Freitag, September 27

Der ewig Zweite wird Japans Nummer eins: Die japanische Regierungspartei LDP hat den ehemaligen Verteidigungsminister Shigeru Ishiba zum neuen Parteichef gewählt. Damit ist ihm auch die Nachfolge von Fumio Kishida als Ministerpräsident sicher.

Der ehemalige Verteidigungsminister Shigeru Ishiba wird neuer japanischer Ministerpräsident. Nach vier gescheiterten Anläufen gewann er überraschend die Wahl zum Präsidenten der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) und könnte eine neue Wirtschaftspolitik einleiten.

In der Tradition der LDP ersetzt er damit als neuer Parteichef den Amtsinhaber Fumio Kishida am 1. Oktober als Ministerpräsident. Doch schon das Wahlergebnis zeigt, dass es sich für Japans skandalerschütterte Dauerregierungspartei nicht nur um einen Führungswechsel, sondern möglicherweise um einen Richtungswechsel und eine Abkehr von der bisherigen börsenfreundlichen Wirtschaftspolitik handelt.

Ishiba präsentiert sich als Umverteiler

Im ersten Wahlgang, in dem das neunköpfige Kandidatenfeld auf zwei Personen reduziert wurde, gewann noch Sanae Takaichi, die derzeit Ministerin für wirtschaftliche Sicherheit ist. Ishiba wurde knapp Zweiter vor Shinjiro Koizumi, einem Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi. In der Stichwahl hatte dann plötzlich Ishiba mit 215 zu 194 der Stimmen die Nase vorn.

In seiner Siegesrede liess Ishiba keinen Zweifel daran, dass sein Sieg für ihn eine Abwahl der Wirtschaftspolitik von Shinzo Abe bedeutet. Er wolle zu der Zeit zurückkehren, bevor die LDP unter dem nationalkonservativen Abe Ende 2012 die Regierung zurückeroberte. Für den Japan-Experten Tobias Harris steht daher fest: «Ishiba will eine gerechtere Wirtschaft aufbauen.»

Der frühere Regierungschef Abe setzte darauf, durch auf Kredit finanzierte grosse Staatshaushalte und eine Geldschwemme der Notenbank die Wirtschaft aus der Deflation zu Wachstum und neuer nationaler Stärke zu beschleunigen. Dass die Schulden dadurch auf 250 Prozent des Bruttoinlandprodukts und auch die Kluft zwischen Arm und Reich wuchsen, nahm Abe dafür in Kauf.

Zwar hatte auch Kishida einen «neuen Kapitalismus» versprochen, der sich allerdings nicht gross von der Wirtschaftspolitik Abes unterschied. Während Takaichi Abes Kurs aggressiv fortsetzen wollte, tritt Ishiba als Umverteiler von Reich zu Arm auf.

Den Abe-Flügel hatte er immer wieder als «reaktionäre Rechte» angegriffen, während er sich als «konservativen Liberalen» sieht. Sein Slogan lautet: «Sicherheit und Geborgenheit für alle Menschen». Er fordert daher, den Mindestlohn rasch um 30 Prozent auf etwa 1500 Yen (umgerechnet knapp 10 Franken) anzuheben.

Ausserdem befürwortet er anders als der rechte LDP-Flügel Erhöhungen der Unternehmenssteuern, um die Umverteilung zu stärken. Besonders die ländlichen Regionen wie seine Heimat, die Präfektur Tottori, will er stärken, die seit Jahrzehnten unter starkem Bevölkerungsschwund leiden.

Auch eine eigentlich geplante Konsolidierung der Staatsfinanzen, die der Abe-Flügel bisher verhindert hat, könnte unter ihm an Schwung gewinnen. Inwieweit er seine Ideen allerdings umsetzen kann, ist noch offen. Auch Kishida musste mit dem weiterhin starken rechten Flügel Kompromisse eingehen.

Ishiba und Trump: wie Feuer und Wasser

In der Sicherheitspolitik gibt es dabei noch die grössten Gemeinsamkeiten mit Abe. Abe hat als Antwort auf Chinas rasante Aufrüstung ebenfalls eine drastische Erhöhung von Japans Verteidigungsbudget eingeleitet. Ishiba sieht sich ebenfalls als Verteidigungsexperten. Im parteiinternen Wahlkampf brachte er sogar den Gedanken der Gründung einer asiatischen Nato ins Spiel.

In der Partei besteht allerdings die Sorge über eine mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump. Trump und der idealistische Ishiba seien womöglich wie Feuer und Wasser, befürchten einige Politiker.
Parteipolitisch das grösste Problem ist für Ishiba allerdings der Grund für seine Wahl: Eigentlich galt er unter den Parlamentariern als zu unbeliebt, weil er die Skandale der LDP und Abe offen kritisierte. Doch die Krisen, zuletzt die Finanzierung schwarzer Kassen durch Parteipartys, treffen die Partei schwer.

Die Popularität von Kishida stürzte so tief ab, dass er nicht mehr zu den LDP-Präsidentschaftswahlen antrat. Die seit 1955 bis auf wenige Jahre regierende Partei sorgt sich sogar, dass die oppositionelle Konstitutionell-Demokratische Partei wieder an Zugkraft gewinnen könnte.

Die Mehrheit der Partei traut Ishiba daher offenbar zu, in einer Parlamentswahl das Image einer neuen LDP zu verkaufen und die Partei erneut zu einem Wahlsieg zu führen. In Japan wird angenommen, dass Ishiba schon bald vorgezogene Neuwahlen ausrufen wird. Der Amtsinhaber Kishida sicherte ihm schon Unterstützung zu.

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