Benjamin Manser
Der CSIO in St. Gallen wird in der exklusiven League of Nations durch Saint-Tropez ersetzt. Der Concours in der Ostschweiz besitzt zwar eine lange Tradition, wirkt im internationalen Vergleich aber auch aus der Zeit gefallen.
In Saint-Tropez steht ein Reitstadion, im örtlichen Poloklub. Zum Strand sind es nur wenige Schritte; von der Tribüne sieht man das Mittelmeer. In St. Gallen steht ein Reitstadion, im Gründenmoos im Westen der Stadt. Dort spielt niemand Polo, sondern die Fussballer des FC Winkeln gegen Bischofszell oder Tobel-Affeltrangen. Das Stadion ist eingepfercht zwischen Autobahn, einem Waffenplatz und der Arena des FC St. Gallen. Von der Tribüne mit 1900 Sitzplätzen sieht man den Säntis.
Nur an einem Wochenende im Jahr kommen mehr als ein paar hundert Zuschauerinnen und Zuschauer auf das Gründenmoos. In St. Gallen findet mit dem CSIO einer der wichtigsten Pferdesportanlässe der Schweiz statt. Dessen Organisatoren haben kürzlich einen Rückschlag erlitten. Noch vor einem Jahr verkündeten sie die Zugehörigkeit zur exklusiven League of Nations, einer neugeschaffenen Nationenpreis-Serie, bei der nur die zehn besten Equipen der Welt starten dürfen. Das Preisgeld am CSIO wurde verdoppelt. Nun folgt das Aus; der Internationale Pferdesportverband (FEI) ersetzt St. Gallen trotz Vertrag bis 2027 durch Saint-Tropez. Mittelmeer statt Säntis.
Offiziell begründete die FEI den Entscheid mit dem ungenügenden Boden im Gründenmoos. Dort wird anders als an den meisten anderen Orten auf Gras geritten. Das freut Traditionalisten, birgt aber auch Schwierigkeiten: In St. Gallen regnet es durchschnittlich an 15 Tagen pro Monat. Auf durchnässtem Boden steigt die Verletzungsgefahr für die teuren Springpferde.
Das Problem des Grasbodens bei Regen ist längst bekannt
Die vielen Regentage und der Grasboden sorgten immer wieder für Ungemach. Es gab in jüngerer Zeit wiederholt Kritik von Equipenchefs und Reitern. Das Problem ist längst bekannt. 1995 fanden im Gründenmoos die Europameisterschaften statt, die deutsche Equipe reiste nach der Inspektion des durchnässten Untergrundes wieder ab. Ähnlich verlief der CSIO 2013, damals verzichtete erneut Deutschland auf den Nationenpreis – und verliess St. Gallen. Wegen Dauerregens wurde der CSIO später sogar abgebrochen.
Im vergangenen Juni hätte die Premiere der League of Nations in St. Gallen stattfinden sollen. Die Aufnahme in den Kreis von Turnieren in Abu Dhabi, Ocala im amerikanischen Gliedstaat Florida, in Rotterdam und Barcelona bezeichneten die CSIO-Organisatoren im Vorfeld als «neue Ära» und als «kleinen Quantensprung». Doch: Es regnete heftig, schon wieder, der Nationenpreis wurde abgesagt. Ein halbes Jahr später nun kippte die FEI St. Gallen aus der League of Nations.
Seit dieser Entscheid kommuniziert worden ist, rätselt das OK um Nayla Stössel über die Plötzlichkeit der Zurückstufung. Die Lokalpolitik gibt sich überrascht bis schockiert, äussert Unverständnis und Bedauern. Der Präsident des Schweizer Pferdesportverbands, der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller, spricht im SRF von einem «Affront gegenüber der Schweizer Pferdesportfamilie».
Die OK-Präsidentin Stössel gibt vorerst keine Auskunft und verweist auf eine Pressemitteilung. Darin steht, das OK habe Massnahmen getroffen, um die Bodenqualität zu verbessern.
Der Patron Stössel formt einen internationalen Grossanlass
Reiten hat in St. Gallen Tradition. Der Pferdesport in der Region ging aus landwirtschaftlichen Kreisen und dem Militär hervor. Noch heute gibt es hier und dort «Kavallerievereine». Offiziere hielten in St. Gallen schon 1884 Pferderennen ab. 1909 folgte die erste Springkonkurrenz, daraus entstanden über die Jahre zunächst die St. Galler Internationalen Pferdesporttage und dann der CSIO.
