Mittwoch, Januar 15

Staatspräsident Javier Milei ist mit seiner Radikalreform für Argentinien fürs Erste gescheitert, die Opposition stellt sich quer. Es bleiben ihm noch wenige Wege offen.

Das Abgeordnetenhaus in Buenos Aires hatte drei Tage lang fast rund um die Uhr debattiert, dann stimmte es am Freitag vergangener Woche mit einer klaren Mehrheit für das Reformpaket der Regierung des libertären Präsidenten Javier Milei.

Doch die Stimmung hat sich gedreht: Bei der Anfang dieser Woche vorgesehenen Abstimmung über einzelne umstrittene Gesetze wollten weder die Regierung noch die Opposition nachgeben. Der Regierungsvertreter von Mileis Partei La Libertad Avanza («Die Freiheit schreitet voran») beantragte schliesslich, das Reformvorhaben zurück in die Ausschüsse zu schicken.

Die Opposition feierte dies als einen Sieg gegen das neoliberale Programm des erst im Dezember angetretenen Präsidenten. Mileis Reformpläne sind umstritten. Am Rand der parlamentarischen Debatte kam es vergangene Woche zu Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei. Vor zwei Wochen hatten die Gewerkschaften und die Opposition zu einem Generalstreik gegen die Reformen aufgerufen.

Milei empört sich über den politischen Widerstand

Milei reagierte empört auf die Niederlage. Von Israel aus, wo er sich auf Staatsbesuch befindet, schimpfte er wie im Wahlkampf auf die politische «Kaste». Diese stelle sich gegen den an den Wahlurnen ausgedrückten Volkswillen. Er werde jedoch seine Reformpläne weiterverfolgen – «mit oder ohne die Unterstützung der politischen Führungsklasse, die unser Land zerstört hat», erklärte er.

«Milei muss sich nun eine neue Strategie überlegen», sagt Diego Pereira, Argentinien-Experte der Investmentbank JP Morgan. Denn das Reformpaket beginnt jetzt erneut den gesetzlich vorgeschriebenen Parcours durch vier Ausschüsse, bevor es wieder ins Plenum zur Abstimmung gelangen soll. Anschliessend entscheidet der Senat darüber. Die mühsam errungene Abstimmung des Gesamtpaketes aus der vergangenen Woche ist ungültig. Milei befindet sich wieder dort, wo er Ende Dezember stand, als er das Gesetzesprojekt dem Kongress vorlegte.

In den vergangenen drei Wochen hatte seine Regierung das Reformpaket, das wegen seiner Dimensionen auch «Ley Ómnibus» genannt wird, schon stark reduziert. Von den 668 Gesetzesreformen waren noch 386 übriggeblieben. Milei ging ständig Kompromisse ein, um das Paket insgesamt zu retten.

Dem Präsidenten bleiben wenig Alternativen

Dabei opferte er auch die zentrale Reform des Steuer- und Finanzsystems, mit der das Staatsdefizit hätte bekämpft werden sollen. Das Defizit ist die Ursache der hohen Inflation in Argentinien. Einen Primärüberschuss im Haushalt für 2024, also ein Plus im Staatsbudget ohne Berücksichtigung der Zinsausgaben, hat Mileis Regierung dem Internationalen Währungsfonds zugesagt, der dafür sein Kreditprogramm fortgesetzt hat.

Nun bleiben Milei wenig Alternativen: Er kann erneut den Verhandlungsweg durch den Kongress gehen. Dabei muss er sicherlich weitere Zugeständnisse machen. Die Opposition wird die Chance nutzen, den Präsidenten zu schwächen, der noch vor zehn Wochen mit einer Mehrheit von 56 Prozent die Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Milei könnte auch ein neues Gesetzespaket vorlegen, um eine andere Verhandlungsbasis zu haben.

Wahrscheinlicher ist, dass Milei seine Wähler mobilisieren wird. Noch geniesst der Präsident eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Anders als seine Gegner sind Mileis Anhänger bisher nicht auf die Strasse gegangen. Möglich wäre eine Volksabstimmung über die Reformen, wie Milei das schon kurz nach seinem Antritt erwähnt hat.

Die wirtschaftlichen Probleme sind eine Hürde

Doch eine solche Strategie würde die Probleme in der Legislative nicht lösen, sagt Pereira. Ein Referendum ist rechtlich nicht bindend, die Reformgesetze müssen im Kongress ratifiziert werden. Ausserdem können die Gerichte eine Volksabstimmung verbieten. «Wir stehen also vor der ersten Phase erhöhter politischer Unsicherheit», sagt Pereira.

Wirtschaftlich befindet sich Argentinien weiterhin am Rand einer Hyperinflation und schweren Rezession: Die Inflation ist auf mehr als 210 Prozent geklettert, mit steigender Tendenz. Der Internationale Währungsfonds hat seine Wachstumsprognose für Argentinien für 2024 von einem Plus von 2,8 auf ein Minus von 2,8 Prozent nach unten korrigiert.

Wenn Milei seine Popularität in der Bevölkerung nutzen will, um seine Reformpolitik durchzusetzen, bleibt ihm nur wenig Zeit. Die argentinische Geschichte zeigt, dass sich die Stimmung schnell ändern kann, wenn verringerte Sozialausgaben und steigende Preise für Transport, Energie und Treibstoffe zusammentreffen. Die teilweise von der Polizei gewalttätig niedergeschlagenen Proteste vor dem Kongress lassen erahnen, wie hart das innenpolitische Klima werden könnte.

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