Montag, Oktober 7

Der Ökonom Philipp Bagus kennt den argentinischen Präsidenten persönlich. Milei unterscheide sich von Konservativen und Liberalen, wie man sie bisher gekannt habe. Libertär zu sein, ist in Argentinien cool. Was den Erfolg von Milei dennoch verhindern könnte.

Javier Milei ging nach der Lektüre eines Buches des Ökonomen Murray Rothbard in eine Buchhandlung und kaufte für all sein Geld 20 Bücher von Theoretikern der Österreichischen Schule. Dann rechnete er aus, wie viel er zum Essen, wie viel er fürs Taxi und für die Fahrten zur Arbeit brauchte, ging am nächsten Tag erneut in die Buchhandlung und kaufte für das ganze restliche Geld noch mehr Bücher. «Ich muss in diesen zwei Tagen um die 50 Bücher gekauft haben», schreibt Milei im Vorwort zu «Die Ära Milei» von Philipp Bagus.

Eines dieser Bücher war «Human Action» von Ludwig von Mises: «Ich schloss mich zwei oder drei Tage ein, bis ich es beendet hatte, und stand nur auf, um zu essen, auf die Toilette zu gehen und mit Conan, meinem Hund, spazieren zu gehen.» Er sei «wie geblendet» gewesen von diesem Werk. Es folgten Werke von Friedrich August von Hayek oder Milton Friedman. Diese Anekdote lässt erkennen, wie grob irreführend es wäre, Milei mit Trump zu vergleichen – der sicher lieber zwei Tage Wrestling-Kämpfe anschauen würde, als Bücher von Mises und Hayek zu lesen.

Rockstar an Kundgebungen

Milei, schreibt Bagus auf den folgenden Seiten, habe viel von seinen Gegnern gelernt, von den Marxisten, von den Linken. Er mobilisiert gegen die Ausbeuter und Unterdrücker. Das sind für Milei keineswegs die Unternehmer, sondern der Staat und alle, die sich parasitär auf Kosten des Staates ernähren, ohne selbst etwas zur produktiven Wertschöpfung beizutragen.

Milei popularisiert die in Büchern gelesenen Theorien, beispielsweise auf den Marktplätzen, wo er Vorträge über Ökonomie hält. Er wendet sich nicht, wie andere Libertäre, an Intellektuelle, sondern an Arme. Junge, arme Männer sind seine Hauptzielgruppe, und Wahlanalysen zeigen auch, dass er hier am stärksten war.

Auf den ersten 70 Seiten schreibt Bagus eine Kurzbiografie Mileis. Danach ordnet er ein, wofür der argentinische Präsident steht. Der Leser lernt viel über die Schattierungen in der libertären Bewegung und über die Österreichische Schule. Das ist wichtig zum Verständnis, denn wie Milei selbst im Vorwort schreibt: «Die Theorie der Österreichischen Schule ist fundamental. Sie ist wie ein Kompass, der mich bei jeder meiner Entscheidungen leitet.»

Bei seinen Kundgebungen gibt er sich wie ein Rockstar – und tatsächlich war er früher Sänger einer Band, die vor allem Lieder der Rolling Stones spielte. Neben Mises, Rothbard und Hayek ist Mick Jagger sein Vorbild. Milei tanzt auf der Bühne, singt ein Lied mit dem Text «Ich bin der Löwe der vergessenen Welt». Milei ist ein Bücherwurm und ein Meister der Selbstvermarktung zugleich – er sieht sich im Dienste der grossen Idee, um dem Kapitalismus zum Sieg zu verhelfen.

Milei unterscheidet sich von Konservativen und Liberalen, wie man sie bisher kannte, auch durch seine rebellische Art, mit der er vor allem die jungen Menschen anspricht: In Argentinien sei es, so Bagus, angesagt, libertär zu sein, so wie es früher angesagt gewesen sei, links zu sein. «Milei ist rebellisch. Er steht gegen das Establishment, gegen die Kaste. Seine Antwort heisst Kapitalismus», so Bagus.

Milei braucht Zeit

Was in dem Buch fehlt, ist eine Würdigung der aussenpolitischen Koordinaten. Als Anhänger der Freiheit ist Milei ganz auf der Seite der Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Imperialismus. Das ist übrigens auch einer der Unterschiede zu Trump oder zur europäischen Neuen Rechten, mit denen Bagus Milei in Verbindung bringt. Milei teilt nicht den Antiamerikanismus von Parteien wie Le Pens Rassemblement national oder der AfD. Zudem sind Teile der europäischen Rechten antikapitalistisch und stehen damit auf der anderen Seite der Barrikade wie Milei. Pro Israel, pro Ukraine, pro USA – auch das ist Milei.

Der Autor wirft die Frage auf, was einen Erfolg von Milei verhindern könnte. Es bestehe «die Gefahr, dass Milei Kompromisse eingeht, die ihn vom libertären Weg abbringen». Doch Milei ist kein Dogmatiker, und das ist seine Stärke.

Die grösste Gefahr für Mileis Bestreben besteht darin, dass die Argentinier nicht genug Geduld haben könnten. Die Erfahrung von kapitalistischen Reformen in Grossbritannien (Thatcher) und Polen (Balcerowicz) zeigt, dass zunächst einmal – vielleicht für zwei Jahre – manches auch schlechter wird, bevor es dann sehr viel besser wird. Werden die Argentinier Milei diese Zeit geben? Bagus legt ein Buch vor, das es ermöglicht, Milei besser zu verstehen und in einen grösseren Kontext einzuordnen.

Philipp Bagus: Die Ära Milei. Argentiniens neuer Weg. Langen-Müller-Verlag, München 2024. 260 S., Fr. 34.90.

Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe.

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