Dienstag, Oktober 22

Im Ausland betreibt der Berner Stromkonzern mehrere Dutzend Windparks. In der Schweiz dagegen kommt der Ausbau wegen zähen Rechtshändeln und komplizierten Verfahren nicht vom Fleck. Trotzdem sagt der BKW-Chef Robert Itschner: Die Schweiz ist ein Windland.

Robert Itschner war schon einige Male auf einem Windrad. Und auch diesmal lässt er es sich nicht nehmen, in den Turm zu steigen und mit einem kleinen, wackeligen Aufzug hundert Meter nach oben zu fahren. Gesichert mit Helm und Sicherheitsgurt und begleitet von einem italienischen Servicemann, zwängt sich der BKW-Chef durch den engen Raum mit dem Generator und steigt durch eine Luke. Oben angekommen, überblickt er stolz den riesigen Windpark seines Unternehmens.

28 Windräder ragen auf einer kargen, braunen Ebene in Apulien in die Höhe. Ein leichter Wind dreht die Rotoren und erzeugt Strom – nur das Windrad, auf dem der Ingenieur steht, ist ausser Betrieb.

Der Windpark in Castellaneta ist der grösste von elf solcher Windparks der BKW in Italien; insgesamt betreibt das Unternehmen im Land rund 140 Windturbinen. Sie allein liefern etwa dreimal mehr Strom als alle Windräder in der Schweiz zusammen. «In Italien ist es weniger beengt als bei uns», sagt Itschner, «deshalb können wir hier auch grössere Windparks bauen.» Zudem liessen sich Projekte in wenigen Jahren umsetzen.

Itschner würde gerne in naher Zukunft auch in der Schweiz auf ein neu gebautes Windrad steigen, etwa wenn die geplanten sechs Windräder in Tramelan im Berner Jura fertig gestellt werden. Doch das kann dauern.

Fledermäuse könnten Windpark im Jura verzögern

Soeben hat der 57-Jährige eine «sehr unschöne Überraschung» erlebt. Eigentlich sollte schon in diesem Jahr der Bau des Windparks von Tramelan beginnen. Doch das Bundesgericht hat einem Revisionsgesuch zur Baubewilligung aufschiebende Wirkung erteilt. Ein Einwohner entdeckte in seinem Haus eine Kolonie der stark gefährdeten Fledermausart Braunes Langohr. Das bereits vor sechzehn Jahren gestartete Projekt droht sich erneut um Jahre zu verzögern, obwohl das Bundesgericht im letzten Jahr die Beschwerden im Wesentlichen abgewiesen hat.

Auch anderweitig könnten Rechtsstreitigkeiten das Projekt weiter verschleppen. Drei Landeigentümer verweigern der BKW das Wegrecht für unterirdische Leitungen, die für den Windpark nötig sind. Bleiben sie hart, muss die BKW eine Enteignung erzwingen. Erneut würde ein Gang durch die Instanzen drohen, was wiederum Jahre in Anspruch nehmen dürfte.

In Apulien erlebt Itschner mit seiner BKW keine solchen Rückschläge. «Hier besteht ein starker Konsens über solche Projekte.» Lange Zeit war Italien in der Stromproduktion stark von den fossilen Energien abhängig. Das will man nun ändern. Das zeigt sich etwa bei den Verfahren, die deutlich kürzer sind. In der Schweiz laufen diese sequenziell: Auf das Verfahren eins folgt das Verfahren zwei, dann das Verfahren drei – und jeder der Schritte kann auf gerichtlichem Weg angefochten werden. In Italien dagegen erfolgen alle Schritte gleichzeitig – was die Planung der Anlagen stark vereinfacht.

Auch ist laut Itschner die Flexibilität höher. Für die Windkraftanlagen in Tramelan muss die BKW veraltete Turbinen installieren, weil im Baugesuch vor zehn Jahren der Turbinentyp spezifiziert werden musste. In Italien müssen im Gesuch stattdessen bloss Parameter wie die Höhe der Anlagen und die Lärmemissionen angegeben werden. Im späteren Projektverlauf hat das Unternehmen dann die Wahl zwischen den einzelnen Lieferanten.

Von diesen Vorteilen profitiert die BKW auch bei ihrem neusten Windparkprojekt in Cerignola, etwa hundert Kilometer östlich von Neapel. Dort plant das Unternehmen erstmals in Eigenregie einen Windpark in Italien, es ist das derzeit grösste Festlandprojekt Italiens. Rund 250 Millionen Franken betragen die Investitionskosten. Noch dieses Jahr beginnt der Bau der Anlagen, bereits Ende nächstes Jahr sollen sie ans Stromnetz angeschlossen sein. Die BKW wird dann zu den zehn grössten Windkraftproduzenten Italiens gehören.

