Montag, Oktober 7

Nike steckt in einer Image-Krise. Was einst cool war, ist zur Massenware geworden – das macht sich nun auch an der Börse bemerkbar. Kann die Sportmarke ihre Wurzeln wiederfinden?

Nike hatte keinen einfachen Sommer. Ende Juni veröffentlichte die Sportmarke ihre Quartalszahlen; sie vermeldete steigende Lagerbestände und sinkende Verkaufszahlen. Die Reaktion an der Wall Street: Nike-Aktien wurden millionenfach verkauft, der Konzern verlor an einem einzigen Tag 25 Milliarden Dollar an Börsenwert. Und in dieser Woche folgte ein weiterer Schlag. Das Unternehmen verzichtete im Quartalsbericht auf eine Jahresprognose, was einen weiteren Kurszerfall auslöste.

Nike durchläuft eine «epische Saga der Wertezerstörung», wie es der ehemalige Nike-Markendirektor Massimo Giunco ausdrückt. Es sei keine Laune der Börse gewesen. «Für Nike war es der Tag des Jüngsten Gerichts», schreibt Giunco in seiner vieldiskutierten Linkedin-Analyse.

Unglücks-CEO John Donahoe

2020 heuerte Nike den 60-jährigen John Donahoe als CEO an. Dieser war zuvor Vorstandsvorsitzender von Ebay und Paypal – zwei Unternehmen, die nicht gerade für ihre Modeaffinität bekannt sind. Aber dafür, im Online-Geschäft gute Zahlen zu schreiben. Das passte: Nike wollte sich auf dem digitalen Markt besser aufstellen. Hierzu kündigte Donahoe drei Entscheidungen an, die Einfluss auf den Aktienkurs, aber auch auf die Kultur hatten:

  1. Nike eliminierte Produktkategorien.
  2. Nike fokussierte sich fortan auf ein Direct-to-Consumer-Modell (DTC).
  3. Nike zentralisierte seine Marketingstrategie, und diese basierte fortan auf grossen Datenmengen.

Das Wegfallen von Kategorien bedeutete, dass die Produkte nicht mehr nach Sport, sondern nach Geschlecht sortiert wurden. Laut Massimo Giunco, dem früheren Markendirektor, erinnert dies an Zara, Gap, H&M oder «jede andere generische Modemarke». Diese Umgestaltung soll für den «Mangel an Innovation und Energie in der Produktgestaltung» verantwortlich sein, sagt Giunco.

Blickt man einige Jahre zurück, erinnert man sich an bahnbrechende Innovationen. Etwa im Jahr 2019, als der Marathonläufer Eliud Kipchoge als erster Mensch einen Marathon in unter zwei Stunden lief – in Nike-Schuhen. Der Lauf wurde nicht offiziell anerkannt, da er unter speziellen Bedingungen stattfand. Doch die Nike Vaporfly sollen dem Läufer einen signifikanten Leistungsvorteil verschafft haben, so dass sie kurz darauf vom Weltverband verboten wurden. Nike hat Schuhe kreiert, die «zu gut» waren.

Auch abseits des Spitzensports war Nike unangefochtener Marktführer in der Sneakers-Szene. Man denke etwa an die Nike Mag: Die selbstbindenden Schuhe aus «Zurück in die Zukunft» werden noch heute für Zehntausende Franken versteigert. Oder daran, wie Nike 2012 die Flyknit-Technologie präsentierte – und plötzlich alle Roshe Runs trugen. Nike verstand den Zeitgeist. Nike war Zeitgeist.

Was ist passiert? Hat Nike den Draht zum Jetzt verloren, oder hat sich der Zeitgeist verändert? Die Antwort liegt in der Mitte.

Altbewährtes und Profitmaximierung

Nike setzte in den letzten Jahren zunehmend auf Altbewährtes – und auf Masse. Beispiel dafür sind etwa die Dunks. Ursprünglich als Basketballschuhe im Jahr 1985 lanciert, fanden sie bald grossen Anklang in der Skateboarding-Szene. Anfangs waren die breiten Sneaker heiss begehrt. Sie waren in nur wenigen Farbvariationen und in stark begrenzter Stückzahl erhältlich und galten als Symbol für Kenner, die ihre Schuhe hegen und pflegen und wie Trophäen in ihren Regalen ausstellen.

