Mittwoch, März 12

Die Heldin im Roman «Achtzehnter Stock» möchte zum Film, endet aber in einer Platte. Nun unternimmt sie alles, um wieder wegzukommen.

Schön ist hier nichts, und wer hier wohnt, tut das selten freiwillig. Denn die berüchtigten Plattenbauten, mit denen die DDR seinerzeit ihre Wohnungsnot beheben wollte, haben inzwischen, im Herbst 2022, jede Attraktivität verloren und sind vielerorts zu heruntergekommenen Hotspots der Verelendung geworden. Eine solche «Platte», gelegen an der Ostberliner Frankfurter Allee, ist Schauplatz in Sara Gmuers zweitem Roman «Achtzehnter Stock».

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Schimmel breitet sich überall aus; die selten funktionierenden Aufzüge dienen als Abstellflächen für ausrangiertes Mobiliar, und wenn im Innenhof wildfremde Männer zu masturbieren beginnen, ist das kaum der Rede wert. Kurzum, wer das Träumen noch nicht aufgegeben hat, hofft darauf, möglichst schnell ein anderes Zuhause zu finden.

Das Geld wird knapp

In einem solchen auf den ersten Blick nur trostlosen Ambiente hat die 1980 in Locarno geborene und heute in Berlin lebende Sara Gmuer, die auf eine bewegte Vergangenheit als Model, Schauspielerin und Rapperin zurückblicken kann, ihren Roman angesiedelt. Vier Frauen stehen im Zentrum, die sich mühsam durchs Leben schlagen und ihrer Kinder wegen zu einer Art Notgemeinschaft werden.

Wanda, die Ich-Erzählerin, und ihre fünfjährige Tochter Karlie sind im achtzehnten Stock in der Wohnung eines obskuren polnischen Onkels untergekommen und wollen nicht recht in ihr prekäres Umfeld passen. Denn Wanda, die gemodelt und geschauspielert hat, sieht ihre Plattenbauexistenz nur als eine vorübergehende. Sie will nicht wie die anderen sein, sich nicht an das Elend gewöhnen und setzt ganz auf ihren Agenten Frank, der in ihr eine «junge Jane Birkin» sieht. Ihr letzter Drehtag freilich, ein Werbespot für Waschmittel, liegt schon über zwei Jahre zurück, und allmählich wird das Geld knapp.

Sara Gmuer hat diesen Romanschauplatz nicht erfunden. Alina Bronsky in «Scherbenpark» oder Elena Fischer in «Paradise Garden» nutzten ein vergleichbares Setting, um einem Milieu nahezukommen, das in der Gegenwartsliteratur nicht überrepräsentiert ist. Gmuer entfaltet dabei ein grosses Geschick, sich mit Empathie auf den Alltag ihrer Figuren einzulassen und deren tagtäglichen Überlebenskampf zu schildern.

Mit Aylins Mutter – einer der vier Frauen – ist Gmuer eine vielschichtige, beeindruckende Figur gelungen. Für ihre Kinder würde sie sich zerreissen, und wenn sie diese rund um die Uhr bekocht, ist alle Alltagsnot vergessen. Über Wandas Filmambitionen spottet sie, doch diese wehrt sich gegen jede Vereinnahmung: «Sie denkt, ich sei eine von ihnen, und versucht mich mit in den Abgrund zu ziehen, aber ich bin nicht wie sie.»

Und in der Tat scheint sich für Wanda das Blatt zu wenden. Sie wird für einen Film gecastet, soll an der Seite des umjubelten Schauspielers Adam Ezra auftreten und versucht sich in der schicken Westberliner Filmszene zurechtzufinden. Obwohl Adam sich in die schlanke Frau verliebt, die ihr Plattenbaudasein um jeden Preis verheimlichen will, scheitert Wanda im ersten Anlauf. Sie verlässt ein Abendessen mit den Mächtigen und Schönen, weil ihre Tochter an heftigen Ohrenschmerzen leidet, die sich zu einer Hirnhautentzündung ausweiten.

Der Ausbruch hält nur kurz an

Wanda bekommt dank Adams Protektion eine zweite Chance. In einer Netflix-Serie erhält sie eine Rolle, und trotz allen Steinen, die ihr in den Weg gelegt werden, erlangt Wanda dadurch eine gewisse Berühmtheit. Ihre Gage nutzt sie sofort, um der Platte Adieu zu sagen, und mietet sich mit Karlie in einem Hotel ein. Die Vergangenheit interessiert sie nicht mehr: «Wir gehen, ohne uns zu verabschieden, wir drehen uns nicht um. Kein Auf Wiedersehen und keine Umarmung. Ich habe den Kreislauf durchbrochen. Ich habe den Lauf der Dinge gestoppt. Ich habe es aus der Platte geschafft.»

Sara Gmuer findet für Wandas Ausbruchsversuch einen rauen, einen guten Ton, dem sie selbst aber zu wenig zutraut. Kommentare wie «Sie ist auf alles vorbereitet. Nur nicht auf echtes Glück» oder «Wir können nur verlieren. Es ist wie beim Glücksspiel, das Haus gewinnt immer» hätte es nicht gebraucht, und in einem Satz wie «Ältere Frauen bewegen sich, als wären sie aus Blätterteig und könnten jeden Moment auseinanderfallen» hätte es einer Erklärung des Vergleichs nicht bedurft.

Früh lässt Sara Gmuer erkennen, dass sie ihrer Geschichte eine Art Happy End verpassen will. Denn natürlich ist die Parallelwelt des Unterhaltungsgeschäfts hohl, und natürlich ist der Filmmogul Wilhaus nicht mehr als eine Karikatur. In dessen dekadenter Welt haben Wanda und Karlie nichts zu suchen, Ruhm hin, Geld her. So endet der Roman dort, wo er anfing: in der Platte, wohin Wanda zurückkehren, wo sie ihre Freundinnen wieder um sich haben und Menschlichkeit spüren darf. Ein enttäuschender, furchtbar gutgemeinter Romanschluss ist das, leider.

Sara Gmuer: Achtzehnter Stock. Roman. Carl-Hanser-Verlag, München 2025. 222 S., Fr. 33.90.

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