Donnerstag, September 18

Nach dem Mord an Charlie Kirk wird gegen dessen Kritiker vorgegangen. Sogar Journalisten, die einst selber Opfer linker Cancel-Culture wurden, sehen die Meinungsfreiheit bedroht. Die Absetzung der «Late Night Show» von Jimmy Kimmel stützt ihre Befürchtung.

Die Worte von Vizepräsident J. D. Vance klangen wochenlang nach, als ob er etwas Wahres getroffen hätte. An der Sicherheitskonferenz in München bezeichnete Vance die Zensur der freien Meinungsäusserung als grösste Bedrohung für Europa.

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Die europäischen Regierungen brächten ihre Bürger zum Schweigen, sagte Vance mit besonderer Nennung von England und Deutschland. Abweichende Meinungen würden unterdrückt und als Falschinformationen etikettiert. Doch man könne die Menschen nicht dazu zwingen, «was sie denken, fühlen oder was sie glauben sollen».

Sieben Monate später sagte Vance im Podcast des ermordeten rechten Influencers Charlie Kirk, in dem er Anfang dieser Woche als Gastmoderator auftrat: «Wenn Sie jemanden sehen, der Charlies Mord feiert, melden Sie ihn. Und verdammt, rufen Sie seinen Arbeitgeber an.» Man müsse extremistisches Gedankengut bekämpfen: Taten wie auch Ideen. Damit meinte er vor allem Ideen am linken Rand.

Schwarze Listen auf Social Media

Seit Kirks Ermordung haben sich viele Republikaner und Trump-Anhänger ähnlich geäussert. Der Kongressabgeordnete Clay Higgins aus Louisiana drohte damit, den Einfluss des Kongresses auf die Technologieplattformen geltend zu machen: Alle Accounts, die sich «herabwürdigend» über Kirks Tod geäussert hätten, müssten dauerhaft gesperrt werden. Diese «bösen, kranken Tiere» gehörten auf schwarze Listen gesetzt, sie sollten von Schulen verwiesen und der Führerschein sollte ihnen entzogen werden.

Andere fordern den Ausschluss aus der Zivilgesellschaft oder gleich Landesverweis. Linke Organisationen müssten verboten oder strafrechtlich verfolgt werden.

Oft wird bei Beanstandungen von Kommentaren nach dem Mord an Kirk kaum mehr ein Unterschied gemacht. Manche verherrlichen tatsächlich Gewalt oder rufen dazu auf. Bei vielen anderen handelt es sich um geschmacklose Jubelbekundungen. Auch blosse Kritik an dem rechten Influencer und seinen Ansichten gerät ins Visier seiner Anhänger.

So rief kurz nach dem Attentat die Website «Charlie’s Murderers» dazu auf, die Namen von Personen zu melden, die unangebracht auf Kirks Ermordung reagiert hätten. Darauf landeten auch Verfasser von pietätlosen, aber harmlosen Statements, wie verschiedene Medien berichteten. Die Seite ist inzwischen offline. Schon der Titel der Seite besagte es: Die Äusserung einer falschen Meinung, so deplatziert sie ist, setzt diese mit Mord gleich.

Für die Rechte können Worte nun auch töten

Plötzlich sprechen diejenigen von «politischer Online-Gewalt», die während Jahren die Meinungsfreiheit über alles stellten und davor warnten, diese als Gewalt oder Fehlinformationen zu etikettieren. Diesen Kurzschluss machten während der woken Hochphase viele Linke. Diese waren deshalb auch entsetzt, als die grossen Tech-Firmen den Faktencheck abschafften. Nun tut es ihr die Rechte gleich, indem sie Worten und Gedanken die Macht zuschreibt, zu töten.

Auf diesen Widerspruch – manche sprechen von Heuchelei – weisen selbst amerikanische Intellektuelle hin, die in den vergangenen Jahren Opfer der tonangebenden progressiven, woken Ideologie geworden sind oder diese kritisierten.

Die oftmals liberal-konservativ denkenden Journalisten, Autoren und Wissenschafter haben ihre Redaktion oder Universität verlassen, wurden hinausgemobbt oder sogar entlassen, weil sie sich dem vorherrschenden Meinungsdiktat nicht unterordnen wollten.

Wegen ihrer eigenen Erfahrung mit selbstgerechter linker Intoleranz sind sie umso besorgter. Denn nun sehen sie die freie Meinungsäusserung von rechts bedroht.

Bari Weiss verteidigt die «New York Times»

Eine von ihnen ist die Journalistin Bari Weiss. Während der ersten Amtszeit von Donald Trump engagierte sie das Blatt als Kolumnistin gerade wegen ihrer konservativen Haltung, also zwecks Meinungsvielfalt. 2020 verliess Weiss die Zeitung und sprach in einem aufsehenerregenden, öffentlichen Kündigungsbrief von linker Zensur: Im Newsroom würden die «Krieger für soziale Gerechtigkeit» den Ton angeben, die überall Diskriminierung witterten und Andersdenkende ausschlössen.

