Samstag, Januar 25

Kommende Woche entscheidet der Bundesrat, wie er den Kampf um die Zuwanderung gewinnen will. Beat Jans wollte die Kinderzulagen erhöhen, muss nun aber asylpolitisch nachbessern. Der Gewerbeverband hat ihn ausgebremst.

Und wenn alles umsonst war? Mit riesigem Aufwand hat der Bundesrat in den vergangenen Monaten mit der EU verhandelt, um das bilaterale Verhältnis wieder ins Lot zu bringen. Die Gespräche sind beendet, jetzt können die innenpolitischen Debatten beginnen. Sie werden heftig und schwierig – es sei denn, sie werden plötzlich abgesagt.

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Damit ist zu rechnen, wenn vorher die «Nachhaltigkeitsinitiative» der SVP angenommen wird. Sie verlangt, dass die Bevölkerung der Schweiz die Grenze von zehn Millionen nicht vor 2050 überschreiten darf. Im mittleren Szenario des Bundesamts für Statistik (BfS) wird diese Marke Ende der 2030er Jahre erreicht. In diesem Fall verlangt die Initiative letztlich die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU. Damit wäre der bilaterale Weg am Ende.

Will heissen: Wer die Beziehungen zur EU sichern will, muss vor dem Kampf um das neue Vertragspaket zunächst einmal verhindern, dass die SVP-Initiative angenommen wird. Der zuständige Bundesrat Beat Jans, einer der glühendsten «Europäer» in Bern, hat sich viel vorgenommen. Im Juni 2024 liess er sich vom Bundesrat den Auftrag erteilen, «Begleitmassnahmen» aufzugleisen, die Skeptiker davon abhalten sollen, der Initiative zuzustimmen.

Doch rasch wurde es harzig. Als Jans seinen Kollegen im November eine lange Liste mit Vorschlägen präsentierte, liessen sie ihn auflaufen. Der Widerstand war so breit wie das Spektrum der Ideen. Sie reichten von höheren Kinderzulagen über Mieterschutz und Wohnbauförderung bis zu asylpolitischen Ankündigungen. Danach wurde es still.

Und jetzt läuft dem Bundesrat die Zeit davon. Spätestens am 2. April muss er die Botschaft zur SVP-Initiative verabschieden. Doch noch immer ist unklar, welche Massnahmen darin Eingang finden. Laut zuverlässigen Quellen bringt Jans das Thema kommenden Mittwoch wieder in den Bundesrat. Voraussichtlich muss der Sozialdemokrat sein Paket abspecken und umbauen. Diesen Schluss erlauben Aussagen involvierter Personen.

Weder Kinderzulagen noch AHV-Freibetrag

Auf einen Nenner gebracht: weniger sozialpolitische Geldverteilung, mehr asylpolitische Verschärfung. Damit haben sich die bürgerlichen Bundesräte und die Wirtschaft durchgesetzt.

Die auffälligste Massnahme musste Jans streichen: Er wollte die minimalen Familienzulagen um 50 Franken pro Kind und Monat erhöhen. Aus Sicht von Jans und den Gewerkschaften wäre das ein logischer Schritt. Die Zuwanderung werde eher akzeptiert, wenn die Bevölkerung ihren wirtschaftlichen Nutzen spüre.

Doch in den Gesprächen der Sozialpartner, die in den letzten Wochen stattfanden, wehrte sich der Gewerbeverband gegen diesen Ansatz. Der Arbeitgeberverband hingegen soll grundsätzliche Gesprächsbereitschaft signalisiert haben. Das reichte aber nicht, in das Paket kommen nur Vorschläge, die alle Akteure unterstützen.

Aus demselben Grund scheiterte auch eine andere, potenziell populäre Idee: die Erhöhung des AHV-Freibetrags für Personen, die nach Erreichen des Pensionsalters weiterarbeiten. Dies hätte bewirken sollen, dass mehr Ältere länger arbeiten – und umgekehrt der Bedarf nach Zuwanderung sinkt.

Damit sind die augenfälligsten Massnahmen wohl nicht mehr Teil des Pakets. Übrig bleiben Themen wie Förderung des einheimischen Arbeitskräftepotenzials, Wohnbauförderung und Standortmarketing – wobei es bei Letzterem um einen Rückbau geht: Jans wirft die Frage auf, ob es klug ist, mit staatlichen Mitteln die Zuwanderung anzukurbeln.

Abschrecken und ausschaffen

Während der soziale Teil des Pakets schrumpft, wächst der Asylteil. Bürgerliche und Arbeitgebervertreter gehen davon aus, dass die Skepsis gegenüber der Zuwanderung primär mit dem Unbehagen gegenüber der Asylpolitik zu tun hat. Christoph Mäder, Präsident von Economiesuisse, sagte im Dezember im NZZ-Interview, die Zuwanderung sei zu stark. Ein «wichtiger Grund für die Ängste» liege bei der Asylmigration.

