Mittwoch, Februar 5

Der Armeechef sei unter Druck, wiederholen die Medien. Auf dem Waffenplatz in Thun war davon wenig zu spüren. Thomas Süssli wirkte locker und souverän – und ernsthaft besorgt um seine Soldaten.

Waffenplatz Thun, Panzerhalle L. Thomas Süssli steht breitbeinig an einem Stehtisch und bespricht sich mit seinem Pressesprecher. Er trägt Dienstanzug, sein Blick ist konzentriert. Plötzlich erklingt ein Surren. Auf dem Dach des Aufklärungsfahrzeugs 93/97 geht ein weisser Koffer auf, und heraus fliegt eine blinkende Drohne an einer Leine. Süssli schaut auf und lächelt breit.

Die Drohne der Firma Fotokite wird normalerweise von den Blaulichtorganisationen verwendet. Nun testet die Armee, ob sich das ungefähr 30 000 Franken teure Stück auch für die militärische Aufklärung eignet. Süssli ist sichtlich angetan. Im Gespräch mit der NZZ fängt der Armeechef sofort an, die Vorteile aufzuzählen: «Erstens kann der Gegner sie nicht abhören oder stören, da sie am Kabel hängt. Zweitens fliegt sie 24 Stunden am Stück und muss nicht alle 60 Minuten neu aufgeladen werden. Und drittens ist sie einfach zu bedienen, ein Soldat braucht vielleicht eine Viertelstunde Einführung, und schon geht’s los.» Bei üblichen Drohnen benötigen Soldaten mehrere Einführungstage.

Süsslis Begeisterung ist ansteckend. Die Stimmung in der Panzerhalle L hellt sich für einen Augenblick auf wie der Frühlingshimmel über dem Waffenplatz. Dann wird es wieder ernst. Und das nicht nur wegen der Bedrohungslage, die seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine eine ganz andere ist als noch vor wenigen Jahren. Sondern auch, weil Thomas Süssli sich erklären muss. Schon wieder.

Cassis’ Rüge

Eigentlich ist der Armeechef in Thun, um den Journalisten das Material vorzustellen, das die Armee in den nächsten vier Jahren beschaffen möchte. Doch jetzt spricht ihn ein Journalist nach dem anderen auf seine Beziehung zum Bundesrat an. Seit der Enthüllung des vermeintlichen «Finanzlochs» durch SRF, das von Süssli zu einem falsch verstandenen «Liquiditätsengpass» und von Bundesrätin Viola Amherd zu einer Ente erklärt wurde, steht der Armeechef in den Schlagzeilen. Er sei von Bundesrat Ignazio Cassis öffentlich gerügt worden, schrieben die Zeitungen der TX Group am Donnerstag.

Denn Süssli wiederholt bei jedem öffentlichen Auftritt, was er seit August 2023 sagt: «Die Schweizer Armee ist heute nicht aufgestellt, um die Schweiz im Ernstfall verteidigen zu können. » Und beim gegenwärtig von der Politik geplanten Tempo werde sich das auch nicht so rasch ändern: Das Parlament hat im Dezember beschlossen, das Armeebudget erst bis 2035 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, schon bis 2030. Die Armee werde «das Heer verlieren», hatte Süssli deswegen früher gegenüber verschiedenen Medien gesagt. Und er könne die Situation «nicht verantworten».

Dem Bundesrat ist das gemäss «Tages-Anzeiger» sauer aufgestossen, auch wenn Amherd sich bis jetzt demonstrativ hinter ihren Armeechef gestellt hat. «Bitte passen Sie auf», soll Cassis an der Delegiertenversammlung der Offiziersgesellschaft am 9. März zu den Offizieren gesagt haben. «Jedem seine Verantwortung.» Sonst gebe es Chaos.

