Montag, November 25

Nach einem entsprechenden Vorfall um den französischen Nationaltorhüter Mike Maignan von der AC Milan will sich eine sonderbare Koalition des leidigen Problems annehmen.

Der Rassismusvorfall im Stadion von Udine vom letzten Samstag schraubt sich zum Politikum hoch. Italiens postfaschistische Ministerriege sieht sich zur verbalen Verurteilung des Vorgefallenen gezwungen, nachdem Mike Maignan, der Torhüter der AC Milan, verunglimpft worden ist.

Der Innenminister Matteo Piantedosi sagte: «Diese hasserfüllten Gesten von einer Hand voll Delinquenten, die sich in der Masse zu verstecken versuchen, diskreditieren eine ganze Gesellschaft und vermitteln ein verzerrtes Bild unseres Landes.» Auch Sportfunktionäre gaben ihrem Entsetzen Ausdruck. Aber das kennt man von ihnen. Die Textbausteine liegen seit Jahren parat. Denn diese Art von Vorfällen hat Tradition.

2005 verliess der ivoirische Verteidiger Marco André Zoro von Messina das Spielfeld, weil er von Fans von Inter Mailand rassistisch beleidigt worden war. 2010 revanchierte sich Samuel Eto’o, im Trikot von Inter, für Angriffe von Cagliari-Anhängern nicht nur mit einem Tor, sondern auch mit einer Parodie auf jene Affenlaute und Affenbewegungen, mit denen er zuvor bedacht worden war.

2013 ballerte Kevin-Prince Boateng voller Wut einen Ball in Richtung Fankurve des unterklassigen Vereins Pro Patria, gegen den die AC Milan ein Freundschaftsspiel absolvierte. Auch hier waren Affenlaute und Beleidigungen der Auslöser. Die komplette Milan-Mannschaft verliess aus Solidarität den Rasen – dies geschah auch jetzt, gut eine Dekade später im Friaul.

Maignan diskutierte mit dem Schiedsrichter – und nahm später seine Branche in die Pflicht

Die komplette Liste der Vorfälle würde die Seiten sprengen. Erfasst ist ohnehin nur, was zu Abbrüchen, Sanktionen und öffentlich gemachten Beschwerden von Betroffenen führte und dadurch Aufmerksamkeit erlangte. Neu ist, dass sich der Fifa-Präsident Gianni Infantino in die Debatte einmischt. Er forderte härtere Massnahmen gegen involvierte Klubs, bis hin zu automatischen Ausschlüssen. Und er sprach von weltweiten Stadionverboten für einzelne Delinquenten. Daran muss er sich nun messen lassen.

In Udine handelte es sich nicht um einen isolierten Vorfall. Schon in der 25. Minute ging der Milan-Goalie Maignan zum Schiedsrichter Fabio Maresca, um sich über Beleidigungen von den Rängen zu beschweren. Nach dem Führungstor für Milan eskalierte dann die Situation. Maignan ging erneut zum Referee, welcher ihn beruhigen wollte. Maresca sagte: «Ich habe versucht, mich wie ein grosser Bruder ihm gegenüber zu verhalten. Mir tat leid, was ihm passiert war, er wirkte emotional sehr aufgewühlt.»

Maignan liess sich nicht beruhigen, eben auch, weil Maresca ihm in diesem Moment nicht signalisierte, den Match unterbrechen zu wollen. Der Schiedsrichter verteidigte sich später: «Ich musste die gesamte Situation im Blick behalten und habe mich ans Reglement gehalten. Das sah zunächst Ermahnungen an die Zuschauer über die Stadionmikrofone vor, dann die Aufforderung an die Spieler, das Feld zu verlassen und schliesslich den Abbruch der Partie. Letztgenanntes war aber nicht notwendig.»

Maignan sah das anders. Und hatte Grund dazu. Denn selbst nach der Unterbrechung, als alle Spieler zurückgekehrt und Udinese das 1:1 erzielt hatte, musste sich der französische Nationalspieler von Schreiern beleidigen lassen.

Maignan nahm seine Branche in die Pflicht: «Ich musste das schon öfter erleben, und ich bin auch nicht der Erste, der so angegriffen wird. Wir haben Pressemitteilungen herausgegeben, Protokolle verfasst, aber geändert hat sich nichts. Jetzt muss das gesamte System des Fussballs seine Verantwortung wahrnehmen.» Zahlreiche Spieler solidarisierten sich mit ihm, auch der Brasilianer Vinicius Junior, der Star von Real Madrid, der mehrfach Opfer solcher Beleidigungen geworden ist.

Was alles noch bizarrer macht: Zwölf Spieler des Heimklubs Udinese haben afrikanische Vorfahren

In Udine wurde derweil eine Kaskade von Entschuldigungen in Gang gesetzt. Maignan wurde vom Bürgermeister der Stadt die Ehrenbürgerwürde in Aussicht gestellt. Die Sicherheitsbehörden identifizierten nach Auswertung der Stadionkameras einen Täter. Für ihn wurde ein Stadionverbot für fünf Jahre erlassen. Der Klub Udinese verkündete, alle Schuldigen auf Lebenszeit sperren zu wollen.

Das kann man auch als Versuch deuten, mit einer möglichst geringen Strafe davonzukommen. Das Sportgericht beliess es jedenfalls bei der Mindeststrafe; dem einen Match ohne Zuschauer. Was die Situation in Udine noch bizarrer macht: Der Klub ist bekannt für intensives Scouting im Ausland, im Kader stehen nur fünf Italiener, zwölf Spieler haben afrikanische Vorfahren. Internationalität ist hier seit langem Trumpf.

Die Affenlaute dürften auch kaum je gegen eigene Spieler gerichtet gewesen sein. Obschon es 1989 diesen sonderbaren Vorfall gab: Damals wollte Udinese den israelischen Spieler Ronny Rosenthal verpflichten, was unter den Ultras des Klubs eine Empörungswelle auslöste, es tauchten Sprüche auf wie «Juden raus». Der Transfer scheiterte.

Mike Maignan Best Saves 2022-23

Der Fussball bekommt eine toxische Komponente

In den italienischen Stadien verbinden sich zwei Phänomene: eine latent rechte oder rechtsextreme Gesinnung; gerade in den Fussballarenen formierten sich Gruppierungen wie Forza Nuova. Ein weiterer Katalysator für die vergiftete Stimmung ist die Unart, den Gegner abzuwerten. Das fängt mit Pfiffen bei der Bekanntgabe der Aufstellung an und geht über massive Beschimpfungen bis hin zu rassistischen Beleidigungen.

Nicht jeder, der mitbrüllt, muss jenseits des Stadions ein Rassist sein. Aber die Grenzen verschwimmen. Und hier bekommt der Fussball, von Soziologen gern als Ventil für den Abbau von Alltagsfrust gesehen, eine toxische Komponente. Denn in den Stadien wird auf diese Weise Rassismus eingeübt und quasi zu einer Normalität gemacht.

Das Interesse, Gegensteuer zu geben, ist nicht sonderlich ausgeprägt. Klubs fürchten Strafen und sind daher eher versucht, Probleme herunterzuspielen. Infantinos Vorschlag, Vereine mit Rassismusproblemen «automatisch» auszuschliessen, dürfte somit in der Branche auf grösseren Widerstand stossen.

Italiens Innenminister Piantedosi versprach einen anderen Weg. Er will durch drastischere Strafen und konsequentere Verfolgung einzelne Täter stärker abschrecken. Die Aufklärung des Eklats von Udine könnte in dieser Hinsicht Massstäbe setzen.

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