Heute pumpt Nike die Dunks massenhaft und in jeder erdenklichen Farbe in den Markt. Man wollte aus dem Hype Kapital schlagen. Dabei geht es in der Sneakers-Kultur eben gerade um Raritäten.

Dieser Kultur wandte Nike mit noch einem weiteren Manöver den Rücken zu: dem Umstieg auf das Direct-to-Consumer-Modell. Das hatte zwei Konsequenzen: Nike verkauft Waren fortan direkt aus den Fabriken, ohne Zwischenstopp beim Einzelhändler, und streicht so höhere Gewinnmargen ein. Und zweitens: Nike liefert weniger Schuhe – oder manchmal gar keine mehr – an die Sneakers-Boutiquen und Skate-Shops.

Der Modejournalist Noah Johnson beschreibt das frühere Erfolgsmodell als eine «für beide Seiten vorteilhafte Beziehung zu einem globalen Netzwerk» solcher Szenentreffpunkte: «die coolsten Läden, geführt von den coolsten Leuten, wo die coolsten Leute shoppen». In Städten wie New York gab es viele solcher Hotspots, die alle direkt mit Nike zusammenarbeiteten und als inoffizieller «Cool Guy»-Botschafter der Marke fungierten. Sie verkauften Sneakers, die in kleiner Stückzahl produziert wurden, an eine Handvoll Kunden, was zu einem überproportionalen Hype führte.

Es waren diese Läden und ihre Kunden, die Nike überhaupt erst so begehrenswert machten. Ohne diese Beziehungen zum Puls der Szene wäre Nike nur ein weiterer Industriegigant gewesen. Und es gibt in Subkulturen nur wenige Dinge, die uncooler sind als Grosskonzerne.

Was bedeutet «cool» heute noch?

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Coolness-Abwärtskurve auf dem Sneakers-Markt nur Nike oder auch andere betrifft. Labels wie Vans und Supreme standen ebenfalls dafür. Und auch sie knüpfen seit Jahren nicht mehr an den Image-Erfolg an, den sie vor einem Jahrzehnt erlebten.

Der Ökonom Scott Galloway prophezeite bereits 2019 in seinen Vorlesungen die «Post-Brand-Ära». Noah Johnson, Global Style Director beim Modemagazin «GQ», spricht von der «Post-Cool-Ära». Die Idee von cool sei heute radikal anders, als sie es vor fünf Jahren noch gewesen sei. «Marken sind heute ein Vibe, kurzlebig und flüchtig», sagt Johnson.

«Back to the roots»

Mitte September wurde bekannt, dass sich Nike nach vier turbulenten Jahren von seinem CEO John Donahoe trennen wird. Am 13. Oktober 2024 wird der 60-jährige Elliott Hill seine Nachfolge antreten. Ihn verbindet eine 32-jährige Karriere mit Nike, wo er 1988 als Praktikant anfing und sich bis zum Präsidenten mehrerer Geschäftszweige hocharbeitete.

Was trotz Imageveränderung und Knick an der Börse nicht vergessen werden darf: Nike ist weiterhin klarer Marktführer. Das muss selbst Giunco, der in seinem Artikel wenig Positives über seinen ehemaligen Arbeitgeber zu sagen hat, anerkennen: «Nike ist noch immer eine der berühmtesten und beliebtesten Marken der Welt.» Mit einem Umsatz von 51 Milliarden Dollar und 5,7 Milliarden Gewinn im vergangenen Jahr.

Im besten Fall gelingt es der Marke, den Weg zurück zu finden zu ihrem Einfluss, den sie mit Kultmodellen wie den Nike Mags oder den Air Jordan 1s in der Sneakers-Szene hatte. Durch sie wurde der «Swoosh» zu einer Ikone. Nike war nicht cool, weil die Werbekampagnen das behaupteten – sondern weil es die Menschen auf der Strasse spürten.

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