Auch Sarah Wyss äussert Kritik. Die Präsidentin der nationalrätlichen Finanzkommission hatte Süssli zum klärenden Gespräch über die Armeefinanzen eingeladen. Und als Sozialdemokratin gehört sie keiner Partei an, die als besonders armeefreundlich gilt. Sie wünsche sich für die Schweiz einen Chef der Armee, der die parlamentarischen Entscheidungen respektiere, sagt Wyss nun. Als Staatsangestellter sei es heikel, gegen den parlamentarischen Willen öffentlich mehr Geld zu fordern. Auch aufgrund solcher Voten kamen mehrere Medien zum Schluss, Süssli stehe «unter Druck».

In Thun ist davon erstaunlich wenig zu spüren. Mächtige Menschen reagieren häufig auf zweierlei Art, wenn Gegenwind kommt. Entweder gehen sie in die Offensive und attackieren ihre Kritiker. Oder sie werden defensiv und rechtfertigen sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Thomas Süssli macht weder noch. Freundlich lächelnd schüttelt er die Hände der Journalisten, die er mit seiner Körpergrösse fast alle überragt. Geduldig beantwortet er Fragen auf Deutsch und Französisch. Und nimmt Cassis› Kritik entgegen. Der Bundesrat habe zwar betont, dass sich Staatsangestellte an den Dienstweg halten sollen, die Milizoffiziere aber ihre Meinung sagen dürften.

Im Übrigen halte er sich an den Primat der Politik, sagt Süssli. Er verstehe sich als Scharnier zwischen Politik und Militär: «Es ist meine Aufgabe, zu erklären, was die Armee braucht, um verteidigungsfähig zu bleiben», sagt er. Und ja, er trage Verantwortung, und zwar für seine Soldaten. «Wir können heute nur ein Drittel der Bodentruppen mit Waffen und Schutzmaterial ausrüsten», sagt er. Was ist mit den restlichen zwei Dritteln? Im Kriegsfall müssten die Truppen mit dem kämpfen, was man habe, sagt Süssli. «Aber ist das fair?» Diese Soldaten kämen ja nicht freiwillig in die Milizarmee, «sie müssen».

Die «richtigen Prioritäten»

Genau wegen solcher Aussagen gibt es im Bundeshaus auch Sicherheitspolitiker, die Süssli dankbar sind – vor allem auf der rechten Seite. «Es war Zeit, dass die Politik merkt, wie es um den Zustand der Armee steht», sagt beispielsweise SVP-Ständerat Werner Salzmann. Als Chef der Armee sei Süssli dafür zuständig, dass die Armee den Verfassungsauftrag erfülle. «Wenn er nicht mehr sagen kann, was es dafür braucht, verstehe ich die Welt nicht mehr», sagt Salzmann. Süssli sei «rhetorisch souverän» und setze mit der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit die «richtigen Prioritäten».

Hier die Kritiker, die Süsslis Auftritte der letzten Wochen als Debakel abtun. Dort jene, die seine Rhetorik loben. Bleibt die Frage: Ist ihm die Kontrolle tatsächlich entglitten – oder hat er sich vielmehr als kluger Stratege erwiesen, der die laute mediale Debatte nutzte, um die Politik aufzurütteln und für mehr Geld zu lobbyieren?

Süssli selbst weicht aus. Seine Botschaft sei immer dieselbe. Die Reaktion der Politik und der Öffentlichkeit könne er nicht beurteilen. Auch Werner Salzmann winkt ab: «Das ‹Gschtürm› ist nicht relevant. Relevant ist die Verteidigungsfähigkeit.» Bis wann und mit welchem Geld man diese herstellt, darüber wird weiterhin gestritten.

Einige Medien haben bereits Süsslis Rücktritt zur Debatte gestellt. Er selbst hat sich zum Ziel gesetzt, den ersten Schritt zum Wiedererlangen der Verteidigungsfähigkeit so weit vorzubereiten, dass er umgesetzt werden kann. Ihm bleibt dafür Zeit bis längstens im September 2028. Dann wird er pensioniert. Süssli lacht: «Das ist gut so. Die Armee braucht eine regelmässige Verjüngung und frische Ideen.» Gegenwärtig wirkt der ehemalige Banker und Cybersicherheitskenner selbst noch jung und frisch. Trotz den Schlagzeilen.

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