Freitag, November 22

Die Prognosen zur nächsten US-Regierung fallen düster aus: Sie soll inkompetent und gefährlich sein. Doch aus Voreingenommenheit wird schnell Ignoranz.

Mit dem Timbre der Empörung berichteten amerikanische wie europäische Medien, Trump habe Pete Hegseth als Verteidigungsminister ausgewählt. Der Fernsehmoderator sei in Verteidigungsfragen völlig unerfahren, heisst es. Sachkenntnis ist tatsächlich von Vorteil.

In Deutschland wurde ein Kinderbuchautor Wirtschaftsminister. Robert Habecks Politik legt den Schluss nahe, dass Kinderbuchautoren nicht Wirtschaftsminister sein sollten. Vielleicht gilt dasselbe für Fernsehmoderatoren, obwohl Major Hegseth im Irak und in Afghanistan diente. Er versteht von Verteidigungspolitik vermutlich mehr als Habeck von Wirtschaft.

Irrtümer und Torheiten gehören zur Politik

Hegseth ist nicht der Einzige von Trumps Kandidaten fürs Kabinett, der keine fachlichen Vorkenntnisse besitzt. Die Medien beanstanden daher, Loyalität sei Trump wichtiger als Qualifikation.

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist Arzt und obendrein Gesundheitsökonom. Betrachtet man aber sein Wirken von der Corona-Hysterie bis zum Scherbenhaufen einer Spitalreform, wäre wohl besser ein Laie Minister geworden.

Die USA bestimmen den Präsidenten in einer Volkswahl. Er besitzt eine direkte Legitimität und stellt sein Kabinett selbst zusammen. In den parlamentarischen Demokratien Europas werden hingegen Parteien gewählt und nicht Personen. Die Kabinette sind in der Regel das Ergebnis von Koalitionsabsprachen.

Hätte Olaf Scholz seine Minister frei auswählen können, wären Habeck und Christian Lindner nie Minister geworden. Das politische System hat entscheidenden Einfluss auf die Rekrutierung des Spitzenpersonals. Die amerikanische Verfassung, die noch in der Epoche der Aufklärung entstanden ist, weist eine starke monarchische Note auf. Trump nützt die ihm verliehenen Vollmachten aus.

Das taten allerdings schon andere Präsidenten. Unter Täuschung des Senats verwickelte der Demokrat Lyndon B. Johnson Amerika in den Vietnamkrieg. Seinem republikanischen Nachfolger hielten die Medien gar eine «Imperial Presidency» vor: der angebliche Imperator Richard Nixon als Wiedergänger von Nero und Caligula. Manche Dinge ändern sich in Washington eben nie.

Es erfordert keine prophetischen Gaben, um zu behaupten, dass Hegseth im Pentagon scheitern werde. An der Mammutbehörde haben sich noch alle Verteidigungsminister die Zähne ausgebissen. Der Apparat schlägt die Person. Das wird auch die Putin-Versteherin Tulsi Gabbard herausfinden, die Trump als Koordinatorin der Nachrichtendienste nominiert hat. In Washington führt niemand ein grösseres Eigenleben als die Schattenwelt der Dienste. Zudem wird mancher Kandidat in den Anhörungen des Senats scheitern. Auch das gehört zur amerikanischen Demokratie.

Derzeit haben Prognosen Konjunktur, welche die Schandtaten der nächsten Administration präzis vorhersagen. Vielleicht kommt es anders. Ohnehin begehen alle Regierungen Fehler, ob republikanisch oder demokratisch. Bushs Irakkrieg war ein Fehler, Bidens die Inflation anheizende Subventionen auch. Der alte und neue Präsident wird keine Ausnahme machen.

Irrtümer und Torheiten gehören nun einmal zur Politik. Die Wähler können froh sein, wenn einige wichtige Dinge richtig entschieden werden. So täte es der Schweiz gut, wenn auch hier Elon Musk die wuchernde Bundesverwaltung verschlanken würde.

Die Medien sind gegenüber Trump voreingenommen. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange die Feindseligkeit nicht in Ignoranz umschlägt. Eine ihrer Waffen ist – um ein Wort Martin Walsers abzuwandeln – die Faschismus-Keule.

Dass Trump kaum einen zweiten Holocaust organisieren dürfte, entkräftet die These nicht. Man muss keine Konzentrationslager errichten, um Faschist zu sein. Der Faschismus hat sich in den hundert Jahren seiner Existenz weiterentwickelt.

Putin ist mit seiner Gewaltbereitschaft und seiner totalitären Machtausübung Faschist. Der Überfall auf die Ukraine und die bewusst grausame Art der Kriegführung sind faschistisch. Aber Trump? Zwischen den beiden Politikern bestehen fundamentale Unterschiede. Diese zu verwischen, zeugt von Perfidie oder von Dummheit.

