Sonntag, November 24

Die Regierung von Giorgia Meloni will die italienische Küche zum immateriellen Weltkulturerbe machen. Kritiker sehen darin einfach eine kluge Marketingstrategie.

Die italienische Küche hat es weit gebracht. Sie gilt als Inbegriff von Tradition und Genuss und ist weltweit ein Verkaufsschlager. Diesen Mittwoch, am Internationalen Tag der italienischen Küche, schafft sie auch den Sprung ins Weltall. Denn wenn heute in Florida eine Gruppe Astronauten zur Internationalen Raumstation (ISS) aufbricht, werden sie erstmals unterwegs mit Fertig-Pasta aus Italien verköstigt.

Das Projekt «Italian Space Food» ist Teil von Italiens jüngster Bewerbung um die Anerkennung der nationalen Küche als immaterielles Unesco-Weltkulturerbe. Dass der Start der ISS-Mission mit dem Welttag der nationalen Küche zusammenfällt, kommt der italienischen Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gerade recht. Seit ihrem Amtsantritt vor mehr als einem Jahr rührt sie die Werbetrommel für alles, was «made in Italy» ist. Meloni zeigte sich daher auch erfreut, dass es gelang, «exzellente Lebensmittel und ein ikonisches Produkt wie Pasta» in den Weltraum zu bringen.

Der Internationale Tag der italienischen Küche findet traditionell am 17. Januar statt, dem Gedenktag für Antonius den Grossen, den Schutzpatron der Metzger. Überall auf der Welt finden Veranstaltungen und Food-Festivals zu Ehren der Küche statt.

Streit um traditionelle italienische Küche

Darüber, wie traditionell die italienische Küche tatsächlich ist, wird heftig gestritten. Kritiker sehen hinter der Bezeichnung «typisch italienisch» einfach eine kluge Marketingstrategie sowie eine identitätsstiftende Erzählung, die mit den Tatsachen nur begrenzt etwas zu tun habe.

Einer der Kritiker ist der Wirtschaftshistoriker Alberto Grandi aus Parma. Schon seit Jahren betätigt er sich als Mythenzerstörer. 2018 publizierte er das Buch «Denominazione di origine inventata» (erfundene Ursprungsbezeichnung). Später lancierte er unter demselben Namen einen erfolgreichen Podcast, in dem er die «wahre Geschichte der italienischen Küche» präsentiert.

Parmesan aus dem amerikanischen Gliedstaat Wisconsin etwa sei viel näher am ursprünglichen Produkt als jener, der heute in der Gegend um Parma und Reggio Emilia hergestellt werde, führte Grandi im Frühling 2023 im Gespräch mit der NZZ aus. Während er in Italien in Vergessenheit geraten sei, hätten ihn italienische Auswanderer in den Vereinigten Staaten nach den alten Rezepten weiterhin hergestellt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sei der Parmesan in Italien zum bröckligen Hartkäse verfeinert worden, wie man ihn heute kenne.

Wo kommt die Carbonara her?

So zerlegt Grandi gleich eine Reihe von Mythen rund um die italienische Küche. Pizza etwa sei erst in den 1950er Jahren zum Nationalgericht geworden, die Carbonara sei in Chicago erfunden worden, und auch Tiramisu sowie Panettone seien in Italien erst in der Neuzeit entstanden. Auch die Tomatensauce sei eigentlich eine Erfindung aus Spanien und sei im 19. Jahrhundert in Italien noch als «salsa spagnola» bezeichnet worden.

Viele Gerichte, die heute als typisch italienisch gelten, sind laut Grandi das Ergebnis von Austausch und Nachahmungen. Erst in den siebziger Jahren, als Reaktion auf eine wirtschaftliche Krise und bestärkt durch den Tourismus, habe sich die Erzählung von dem Land, in dem es sich gut leben und essen lässt, in der italienischen Gesellschaft verankert.

Die italienische Politik trägt dazu bei, dieses Bild zu zementieren, auch mit der Unesco-Kampagne. Italiens Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, der Schwager der Regierungschefin Meloni, sagte dazu: «Die italienische Kulinarik ist ein Schatz und muss verteidigt werden.» Er regte eine Task-Force an, die darüber wachen soll, dass italienische Gerichte im In- und Ausland nach Originalrezept zubereitet werden.

Stimmen wie jene von Grandi, die diese Darstellung stören, passen nicht in dieses Bild. Als er im März 2023 der «Financial Times» ein breit rezitiertes Interview gab und seine Thesen darlegte, wurde er vom Vizeregierungschef Matteo Salvini angegriffen. Dieser erklärte: «‹Experten› und Zeitungen sind neidisch auf unseren guten Geschmack.» Der italienische Landwirtschaftsverband Coldiretti sprach in einer Erklärung gar von einem «surrealen Angriff» auf die italienische Küche.

Immer Ärger mit der Ananas

Ein besonderes Ärgernis ist dem Verband die Pizza Hawaii. Diese sei ein «echtes Sakrileg», erklärte Coldiretti im vergangenen Jahr. Ananas sei als Dessert zwar ganz in Ordnung, doch auf der Pizza habe sie nichts verloren.

Dass man damit in Italien nicht spassen sollte, erfuhr im Dezember der Pizzabäcker Gino Sorbillo aus Neapel. Sein Restaurant im historischen Zentrum der Stadt, das er in dritter Generation führt, ist weltbekannt und bei Prominenten aus dem In- und Ausland beliebt. Auf Instagram erklärte er in einem Video, jetzt eine Pizza mit Ananas versuchen zu wollen, da er sie auf seine Speisekarte nehme. Dann nimmt er einen Biss der Pizza und verkündet: «Leute, ich schwöre euch, sie ist gut.»

Dabei gilt Sorbillo eigentlich als Vertreter der klassischen Pizzatradition. Er half mit, die «Kunst des neapolitanischen Pizzabäckers» 2017 in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes aufzunehmen. Die Reaktionen auf das Ananas-Video fielen sehr heftig aus. «Ich liebe Pizza, und ich liebe Ananas, aber lasst uns nicht das Heilige mit dem Profanen vermischen», kommentierte eine Person. Der Auftritt von Sorbillo kann wohl als gezielte Provokation abgetan werden. Denn die Kreation mit (frischer) Ananas gibt es in einem neuen Restaurant, das der Pizzabäcker soeben in Neapel eröffnet hat.

Der Wirtschaftshistoriker Grandi erklärt sich die heftigen Debatten um das italienische Essen damit, dass die Küche das letzte Stück Identität sei, das den Italienern geblieben sei. «Deshalb werden sie sehr wütend, wenn die Geschichte unserer Rezepte infrage gestellt wird», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Grandi bezweifelt, dass man mit der Weltall-Pasta der italienischen Küche einen Gefallen tut. Das sei einfach eine Werbeinitiative sowie ein weiterer Versuch, eine bestimmte Idee der italienischen Küche zu bewahren. Das sei allerdings keine Spezialität der rechten Meloni-Regierung. Tradition und Küche seien Querschnittsthemen, auf denen auch die Linke gerne herumreite.

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