Auch in Cerignola erwies sich die Einigung mit den gegen 800 Landeigentümern zum Teil als umständlich. Doch fundamentale Opposition gegen den Windpark gab es nirgends. Die Landeigentümer – meist Bauern – erhalten pro Jahr bis zu 20 000 Franken, wenn sie ihr Land für den Bau der Anlagen und Leitungen zur Verfügung stellen. Es handelt sich um ein willkommenes Nebeneinkommen; besonders angesichts der in letzter Zeit häufigen Ernteausfälle durch Extremwetter. Einzelne Landeigentümer, auf deren Boden mehrere Windräder stehen sollen, erhalten vom Schweizer Stromkonzern gar mehrere hunderttausend Franken im Jahr.

Es überrascht nicht, dass die BKW unter diesen Vorzeichen ihre Wind-Millionen fürs Erste im Ausland investiert. In Frankreich, Deutschland, Norwegen, Schweden und Italien hat das börsenkotierte Unternehmen denn auch fast 1000 Gigawatt an Windleistung installiert. Und gesteuert werden diese Anlagen nicht etwa am Stammsitz in Bern, sondern in einer Filiale im apulischen Provinzort Troja.

Schweizer Windparks werden von Italien aus gesteuert

Dort hat sich eine BKW-Tochter auf die Wartung und den Betrieb von Windkraftanlagen spezialisiert. Über sechzig Techniker warten in der Region Windräder verschiedener Betreiber – nicht nur jene der BKW. Sie überwachen auch die Anlagen in der Schweiz. Fällt eine Turbine im Berner Jura aus, bieten die italienischen Mitarbeiter im Kontrollraum in Apulien einen Schweizer Techniker auf.

Weicht die BKW ins Ausland aus, weil die Hürden in der Schweiz so hoch sind? Robert Itschner stellt das in Abrede. Die BKW hat in der Schweiz eine Liste von Wind-, Solar- und Wasserkraft-Projekten, in die sie 1 Milliarde Franken investieren will. «Diese Projekte möchten wir unbedingt realisieren.» Allerdings sei nicht absehbar, wann diese umgesetzt werden könnten. Sicher sei aber, dass man die Erlöse aus dem Auslandgeschäft benötige, um diese Milliarde in Schweizer Projekte aufzubringen zu können. «Es geht also nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch», sagt Itschner.

Den Glauben an die Windkraft in der Schweiz hat der BKW-Chef nicht verloren. Dass die Schweiz kein Windland sei, wie dies die Gegner stets betonten, stimme nicht. Gewiss, die verfügbaren Flächen seien wegen der dichten Besiedlung begrenzt. Doch gebe es genug Wind, sagt Itschner. Er weist auf eine unlängst veröffentlichte Studie des Bundesamts für Energie hin, die das Potenzial für die Windenergie in der Schweiz stark nach oben korrigiert hat. «Sprach man noch vor wenigen Jahren von einigen wenigen Terawattstunden, sind es heute dreissig», was etwa der Hälfte des jährlichen Stromverbrauchs in der Schweiz entspricht.

Günstiger als alpine Solaranlagen

Zurückzuführen ist diese Aufwertung der Windkraft laut Itschner vor allem auf den Fortschritt der Technologie. Windräder sind heute deutlich günstiger und leistungsfähiger als noch vor ein paar Jahren. Sie sind der alpinen Solarkraft überlegen, deren Anwendung kaum erprobt ist und bei der oft Netzanschlussprobleme auftreten. Im Gegensatz dazu sei die Windkraft-Technologie sehr weit fortgeschritten. «Man weiss ganz genau, wie man die Turbinen auslegen muss, da gibt es wenig Überraschungen.»

Itschner ist überzeugt, dass die Schweiz ihre Versorgungsprobleme im Winter massgeblich entschärfen könnte, wenn auch nur 200 bis 300 zusätzliche Windturbinen realisiert würden. Dass die Schweiz angesichts der Blockade bei den erneuerbaren Energien erwägt, stattdessen auf den Bau von neuen Kernkraftwerken zu setzen, hält er für verfehlt. Das Stimmvolk habe sich in den vergangenen Jahren zweimal für den Ausbau der Erneuerbaren ausgesprochen. Die Schweiz tue gut daran, sich nun auf die Umsetzung dieser klaren Volksentscheide zu konzentrieren. Schon wieder über Alternativen zu sprechen, sei nichts anderes als kontraproduktiv.

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