In internen Kommunikationskanälen sei hinter ihren Namen das Messer-Emoji gesetzt worden, sagte Bari im Interview mit der NZZ. Weil sie sich vom Kampf für «Black Lives Matter» nicht mitreissen liess: Weil sie, die Jüdin ist, sich hinter Israel stellte, sei gegen sie bei den Chefs und den Herausgebern der «Times» Stimmung gemacht worden, ohne dass diese sie unterstützten.

Weiss gründete später «The Free Press», eine Online-Publikation mit heute 1,5 Millionen Lesern. Wie es der Name besagt, wird hier der Austausch der Meinungen ausdrücklich gewünscht und gefördert.

Charlie Kirk: «Hassrede existiert in Amerika rechtlich nicht»

Diese Woche nun legte die Redaktion in einem Editorial ihre für einmal einhellige Meinung dar zu Hassrede und Meinungsfreiheit. Anlass war die Äusserung der Justizministerin Pam Bondi, die über die Reaktionen auf Kirks Ermordung sagte: «Wir werden euch absolut verfolgen, wenn ihr mit Hassrede auf jemanden losgeht.» Arbeitgeber hätten die Pflicht, Mitarbeiter zu entlassen, die «schreckliche Dinge» sagten.

«The Free Press» stellte klar: Hassrede sei in den USA nicht illegal und keine rechtliche Kategorie. Charlie Kirk selber habe gesagt: «Hassrede existiert in Amerika rechtlich nicht. Es gibt hässliche Rede. Es gibt grobe Rede. Es gibt böse Rede. Und all das ist durch den Ersten Verfassungszusatz geschützt. Bewahrt Amerikas Freiheit.»

So berechtigt die Trauer und die Wut seien, heisst es im «The Free Press»-Kommentar: Die Regierung scheine «in dem Moment, in dem wir uns am meisten an sie erinnern müssen, die grundlegendsten amerikanischen Prinzipien vergessen zu haben».

Das war direkt an Trump gerichtet, der auf die Frage eines ABC-Reporters, was er zu Bondis Aussagen meine, sagte: «Sie wird wahrscheinlich Leute wie Sie ins Visier nehmen, weil Sie mich so unfair behandeln. Sie haben viel Hass in Ihrem Herzen.»

Klage gegen Zeitungen, Comedians abgesetzt

Seit Beginn seiner zweiten Amtszeit macht Trump Druckversuche gegenüber kritischen Medien. Inzwischen scheint er das Dekret vergessen zu haben, das er vor ein paar Wochen unterzeichnete: Darin verordnete er die «Wiederherstellung der Redefreiheit und Beendigung der staatlichen Zensur».

Stattdessen hat Trump eine 15-Milliarden-Klage gegen die «New York Times» und vier ihrer Journalisten wegen Verleumdung erhoben. Auch den Penguin-Verlag klagte er an, weil ihm ein Buch über ihn nicht schmeichelt. ABC und NBC droht er, ihnen die Sendelizenzen zu entziehen, da sie ein «Arm der demokratischen Partei» seien.

Der Druck wirkt. Als jüngstes Beispiel setzt ABC die «Late Night Show» mit dem Trump-Kritiker und Comedian Jimmy Kimmel auf unbestimmte Zeit aus. Offenbar wegen seiner Pointen zum Kirk-Attentat. Diese kann man für misslungen halten. Was daraus folgt, ist Cancel-Culture, ein bisher links geprägter Begriff.

So kommt es, dass sogar Bari Weiss die «New York Times» verteidigt, der sie einst Zensur von unliebsamen Meinungen vorhielt. Trumps rechtliche Drohungen gegen das Blatt seien ein Fall, «in dem das Mittel schlimmer ist als die Krankheit», schreiben sie und ihre Mitherausgeber. Denn schliesslich habe jedes Medienunternehmen das Recht, eine ideologische Ausrichtung zu haben.

Auch Linke vernichteten Existenzen

Das hatten sie auch in den vergangenen Jahren. Menschen wurden in Medien, Kultur und an Bildungsinstitutionen gecancelt und zum Schweigen gebracht. Sie wurden von der Woke-Bewegung marginalisiert und sozial vernichtet.

Gegen Biologie-Dozentinnen, die auf zwei Geschlechtern bestanden, wurden Kampagnen geführt, bis sie sich freiwillig zurückzogen. An den Universitäten herrschte ein enormer Anpassungsdruck an linke Ideologien. Journalisten, die das «N-Wort» aussprachen – in einem Zitat –, verloren ihre Stelle. Bücher wurden aus dem Handel gezogen, weil sich Autoren mit #MeToo-Vorwürfen konfrontiert sahen.

Nun bestimmt die andere Seite die Regeln des Kulturkampfes. Die Rechte definiert, was sagbar ist. Mit dem Unterschied, dass der mächtigste Mann des Landes die Gegenrevolution anführt.

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