Mittwoch, November 6

Die grossen sozialen Netzwerke bauen vermehrt Personal im Bereich der Wahlsicherheit ab. Ein Branchenkenner befürchtet russischen Einfluss auf künftige Wahlen.

Beim Kurznachrichtendienst X werden künftig nur noch wenige Mitarbeitende gegen die Verbreitung von Falschinformationen im Zusammenhang mit demokratischen Wahlen vorgehen. Laut einem Bericht des Onlinemediums «The Information» wird im «Election Integrity»-Team die Hälfte der Stellen abgebaut.

Das Team kümmert sich um die Bekämpfung von koordinierten Spam- und Bot-Netzwerken auf dem Kurznachrichtendienst. Vor der Übernahme durch Elon Musk im vergangenen Jahr hatte es etwa zwei Dutzend Mitglieder. Künftig werden nur noch ein paar wenige Mitarbeiter von Nordamerika aus arbeiten. Die Führungskräfte sollen den Angestellten mitgeteilt haben, dass es nicht notwendig sei, Mitarbeiter für die Integrität von Wahlen in Europa zu haben.

Ein Sprecher des Unternehmens wollte die Kürzungen nicht kommentieren. Elon Musk hingegen bestätigte den Abbau. «Oh, ihr meint das Team für die ‹Integrität von Wahlen›, das die Integrität von Wahlen untergrub? Ja, die sind weg», schrieb er in einem spöttischen Post auf X.

Von den Kürzungen seien alle vier in Dublin ansässigen Mitglieder des Teams betroffen, unter ihnen auch der Teamleiter Aaron Rodericks. Er hatte erst im vergangenen Monat noch eine Stellenausschreibung auf Linkedin gepostet, um neue Mitarbeiter für sein Team zu rekrutieren. Damals plante X unter anderem die Einstellung eines «Leiters für Bürgerintegrität und Wahlen». Als die Kürzungen ausgesprochen wurden, war Rodericks suspendiert. Er hatte Tweets mit «Gefällt mir» markiert, die sich kritisch über X, Musk und CEO Linda Yaccarino äusserten.

Yaccarino kündigte Ausbau an

Mit dem jüngsten Stellenabbau widerspricht das Unternehmen einer Aussage von CEO Yaccarino. Sie hatte am Mittwoch gegenüber der «Financial Times» gesagt, der Kurznachrichtendienst werde sein globales Team, das sich um die Sicherheit bei Wahlen kümmert, weiter ausbauen, um «Dinge wie Manipulationen, nichtauthentische Accounts» und «weitere aufkommende Bedrohungen» zu bekämpfen.

Die Aussage tätigte Yaccarino mit Blick auf das kommende Jahr. 2024 stehen weltweit mehr als 50 bedeutende Wahlen an, darunter die Europawahlen im Juni sowie die amerikanischen Kongress- und Präsidentschaftswahlen im November. Twitter wurde vor der Übernahme von Elon Musk immer wieder vorgeworfen, konservativen Stimmen die Reichweite zu kürzen und liberal-progressive Argumente zu verstärken.

Auch andere Plattformen sparen bei der Wahlsicherheit

Was bei X nun mit einem Knall passiert, geschieht bei anderen Onlineplattformen schleichend. So hätten jüngst auch Facebook, Instagram und Youtube Angestellte in den Wahlsicherheitsteams entlassen, sagte Yoel Roth, der ehemalige Leiter der Abteilung «Trust and Safety» von Twitter, vergangene Woche im Interview mit der NZZ. Dies insbesondere im Zusammenhang mit der Wirtschaftsflaute in den USA und dem Ende des Tech-Booms an der Börse.

Tatsächlich wurde laut amerikanischen Medienberichten bei Meta unter anderem die Entwicklung einer neuen Schnittstelle gestoppt, die externen Experten von Universitäten und Medienagenturen die Möglichkeit gegeben hätte, Falschinformationen und irreführende Informationen auf Facebook und Instagram als solche zu kennzeichnen. Meta-Ingenieure hätten davor ein halbes Jahr an dem Tool gearbeitet. Nach dem massiven Kursverlust von Meta an der Börse gab CEO Mark Zuckerberg allerdings bekannt, über 20 000 Stellen zu streichen. In diesem Zusammenhang sei auch das Projekt nicht weiterverfolgt worden.

Der ehemalige Twitter-Manager Roth sagte der NZZ, er glaube, es sei ein «unangenehmes, aber wahrscheinliches Szenario», dass ausländische Mächte wie Russland auf kommende demokratische Wahlen Einfluss nehmen würden. Wie dies möglich sein könnte, zeigten die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016. Damals arbeiteten russische Trollfabriken mit Social-Media-Kampagnen daran, die amerikanische Gesellschaft entlang ethnischer und religiöser Unterschiede zu spalten und das Vertrauen in den Staat zu untergraben. «Ich befürchte, es muss wieder etwas Schlimmes passieren, damit die Plattformen ihre Bemühungen verstärken», sagte Roth.

Neue EU-Gesetzgebung setzt dem Job-Abbau Grenzen

Allerdings könnte eine neue Gesetzgebung aus der Europäischen Union die Konsequenzen des Job-Abbaus zumindest für Europa abschwächen. Die Digital Services Act (DSA), der sich grosse Tech-Plattformen wie Twitter, Facebook oder Youtube nun unterwerfen müssen, nennt Desinformation namentlich als «Gefahr für die Gesellschaft» und verlangt Massnahmen gegen ihre Verbreitung. Laut dem Branchenkenner Roth hat nun «sogar Twitter Leute eingestellt, die dafür sorgen, dass die Plattform die neuen Regeln respektiert». Die DSA werde damit dazu beitragen, potenzielle Schäden zu reduzieren, prognostiziert Roth.

Ob die jüngsten Kündigungen bei X nun tatsächlich einen Unterschied machen, sei dahingestellt. Elon Musk hatte schon im Frühjahr mehr als 80 Prozent der Angestellten entlassen und die Content-Moderation heruntergefahren. Weiter stieg er im Mai aus einer Vereinbarung für den Umgang mit Falschinformationen zwischen der EU und grossen Onlinediensten aus. Im September schnitt X dann bei einer Auswertung der EU-Kommission besonders schlecht ab: X habe im Vergleich zu allen grossen Onlineplattformen den höchsten Anteil an Falschinformationen.

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