Mittwoch, November 12

Der Senator aus Ohio vertritt teilweise radikalere Haltungen als sein Vorbild Donald Trump, zum Beispiel in der Aussenpolitik. Wie wird sich der Jungpolitiker im republikanischen Zentrum der Macht weiterentwickeln?

Donald Trump kürt mit J. D. Vance nicht nur einen Vizepräsidentschaftskandidaten, er präsentiert seinen politischen Erben. So deklarierte Trump es selbst im Vorfeld der Wahl: Sein primäres Auswahlkriterium sei es, einen Vize zu finden, der nach ihm das Land regieren könne. Der 78-jährige Trump tut also das, was Joe Biden verpasste: die Nachfolge zu regeln, und zwar mit einem dynamischen 39-jährigen Polittalent. Damit zeichnet er die Zukunft der Republikanischen Partei vor und – bei einer Wahl von Trump und Vance im November – einer möglichen republikanischen Regierungsära für mehrere Amtszeiten. Mit J. D. Vance setzt Trump nicht auf einen Partner, der einen mässigenden Einfluss ausübt, sondern auf einen, der die Make-America-Great-Again-Bewegung verstärkt.

J. D. Vance ist ein junger Politiker mit schnittigem Rechtsdrall und einem akzentuierten Sinn für seine Aufstiegschancen. Geschickt hat er sich in den letzten acht Jahren innerhalb der sich wandelnden Republikanischen Partei positioniert. Er entwickelte sich glaubhaft vom Trump-Kritiker zum Trump-Loyalisten – indem er Reue zeigte und eine enge Freundschaft mit Donald Trump junior einging, der erfolgreich bei seinem Vater für Vance lobbyiert hat. Vance bringt vieles mit, was ihn zum Shooting-Star der Trump-Ära prädestiniert: eine harte Jugend in der Stahlindustrie-Region der Appalachen, Militärdienst im Irak, ein Studium an einer Eliteuniversität, ein Bestseller-Buch, seit 2022 einen Senatssitz – und eine ideologische Elastizität, die bedrohlich wirken kann.

Klassenkämpferische Rhetorik

Seine politischen Standpunkte hat er denjenigen Donald Trumps angeglichen, in der Rhetorik überholt er sein Vorbild oft. So setzte er nach dem Attentat auf Trump eine Nachricht auf X ab, welche die Biden-Kampagne direkt beschuldigte. Derweil rief Trump staatsmännisch zur Mässigung auf.

Vance scheut sich nicht, Trumps undemokratische Tendenzen anzufeuern. Jüngst erklärte er, wäre er 2020 Vize gewesen statt Mike Pence, hätte er im Kongress die Wahl von Joe Biden nicht zertifiziert. Damit empfahl er sich Trump als Gehilfe für einen möglichen künftigen Staatsstreich. Wie Trump weigert er sich zu versprechen, er werde das kommende Wahlresultat akzeptieren. Beide sagen: Nur wenn die Wahlen fair und frei seien. Es gab und gibt jedoch keine Anzeichen oder Beweise dafür, dass sie nicht frei und fair waren oder sein werden. Trumps Behauptung, seine Wiederwahl sei 2020 gestohlen worden, hat sich als haltlos erwiesen.

Auch in seiner klassenkämpferischen Rhetorik ist Vance bemerkenswert radikal, was amerikanische Unternehmer und Wirtschaftsvertreter derzeit beunruhigt. Wohl nicht zuletzt aufgrund seiner Biografie hegt Vance gegenüber den Eliten einen tiefen Groll, der über denjenigen von Donald Trump hinausgeht. Der Autor der Underdog-Saga «Hillbilly Elegy» aus dem verarmten, drogenverseuchten Rostgürtel schlägt in seinen Auftritten gerne populistische Töne gegen die Wirtschaftseliten an, die bei seiner Wählerschaft in Ohio gut ankommen. Im Kongress paktierte er wiederholt mit dem progressiven Flügel der Demokraten und setzte sich beispielsweise für den Arbeiterschutz von Bahnarbeitern und gegen Boni für leistungsschwache Banker ein. Er lobte das aggressive Vorgehen der Kartellbehörde der Biden-Regierung in der Tech-Industrie; und wie Trump verlangt er allgemeine Schutzzölle auf importierten Gütern. Gleichzeitig wurde Vance im Wahlkampf für seinen Senatssitz vom Tech-Milliardär Peter Thiel massgeblich unterstützt.

Isolationismus verheisst nichts Gutes für Europa

In der Aussenpolitik vertritt Vance einen Isolationismus, der Europa Sorgen bereiten sollte. Er ist ein vehementer Gegner der amerikanischen Militärhilfe an die Ukraine. In einem Podcast mit dem militanten Konservativen Steve Bannon sagte Vance 2022: «Es ist mir wirklich egal, was mit der Ukraine geschieht.» Im Kongress war er einer der republikanischen Drahtzieher, welche das 60-Milliarden-Hilfspaket blockierten. Auch diesbezüglich politisiert J. D. Vance auf der Linie der sogenannten Neuen Rechten; das lose Netzwerk junger Konservativer will die populistisch-nationalistische Revolution von Trump in eine noch radikalere Richtung führen und schliesslich ganz Amerika umgestalten.

An der Seite Trumps hat Vance nun die Chance, mit seinen politischen Ideen seine Partei und vielleicht das Land sowie die Geopolitik in der Zukunft zu prägen. Ob und wie er das tut? Vance ist ein junger Politiker, vielleicht werden ihm Erfahrung, Verantwortung und seine bereits unter Beweis gestellte ideologische Elastizität künftig zu gemässigteren Positionen verhelfen. Vielleicht aber auch nicht.

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