Leichtfertig wird mit den Etiketten Faschismus und autoritäre Herrschaft operiert. In ihrer Beliebigkeit verlieren die Begriffe jeden Sinn, und die Opfer realer Gewaltherrschaft werden verhöhnt.

Der Zürcher Historiker Jakob Tanner zählt in einem Beitrag für Tamedia zu den «faschistischen Taktiken», wenn das «Angebot öffentlicher Güter sowie Sozialleistungen» reduziert werden. Daran gemessen ist Gerhard Schröder Faschist, denn der frühere deutsche Kanzler kürzte die Sozialhilfe beträchtlich.

Tanner entlehnt den Begriff vom amerikanischen Professor Jason Stanley und von dessen Buch «Wie Faschismus funktioniert». Stanley betrachtet bereits eine härtere Gangart in der Migrationspolitik als faschistische Taktik. Wenn es faschistisch ist, die Kontrolle über sein Land behalten zu wollen, sind sehr viele Menschen Faschisten.

Sobald die Faschismus-Keule nicht im historischen Seminar, sondern in der Tagespolitik geschwungen wird, zielt sie oft daneben. So gelten Ausgrenzung und der Einsatz von Ressentiments als faschistische Taktiken. Die AfD wird konsequent ausgegrenzt; in jeder Schweizer Abstimmung wird mit Ressentiments gearbeitet. Die «Auto-Lobby», die «Reichen» und die «Grosskonzerne» zählen zu den beliebtesten Feindbildern. Dennoch wäre es weit hergeholt, Deutschland und der Schweiz faschistische Tendenzen zu unterstellen.

Trump hat Gründe, warum er von den Europäern wenig hält

Die Rhetorik des Weltuntergangs und der maximalen, also faschistischen Katastrophe zeigt nur, wie weit sich die professionellen Politikbeobachter und die Wähler entfremdet haben. Journalisten und Professoren meinten warnend, dass ein Sieg Trumps die Demokratie gefährde. Die Wähler hatten jedoch ganz andere Anliegen im Kopf und fragten sich, welcher Kandidat eher ihre alltäglichen Lebensverhältnisse verbessern würde.

In der Amtszeit Barack Obamas verkündeten amerikanische Zeitungen (und die europäischen schrieben es munter ab), dass das Zeitalter der Demokraten begonnen habe. Die rasch wachsende Volksgruppe der Latinos werde für die migrationsfreundlichen Demokraten stimmen und damit Wahlsiege der Republikaner verhindern.

Die Medien wärmten die These vor der Wahl 2024 auf. Dann aber stimmten viele Latinos für Trump, der angeblich Latinos hasst. Migranten votierten für eine strikte Migrationspolitik, weil sie die innere Sicherheit für bedroht halten. Sie reagieren auf eine konkrete, in Amerika wie in Europa zu beobachtende Gefahr. Die Politprofis sehen hingegen eine abstrakte Gefahr.

Ob die amerikanische Demokratie in eine Krise gerät, wird die Zukunft zeigen. Die Krise des Journalismus jedoch ist evident. Die Politikberichterstattung soll die Realität wiedergeben. «Schreiben, was ist», lautet ihre vornehmste Devise. Dabei versagen die Medien regelmässig, wenn es um ihren liebsten Buhmann geht.

Diesseits des Atlantiks kennt die Realitätsverweigerung in der Ära Trump eine besondere Ausprägung: die rituelle Beschwörung der europäischen Autonomie. Weil der Republikaner die Nato ruinieren könne, müsse Europa in Verteidigungsfragen selbständiger werden.

Die Wehklage verrät magisches Denken. Wenn man den Zauberspruch nur oft genug wiederholt, wird er Wirklichkeit. Seit der ersten Amtszeit des blonden Beelzebub versprechen die Regierungen in Europa, in die eigene Sicherheit zu investieren. Passiert ist seither nicht genug. Noch immer verfehlen einige Länder das Zwei-Prozent-Ziel der Nato.

Dabei besteht seit der Annexion der Krim vor zehn Jahren kein Zweifel an Putins aggressiven und sich nicht auf die Ukraine beschränkenden Absichten. Dennoch bleibt es bei rituellen Beschwörungen. Trump hat also einigen Grund für seine ostentative Geringschätzung der Europäer. Das stachelt diese natürlich zu noch heftigeren Tiraden über den «Faschisten» an.

In den USA hat die exzessive Beschäftigung mit den Unzulänglichkeiten Trumps innenpolitische Gründe. Seine Gegner denken bereits an die Midterm-Wahlen in zwei Jahren. Auf dem alten Kontinent lässt sich hingegen ein interessantes psychologisches Phänomen beobachten: Die Europäer kompensieren die Scham über die eigene Unzulänglichkeit durch die Beschimpfung ihrer Nemesis. Die Wut auf Trump ist letztlich die Wut auf sich selbst. Die Kritik am alten und neuen Präsidenten verrät mehr über die Kritiker als über den Kritisierten.

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