Die Regierung von Giorgia Meloni hat in Albanien ein Zentrum für Asylbewerber eröffnet. Fragen und Antworten zum umstrittenen Migrationsdeal.
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- Kurz nach der Aufnahme der ersten Migranten in einem italienischen Lager zur Prüfung von Asylanträgen in Albanien hat ein Gericht deren Inhaftierung ausserhalb der EU für unzulässig erklärt. Das Gericht in Rom urteilte am Freitag (18. 10.), dass die zwölf Männer aus Bangladesh und Ägypten nach Italien gebracht werden müssen, damit dort über ihre Asylanträge entschieden werden kann. Begründet wurde der Entscheid damit, dass beide Länder keine sicheren Herkunftsländer seien. Unklar war zunächst, ob die Migranten nun gleich nach Italien kommen oder das Verfahren in die nächsthöhere Instanz geht.
Wer wird in die Zentren gebracht?
Am Mittwoch hat das erste italienische Schiff mit Migranten an Bord im albanischen Shengjin angelegt. An Bord der «Libra» befanden sich sechzehn Männer, zehn aus Bangladesh und sechs aus Ägypten. Sie wurden zuerst ins Empfangszentrum der kleinen Hafenstadt gebracht. Die Migranten waren am Sonntag von der italienischen Küstenwache südlich der Insel Lampedusa aufgegriffen worden.
Die Italiener kontrollieren jetzt regelmässig Migrantenschiffe in internationalen Gewässern vor ihrer Küste. Männer aus Ländern, die als sicher betrachtet werden (gemäss einer Liste sind es 21, darunter etwa Côte d’Ivoire und Tunesien), werden zur Abklärung nach Albanien verbracht. Frauen, Kinder, Verletzte, aber auch Männer aus Ländern mit hohen Asylquoten gelangen weiterhin nach Italien.
2023 kamen 157 000 Personen über die zentrale Mittelmeerroute nach Italien, die meisten via Libyen und Tunesien. Im Vergleich dazu haben im laufenden Jahr die Überfahrten um 60 Prozent abgenommen. Die EU führt das auf Migrationsabkommen mit den beiden Ländern zurück.
Wie funktionieren die Zentren in Shengjin und Gjader?
Nach einem kurzen Aufenthalt im Empfangszentrum in Shengjin mit 200 Plätzen werden die Migranten ins zwanzig Kilometer entfernte Gjader gebracht. Das neue Asylzentrum steht auf einem ehemaligen Luftwaffenstützpunkt. Laut italienischen Medienberichten bietet es Platz für 880 Asylbewerber, zudem eine Abteilung für 144 Personen, die auf ihre Rückführung warten, und einen Gefängnistrakt für 20 Personen. Laut dem Vertrag darf Italien das Zentrum für bis zu 3000 Personen ausbauen.
Auf dem Areal gilt italienisches Recht, und die Zentren werden von italienischem Personal betrieben. Sowohl das Zentrum in Shengjin als auch jenes in Gjader sind geschlossene Institutionen. Der Neuankömmling durchläuft einen Gesundheitscheck, bevor das Asylverfahren eröffnet wird. Dieses soll maximal vier Wochen dauern (inklusive Berufungsmöglichkeit). In Italien dauern die Verfahren meist über ein Jahr. Wer abgelehnt wird, soll in die Heimat oder in ein sicheres Drittland gebracht werden. Das Uno-Flüchtlingswerk UNHCR ist eingeladen, den Betrieb zu beobachten. Über die nächsten fünf Jahre sollen die Kosten 670 Millionen Euro betragen.
Welche Rolle spielt Albanien?
Albanien hat die Vereinbarung mit Italien (Italien-Albanien-Protokoll) am 6. November 2023 unterzeichnet. Es übernimmt die Aussenbewachung der Zentren. Alles andere, so der Ministerpräsident Edi Rama, befinde sich in italienischer Hand. Rama betont, dass Albanien den benachbarten Italienern einen Dienst erweise, ohne dafür etwas zu verlangen. Meloni hat allerdings versprochen, sich für den EU-Beitritt des Landes einzusetzen. Tirana hat dieser Tage sein erstes Verhandlungskapitel mit Brüssel eröffnet. Auch das lokale Gewerbe hofft, von dem Asylzentrum zu profitieren. In Gjader wurde die «Trattoria Meloni» eröffnet.
Was sagt die Politik?
In Italien ist der «Apéro-Pakt» umstritten. Kritiker nennen das Abkommen so, weil es angeblich bei einem Stelldichein von Meloni und Rama ausgedacht worden war. Die Opposition stellt die Wirksamkeit infrage, insbesondere was die Möglichkeit von Rückführungen betrifft: Es entstehe nun in Albanien ein Zentrum wie jenes auf Lampedusa, wo die Lage früher oder später ausser Kontrolle gerate. Innenminister Matteo Piantedosi argumentiert hingegen, dass es bei dem neuen System primär um Abschreckung gehe: Wer keine Aussicht auf Asyl habe, also ein grosser Teil der Migranten, werde es sich zweimal überlegen, ob er in ein Boot steigen werde, um dann in Albanien zu landen.
Das Experiment findet europaweit Resonanz. Der britische Premier Keir Starmer liess es sich in Rom erläutern und soll angeblich Interesse gezeigt haben, die Infrastruktur mitzubenützen. Die Italiener lehnten ab. Im Mai schrieben fünfzehn EU-Innenminister einen Brief an die Kommission, in dem sie den Transfer von Asylbewerbern in Drittstaaten empfahlen.
Kurz vor dem EU-Gipfel vom Donnerstag und Freitag hat die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Schreiben zur Migrationspolitik an die Mitgliedstaaten geschickt. Darin wird das Italien-Albanien-Protokoll als möglicherweise wegweisend aufgeführt. Noch vor zwei Jahren klang das anders. Die zuständige Kommissarin bezeichnete damals die Auslagerung von Verfahren als inhuman. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International halten weiter an der strikten Ablehnung fest. Der Ansatz sei schändlich und beschneide das Recht auf ein Asylverfahren.
Was sind die wichtigen rechtlichen Fragen?
Italien betrachtet Albanien als sicheren Drittstaat, weshalb es die Auslagerung der Verfahren für rechtmässig hält: Sie werden dort nach italienischen Gesetzen durchgeführt, die Antragsteller verfügen über Rechtsberatung und eine Einsprachemöglichkeit. Juristen verweisen zudem auf ein Gutachten des Rechtsdienstes des Europa-Parlaments. Dieser hatte 2018 festgestellt, dass Migranten, die auf hoher See aufgegriffen würden, in Drittstaaten verbracht werden dürften. Das EU-Recht greife dann nicht. Anders verhalte es sich, wenn die Migranten sich in den Gewässern eines Mitgliedsstaats befänden.
Britische Gerichte hatten letztes Jahr mit Blick auf das Rwanda-Abkommen entschieden, dass die Auslagerung von Verfahren in ein Drittland nach internationalem Recht grundsätzlich zulässig sei. Allerdings nur dann, wenn ein faires Verfahren garantiert sei. Juristen von Hilfsorganisationen widersprechen dieser Auffassung. Das Italien-Albanien-Protokoll wird zweifellos auch die Gerichte noch beschäftigen.