Jans dürfte wenig motiviert sein, Verschärfungen aufzugleisen. Eher wird er sich auf die Beschleunigung der Verfahren konzentrieren wollen. Doch er weiss, dass die Mehrheit in Bundesrat und Parlament das nicht goutieren dürfte. Die SVP selbst formuliert in ihrer Initiative eine Begrenzung des Familiennachzugs und Verschärfungen bei vorläufig Aufgenommenen. Auch das Parlament hält den Druck mit Vorstössen hoch. Unter anderem verlangte die Finanzkommission des Ständerats Ende 2024 ein «Beschleunigungspaket fürs Asylwesen».

Hier eine Auswahl diskutierter Forderungen:

  • Sozialhilfe kürzen. Bereits im November soll Jans vorgeschlagen haben, dass Personen aus Staaten ausserhalb der EU weniger Sozialhilfe erhalten als Schweizer, wenn sie arbeitslos werden.
  • Verfahren beschleunigen. Die Finanzkommission des Ständerats schlägt vor, dass Personen, die ihre Mitwirkungspflicht grob verletzen, die Schweiz schneller verlassen müssen. Zudem will sie Beschwerdeverfahren und Mehrfachgesuche einschränken.
  • Asylverfahren an der Schengen-Aussengrenze. Die EU hofft, Personen mit negativem Entscheid schneller zurückschicken zu können, wenn diese gar nie in ein EU-Land einreisen. Die Schweiz kann sich an diesem Mechanismus beteiligen.
  • Rückführungen durchsetzen. Abgewiesene Asylsuchende müssen die Schweiz verlassen. Der Nationalrat will, dass Behörden und Versicherungen Informationen zu Aufenthaltsstatus oder Wohnort austauschen, um die Zahl der Rückführungen zu steigern. Auch sollen Staaten, die ihre Landsleute nicht zurücknehmen, keine Entwicklungshilfe mehr erhalten. Weiterhin zur Diskussion stehen Rückführungen in sichere Drittstaaten.
  • Mehr Safe Countries: Werden weniger als 5 Prozent der Asylgesuche aus einem Land gutgeheissen, soll dieses als sicher gelten. Auf Gesuche von Angehörigen dieser Staaten müsste der Bund nicht mehr eintreten, ausser bei Hinweisen auf individuelle Verfolgung. Das beträfe unter anderem Gesuche aus dem Maghreb.
  • Familiennachzug eingrenzen. Vorläufig Aufgenommene sollen ihre Familie nicht mehr in die Schweiz holen können. Diese Forderung stellt die SVP schon lange, die FDP unterstützt sie inzwischen. Im Dezember ist ein konkreter Vorstoss im Ständerat gescheitert, das Thema bleibt aber aktuell.
  • Kein Asyl für Türken. Angehörige von Mitgliedsländern und Beitrittskandidaten der EU sollen nicht mehr vorläufig aufgenommen werden, fordert die Finanzkommission. Das würde zum Beispiel türkische Asylsuchende betreffen. Die Türkei war im Oktober das Land mit den zweitmeisten Gesuchen nach Afghanistan.

Egal, was Jans nächste Woche präsentiert: Früher oder später wird er sich der Verschärfungsdebatte stellen müssen. Mit der Revision des Asyl- und Migrationspakts der EU stehen ohnehin Gesetzesanpassungen an. Aus Mitte und Freisinn sind Forderungen nach einer umfassenden Reform des Asylsystems zu hören.

Die meisten kommen aus der EU

Doch sogar wenn Jans eine Asylstrategie entwickelt: Damit mag er die Glaubwürdigkeit des Systems erhöhen. Die Zuwanderung wird er so aber kaum nachhaltig bremsen. Denn die Asylmigration macht nur 12 Prozent der Zuwanderung aus. Beim grossen Rest handelt es sich um Personen aus der EU, die hier arbeiten oder studieren. Das zeigen Daten des Bundesamts für Statistik für die Jahre 2014 bis 2023.

Unter Bürgerlichen wächst daher die Überzeugung, dass es auch eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit braucht. Der Mitte-Präsident Gerhard Pfister fordert eine Schutzklausel als Gegenvorschlag zur SVP-Initiative. Mittlerweile hat die EU in den Verhandlungen Hand geboten für eine Klausel, die temporäre Begrenzungen der Freizügigkeit ermöglichen soll. Diese muss innerstaatlich umgesetzt werden. Das könnte der Ansatz für einen Gegenvorschlag sein. Mit hitzigen Debatten im Parlament ist zu rechnen.

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