzeitig schuldig und unschuldig zu spielen.

Beispiel: Bereits als er die Nachricht von der Ermordung der Geliebten erhält und zum Tatort fährt, müssen in seinem Gesicht zwei Geschichten abzulesen sein. Fährt hier ein Ermittler, der gerade seine Liebhaberin verloren hat, zum Ort des furchtbaren Verbrechens? Oder sitzt am Steuer ein Monster, ein brutaler Frauenmörder? Gyllenhaal muss es so darstellen, dass beides denkbar ist. Und das gelingt ihm nicht nur in dieser Szene, sondern über den gesamten Verlauf der Serie. Es ist eine eigentliche Masterclass in: Wie spielt man zwiegesichtig?

Ein seltsames Interview

Er kann das, weil er die Prädisposition dafür hat. Der Mann ist auch in Wirklichkeit schwer lesbar, sehr freundlich, aber schon etwas seltsam. Vor zehn Jahren habe ich ihn bei der Vorstellung seines Films «Nightcrawler» erlebt. Vielleicht seine bisher beste Darbietung, der Bluthund Lou: ein TV-Kameramann, der immer als Erster zur Stelle ist, um das amerikanische Frühstücksfernsehen mit frischen Aufnahmen von Unfällen und Verbrechen zu versorgen.

Als Gyllenhaal damals beim Pressegespräch von seiner Vorbereitung erzählte, sagte er Sätze wie: «Mein Vorbild für die Figur war ein Kojote. Ich wollte meinen Körper kojotenhaft formen und ging ganz viel rennen.» Manchmal sei er 25 Kilometer gerannt, gab er zu Protokoll. «Auch zum Set bin ich gerannt. Es gab Tage, da kam ich rennend aufs Set und bin ohne zu duschen direkt in die Szene rein.»

Er sei ihm darum gegangen, den Erfolgshunger dieses Kameramanns zu zeigen. «Kojoten starren einen ja immer so an, als würden sie einen essen. Lou isst seine Mitmenschen auch geradezu auf, wie Abfälle. Der Mann ist ein Tier.»

Gyllenhaal hörte dann gar nicht mehr auf, von seinem Lauftraining zu erzählen. Der Film wurde vorwiegend in der Nacht gedreht, «und nach Drehschluss, gegen sieben Uhr morgens, ging ich oft auch wieder rennen. Ich bin zum Beispiel durch den Griffith Park in Hollywood gerannt, da gibt es viele Kojoten. Das fühlte sich an, als würde ich im Rudel rennen. Ich hatte wirklich das Gefühl, mich in einen Kojoten zu verwandeln.»

Nun erzählen Schauspieler gerne, was für Schindereien sie auf sich nehmen. Meistens ist das Marketing. Der Star will sich interessant machen, will seine Hingabe herausstreichen. Natürlich sind die meisten Geschichten aufgebauscht. Jake Gyllenhaal kauft man die Strapazen sofort ab. Seine Besessenheit ist nicht gespielt. Sie ist schwer zu übersehen.

Sein irres Workout

Spätestens nach «Southpaw» (2015) gab es keine Fragen mehr. Für die Verkörperung des Halbschwergewichts-Champions in dem Boxer-Drama verwandelte er sich in eine Maschine. Er legte acht Kilogramm Muskelmasse zu.

Gyllenhaal ging jeden Morgen zwölf Kilometer joggen, machte 1000 Sit-ups und lief dann noch einmal zwölf Kilometer. Anschliessend begann er das Training. 15 Minuten intensives Seilspringen, eine Mischung aus über 100 Klimmzügen, Trizeps-Dips und Liegestützen sowie umfangreiche Übungen mit dem Medizinball. Danach kam das Boxen, Beinarbeit, Boxsack, das volle Programm. Das Workout ist minuziös dokumentiert, den Trainingsplan kann man sich bei Bedarf googeln.

Jake Gyllenhaal hängt sich rein, ihm ist es ernst. Mit dem Schauspiel, mit allem. Als er 2017 am Zurich Film Festival zu Gast war, erklärte er in der NZZ, dass er nicht lustig und vollkommen humorlos sei. Aber er wolle versuchen, «in mehr Situationen meines Lebens Humor zu finden und öfter zu lächeln, statt ein böses Gesicht zu machen. Mein endgültiges Ziel ist es, ein fröhlicher, glücklicher alter Mann zu werden.» Wenn man ihn sich heute anschaut, muss man sagen: Er ist noch weit entfernt davon.

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