Sonntag, September 8


In Watte gepackt

Kaum wird es kalt, greifen Menschen zu XXL-Daunenmänteln im Duvetstil. Ist das eine angemessene Reaktion auf die Kälte, oder steckt da noch mehr unter der Decke?

Spätestens wenn das Thermometer unter null Grad fällt, bevölkern sich die hiesigen Strassen mit wandelnden Schlafsäcken. Knöchellange, plustrige Daunenmäntel samt Kapuze umhüllen Männer und Frauen, Kinder und Pensionäre. Was als belächelter Trend begann, ist heute Standard: überall Michelin-Männchen.

In ihrer Unförmigkeit haben sie sich anfangs noch stark von den auf Körpermasse geschnittenen Wollmänteln und Funktionsjacken abgehoben, mit denen man sich zuvor bekleidet hatte. Jetzt sind sie selbst fast uniform. Und der Zenit ist noch nicht erreicht. Es werden mehr.

Selbst Modemenschen, die, der Raupenform wegen, bislang abgeneigt waren, schaffen sich nun irgendwann doch ein solches Teil an. Für die Berge. Oder Spaziergänge. Gegen die ubiquitäre Kälte. In der Tat wird das Klima immer garstiger, und das nicht nur im meteorologischen Sinn. Kriege, Terror, Streiks, Teuerung und «Remigration». Kein Wunder, bleiben immer mehr Menschen auch am Tag lieber unter der Sicherheit vorgaukelnden Bettdecke ihres Daunenmantels verborgen.

So warm! Und dabei so leicht! Der Zweck dieser Bekleidung wird mittlerweile von Labels auch deutlich benannt: «Wearable Blanket», tragbare Decke, nennt die coole Marke Byredo ihre in Zusammenarbeit mit Reboco entstandenen Riesenmäntel. Nahmen einst nur Kinder gerne ein vertrautes Textil mit in die Fremde, sprich: den Kindergarten, so bekennen sich heutzutage auch Erwachsene ungeniert zur Kuscheldecke.

Duvets zum Umhängen oder Herumtrampeln

Auch das Kopfkissen fehlt nicht. Grosse, dick gefütterte Taschen, zum Beispiel von Prada oder Vee Collective, würden durchaus dazu taugen, das müde Haupt darauf zu betten. An den Füssen tragen die Anhängerinnen und Fans der Duvetmode gern ebenbürtig kuschelig-warme, unförmige Stiefel, meist von Ugg aus Fell, doch es gibt sie mittlerweile auch plustrig gesteppt.

Gekleidet in diese strassentauglichen Hausschuhe, trotzen Menschen den Widrigkeiten der Welt, so sie solchen überhaupt begegnen. Denn nach den erzwungenen Home-Sittings des Lockdowns wählen nach wie vor sehr viele Menschen nach Möglichkeit freiwillig den Kokon ihres eigenen Zuhauses, um zu arbeiten.

Wenn «Drinnis» nach draussen gehen

Auch auf aushäusige Vergnügungen wird verzichtet. Wie Studien des deutschen Freizeitmonitors belegen, bleiben selbst die Jungen lieber daheim, anstatt auszugehen. In den sozialen Netzwerken setzt man sich mit Hashtags wie #homesweethome in Szene.

Man bezeichnet sich als «Drinni» oder «Homebody», der es sich hygge macht. Die Daunenmäntel sind stoffgewordener Ausdruck dieser neuen Biedermeierträume. Ergänzt werden können sie mit den im öV mittlerweile allgegenwärtigen Kopfhörern, welche dank Umgebungsgeräuschunterdrückung die Lautstärke der Welt dämpfen.

Die Sicherheit einer solch weich gepolsterten Rüstung, die wir den neuen und alten Zumutungen dieses frischen Jahres entgegensetzen, ist aber eine trügerische. Sie macht passiv. Sie eignet sich nicht für das Kämpfen. Nur fürs Ausharren und Dabei-möglichst-gemütlich-Haben.

