Donnerstag, Oktober 3

Die Zürcher SP-Regierungsrätin spricht sich für die SP-Prämieninitiative aus – trotz anderslautendem Regierungsratsbeschluss.

Wo Jacqueline Fehr ist, ist Unruhe. Die Justizdirektorin ist bekannt für unerwartete, eigenwillige Aktionen und zum Teil brüskierende Äusserungen. Sie regt sich auf, wenn ihr Velo am Bahnhof Winterthur abgeschleppt wird. Sie kritisiert während Corona die Maskenpflicht und überrascht damit ihre Regierungsratskollegen.

Zuletzt musste sie sich im Kantonsrat dafür entschuldigen, dass sie den Gemeinden pauschal eine Mitschuld am Angriff auf einen orthodoxen Juden durch einen Jugendlichen gegeben hatte, weil diese zu wenig in die Jugendarbeit investieren würden.

Vor allem die Mitglieder des Regierungsrates stösst sie immer wieder vor den Kopf, weil sie regelmässig das Kollegialitätsprinzip ritzt. Dies ist auch gegenwärtig wieder der Fall.

Positionsbezug entgegen einem Regierungsratsbeschluss

Fehr hat sich für die Annahme der SP-Prämienverbilligungsinitiative ausgesprochen, über welche die Schweizer Stimmberechtigten am 9. Juni abstimmen – obwohl der Regierungsrat dazu die gegenteilige Haltung vertritt.

In ihrem berüchtigten «jacqueline-fehr.blog» schreibt sie: «Ob AHV, Arbeitslosenversicherung oder Mutterschaftsversicherung, ob Verbesserungen für die Mieterinnen oder für die Prämienzahler: Immer standen am Anfang linke Impulse.» Letzteres ist eine klare Anspielung auf die SP-Initiative.

Fehr schreibt weiter: «Es wäre schön, wenn auch bürgerliche Kräfte die Werte der Aufklärung wieder ernster nehmen würden. Falls nicht, muss die Linke beim Volk halt ohne bürgerlichen Support Mehrheiten zu schaffen versuchen. Bei der 13. AHV-Rente hat es ja schon mal geklappt.»

Es ist nichts Aussergewöhnliches, wenn sich kantonale oder städtische Politikerinnen und Politiker privat zu nationalen politischen Themen äussern. Heikel wird es stets bei Überschneidungen mit dem Amt. Im gegenwärtigen Fall hat Fehr öffentlich eine Position bezogen, die einem Regierungsratsbeschluss zuwiderläuft.

Der Regierungsrat hat nämlich schon im Januar die Ablehnung der SP-Initiative beschlossen. Damals ging es darum, ob sich die Konferenz der Kantonsregierungen zu den anstehenden Vorlagen äussern solle. Ja, beschloss der Regierungsrat: Man begrüsse es, wenn die Konferenz ablehnend Stellung beziehe.

Eine Annahme der Initiative hätte grosse Auswirkungen auf die Kantone, lautete die Begründung. Unter anderem kämen grosse Mehrausgaben auf sie zu. Die Stellungnahme der Gesamtregierung kann man im Protokoll der Sitzung vom 31. Januar 2024 nachlesen.

Erst letzte Woche war ein anderes Engagement von Fehr zum Thema geworden. Sie setzt sich an ihrem Wohnort Winterthur gemeinsam mit ihrem grünen Regierungsratskollegen Martin Neukom für die Stadtklima-Initiativen ein, die ebenfalls am 9. Juni an die Urne kommen. Sie weibelt auf Flyern für den grossflächigen Abbau von Strassenraum. Dies, obwohl die Initiative dem rot-grün dominierten Winterthurer Stadtrat zu weit geht.

Bürgerliche Politiker von FDP, SVP und Mitte stören sich an Fehrs Einmischung in den Abstimmungskampf: Sie finden, dass sie den Eindruck erwecke, sie spreche für die Gesamtregierung, weil sie auf dem Flyer mit dem Zusatz «Regierungsrätin» auftritt. Eine Anfrage im Kantonsrat ist hängig.

Eigenwillige Auslegung

Fehr hat in der Vergangenheit de facto eingeräumt, sich nicht gross um das Kollegialitätsprinzip zu scheren. Sie hat einmal darüber gesagt: «Ich habe es sicher ausgereizt, das gebe ich zu.» Als Begründung gab sie an, es sei «vorgekommen, dass ich etwas als Gewissensfrage empfand oder unbedingt zum Ausdruck bringen wollte, dass ich eine andere Meinung habe».

Diese Definition entspricht jedoch nicht der gängigen Idee des Kollegialitätsprinzips als tragendes Element des schweizerischen Politsystems. Demnach sollen Mitglieder einer Regierung gemeinsame Entscheide in der Öffentlichkeit auch dann mittragen, wenn sie persönlich eine andere Meinung haben.

Wie lassen sich Fehrs jüngste Aussagen zur Prämienverbilligungsinitiative mit dem Prinzip vereinbaren? Jacqueline Fehrs Medienstelle nimmt auf Anfrage keine Stellung und verweist auf den Sprecher des Gesamtregierungsrates, Andreas Melchior. Dieser sagt: «Die geltenden internen Spielregeln für das Verhalten von Regierungsratsmitgliedern im Vorfeld von eidgenössischen Abstimmungen regeln solche Sachverhalte nicht abschliessend.»

Die Stimmungslage bei den übrigen Regierungsratsmitgliedern spiegelt dies vermutlich nur bedingt wider. Diese dürften die Alleingänge ihrer Kollegin eher zähneknirschend zur Kenntnis nehmen. Eine Handhabe dagegen haben sie freilich nicht.

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