Die Entwicklung des Turniers zum Grossanlass ist eng mit der Familie Stössel verbunden. Peter Stössel, ein lokaler Unternehmer und Pferdezüchter, übernahm das OK-Präsidium 1989. Er machte das Turnier zum Aushängeschild im Schweizer Pferdesport. Stössel war in einer Fuhrhalterei in der Ostschweiz aufgewachsen.
Stössel ist 2013 verstorben. In Nachrufen lobte ihn die Lokalpresse als «visionären Unternehmer mit Ecken und Kanten». Als OK-Präsident setzte er auf eine persönlichen Beziehung zu den Sponsoren, die er lieber Partner nannte. Stössel war ein Patron alter Schule; er empfing Besucher in einem Büro mit riesigem Schreibtisch, daneben die Fahne seines Bataillons, das er im Militär kommandiert hatte.
Während des CSIO war Stössel von früh bis spät im Gründenmoos, schaute überall nach dem Rechten. Er stand für ein Netzwerk aus Unternehmertum, Armee und Sport. In St. Gallen wurde er einst zum «Födlebürger» gewählt, das ist ein Ehrentitel, der an der Fasnacht Persönlichkeiten verliehen wird, die «Födle», also Mut und Ideenreichtum, bewiesen hatten.
Der CSIO hat auch im Schweizer Vergleich an Terrain eingebüsst
2013 übergab Stössel die Führung des CSIO an die Tochter Nayla. Er hinterliess einen Anlass, der heute noch in der Region verankert ist. Vor dem Turnier stehen überall in der Stadt Pferdeskulpturen. An den CSIO kommen nicht nur Pferdenarren, sondern auch die breite Bevölkerung. Letztere bezahlt wenig Eintritt, sitzt auf Picknickdecken, ein Sonntagsausflug für die Familie. Im VIP-Bereich tummelt sich Lokalprominenz statt Stars und Milliardäre. In Saint-Tropez dürfte das anders sein: High Society statt Pferdemädchen.
Ob der Boden allein oder auch der Austragungsort in einer Kleinstadt verantwortlich war für die Zurückstufung, ist unklar. Sicher ist, dass St. Gallen in den letzten Jahren von einem Trend im Weltsport eingeholt worden ist. Immer mehr Wettbewerbe mit immer höheren Preisgeldern buhlen um die Gunst des Publikums.
Vielerorts hat eine Verschiebung weg von Europa in den Nahen Osten stattgefunden – auch im Pferdesport. Es gibt hochdotierte Concours in Riad oder Doha. Oder dann finden wichtige Wettbewerbe an Orten wie Cannes oder eben Saint-Tropez statt, wo sich im Frühjahr und im Sommer eine reiche Klientel zusammenfindet.
St. Gallen wirkt in diesem Reigen aus der Zeit gefallen. Traditionsreich zwar, aber auch provinziell. Es hat sogar im Schweizer Vergleich an Terrain eingebüsst, ist nicht mehr das wichtigste Turnier. Der CHI Basel sowie Genf, das zum Rolex Grand Slam gehört, sind stärker besetzt.
Das führte unter anderem dazu, dass die Equipen am Schweizer Nationenpreis am CSIO öfter eine B-Auswahl nach St. Gallen entsandten. Die Spitzenkräfte ritten heuer lieber am gleichzeitig stattfindenden Turnier der Global Champions Tour um höhere Preisgelder – in Saint-Tropez.
Ähnlich wie den St. Gallern ist es auch den traditionsreichen CSIO in Hickstead, Dublin, Rom, Falsterbo oder La Baule ergangen. Sie fanden keine Aufnahme in die League of Nations. La Baule, Rom und Dublin sind seit diesem Jahr Teil der Rolex Series, einer Vereinigung von sechs prestigeträchtigen Reitturnieren. Für St. Gallen dürfte das keine Option sein. Hauptpartner des CSIO ist die Uhrenmarke Longines, die dem Swatch-Konzern gehört. Zwischen der Swatch-Familie Hayek und den Stössels bestehen enge Bande. Ein Wechsel zur Konkurrenz ist unvorstellbar.
Die St. Galler Organisatoren wollen den CSIO weiter austragen. Der Concours verbleibt in der höchsten, der Fünf-Sterne-Kategorie. Und sollte es dem OK gelingen, mindestens 200 000 Franken Preisgeld für einen Nationenpreis aufzutreiben, wird eine solche Prüfung auch in Zukunft auf dem Gründenmoos ausgetragen.
In Saint-Tropez ist die Freude hingegen gross. Auch letzten Monat hätte dort ein Springturnier stattfinden sollen. Es wurde abgesagt. Wegen Regens.