Nicht einmal richtig rennen kann man in einem solchen unförmigen Panzer, wie man beobachten kann, wenn so bekleidete Eltern auf dem Spielplatz versuchen, ihren agileren Nachwuchs einzufangen. Dabei wurde die Daunenbekleidung einst durchaus entwickelt, um darin Sport zu treiben. Bergsport unter extremen Bedingungen, um genau zu sein.

Die Geschichte des Konzepts

Vor 102 Jahren hatte bereits der australische Chemiker und Bergsteiger George Finch das von Duvets und Schlafsäcken bekannte Konzept adaptiert. An der britischen Mount-Everest-Expedition 1922 nahm er, je nach Quelle, entweder in einer Daunenjacke oder, gemäss dem Schweizer Alpen Club (SAC), in einem mit Federchen gefütterten Ganzkörperanzug teil.

Er wurde übrigens bereits damals für seine plumpe Silhouette verlacht. Finch schaffte den Aufstieg nicht, fror aber sicher weniger als seine Kollegen in ihren Wollkleidern. Seine Erfindung setzte sich durch und etablierte sich.

1939 liess der Amerikaner Eddie Bauer ein derartiges Kleidungsstück patentieren. Und als der Gipfel des Mount Everest 1953 schliesslich von Edmund Hillary und dem Sherpa Tenzing Norgay erklommen wurde, trugen beide Daunenjacken.

Seitdem hat sich die Jacke im Wintersport etabliert. Als sogenannte Midlayer sind dünne, mit Daunen gefütterte Jacken schon lange Standard bei Outdoor-Begeisterten. Der Siegeszug der voluminösen Jacken und Mäntel, die eher dem Posieren in der Stadt dienen denn dem Sport, begann in den 2000ern.

In den 2000ern wurde die Daune alltagstauglich

Damals schaffte es das in Frankreich gegründete Label Moncler unter dem italienischen CEO Remo Ruffini, seine Jacken als Statussymbol für kauffreudige Stadtmenschen zu vermarkten. Kooperationen mit anderen Design- und Kunstschaffenden wie etwa Pierpaolo Piccioli oder mit dem Label Sacai reizten die Möglichkeiten des voluminösen Materials aus.

Denn: So eine tragbare Decke mag passiv machen. Raum einnehmen und auffallen kann man mit ihr aber durchaus. Auch avantgardistische Marken wie Balenciaga, Rick Owens und Ienki Ienki aus der Ukraine zeigen, wie man sich von Kopf bis Fuss in weichen Stepp kleiden kann.

Ein Trend für jeden

Mittlerweile haben sich die Augen an die Kokonsilhouetten gewöhnt; ausgelacht wird heute niemand mehr. Und man darf die plumpe Uniformität dieses Looks auch nicht nur negativ sehen. Es hat durchaus etwas Tröstliches, wie die Daunen körperliche Unterschiede sanft ausradieren, gleich dem Schnee, welcher Erde und Asphalt homogenisiert.

So winterschlafmässig eingemummelt, sehen alle harmlos pummelig aus. Egal, ob ein Pilates-gestählter Körper darunter steckt oder einer mit über die Weihnachtsfeiertage sorgfältig kultiviertem Speck.

Auch können alle teilhaben an dieser Nicht-Bewegung: Es gibt die tragbaren Decken in allen Farben, mit Kapuze oder angenähtem Plusterschal, für 500 oder 1500 Franken, mit echten Federchen drin, mit alten, tierfreundlich wiederaufbereiteten oder einfach mit Polyester gefüllt. Natürlich sehen gerade Menschen, die sich auskennen, diese Unterschiede. Zumindest von nahem.

Von weitem aber huschen einfach weiche Raupen durch die Strassen. So lange, bis das kalte Winterwetter sich verabschiedet. Zumindest optisch sind dann jene, die den Tag am liebsten im Bett verbringen würden, nicht mehr so leicht von ihren aktiveren Artgenossen und -genossinnen zu unterscheiden.

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