Dienstag, April 22

Hunderttausende gehen in der Schweiz regelmässig laufen. Die Tipps des Profis für die Suche nach dem perfekten Schuh für jeden Zweck.

Laurent Hoffmann, worauf muss ich als Erstes achten, wenn ich einen Laufschuh kaufe?

Laurent Hoffmann: Sie sollten definieren, wofür Sie den Schuh überhaupt brauchen. Soll es ein Trainingsschuh sein? Oder wollen Sie damit Wettkämpfe bestreiten? Brauchen Sie ihn für schnelle Einheiten? Als ambitionierter Läufer haben Sie also idealerweise drei verschiedene Paar Schuhe für unterschiedliche Trainingsinhalte.

Der reine Hobbyläufer braucht einfach einen Trainingsschuh. Auf welche Details sollte er schauen?

Einer der häufigsten Fehler, ganz besonders seit Schuhe im Internet gekauft werden: Die Grösse passt nicht. Vorne bei den Zehen braucht es einen Fingerbreit Platz, und der Schuh sollte gut am Fuss sitzen. Heutzutage kann man nicht mehr sagen: Ich trage Grösse 43. Das wird von den Marken nicht mehr einheitlich respektiert. Ausserdem sollte man auf sein Gewicht achten. Wenn jemand wie ich 90 Kilogramm schwer ist, kann er nicht einen 150 Gramm leichten Schuh wählen. Der wäre viel zu wenig stabil.

Man spricht immer von dämpfen, führen, stützen: Welcher Aspekt ist der wichtigste?

Das Dämpfen ist für mich ein relativ unwichtiger Faktor. Stützen und Führen sind entscheidend. Das widerspricht aber der Tendenz, die wir heute bei den Schuhen sehen, die meist weich und leicht gebaut werden. Viele Leute begreifen auch nicht, dass es einen Unterschied gibt zwischen Dämpfen und Komfort.

Was meinen Sie damit?

Wir kaufen komfortable Schuhe, die wir nicht schnüren müssen, in die wir einfach schlüpfen können. Ich kenne Topathleten, die ihre Schnürsenkel nicht lösen. Wie soll da der Schuh richtig sitzen?

Haben sich die Erkenntnisse über die Funktion des Schuhs über die Jahre geändert?

Es gibt eine schier endlose Debatte darüber, wie stabil man einen Schuh bauen soll, damit er den Fuss führt und stützt. Für mich sind speziell bei Hobbyläuferinnen und -läufern die Stabilität und die richtige Führung während der ganzen Abrollbewegung das A und O. Denn das hilft, das Verletzungsrisiko zu reduzieren. Zu uns kommen ja meistens Leute, die bereits verletzt sind. Wir führen sie über diesen Grundgedanken wieder zurück zum Sport.

Die Schuhe, die man heute im Handel findet, sind aber eher weich.

Das stimmt, doch es hat bereits wieder ein Trend in die Gegenrichtung eingesetzt. Wir beobachten, dass ganz alte Produkte wieder im Kommen sind, etwa der Kayano von Asics, der 1993 erstmals auf den Markt kam. Die Schuhe sehen jetzt zwar etwas modischer aus, aber sie sind gebaut wie früher. Und sie werden auch wieder vermehrt gekauft, weil viele Läufer gemerkt haben, dass heutige Produkte viel zu wenig stabil sind.

Laurent Hoffmann

reg. Der Orthopädietechniker begann mit 19 Jahren, bei Adidas in der Entwicklung von Sportschuhen zu arbeiten. Das war vor 40 Jahren, als die deutsche Firma im Elsass eine Werkstatt betrieb, wo für alle Spitzenathleten Schuhe nach Mass angefertigt wurden. Später wechselte er bei Adidas in die Forschung und Entwicklung. Als die in der Schweiz ansässige Abteilung aufgelöst werden sollte, wandelte sie Hoffmann 1999 durch ein Management-Buy-out in die Firma Numo um. Sie ist auf Laufanalysen und orthopädische Einlagen spezialisiert.

Man versucht, immer bessere Schuhe zu bauen, und trotzdem verändert sich die Verletzungsrate kaum. Woran liegt das? Sind wir einfach nicht geschaffen fürs Laufen?

Wenn Sie eine sportliche Leistung anstreben, gehören Verletzungen zu einem gewissen Teil dazu. Aber das Grundproblem ist, dass wir uns nicht fragen, was es eigentlich braucht, damit wir joggen können – wir ziehen die Schuhe an und laufen los. Dabei sollten wir Übungen für die Stabilität machen, Kraft trainieren und uns vor dem Training aufwärmen und richtig ernähren. Profis machen das. Amateure haben keine Zeit oder denken, das brauche es nicht, um zwei-, dreimal pro Woche zu laufen. Doch wenn sie die Grundlagen vernachlässigen, steigt das Verletzungsrisiko.

Man darf die Prophylaxe also nicht bloss dem Schuh überlassen, sondern muss auch Hausaufgaben machen.

Das ist so. Aber es ist trotzdem entscheidend, dass man den passenden Schuh an den Füssen hat. Ich sehe wieder mehr Leute, die mit falschen Schuhen laufen, zum Beispiel, weil sie irgendwelche Zeiten im Kopf haben und dann für ein normales Training Wettkampfschuhe nehmen.

Muss ich mir überhaupt Gedanken über die Schuhwahl machen, wenn ich bloss einmal pro Woche eine halbe Stunde joggen gehe?

Je weniger trainiert Sie sind, desto wichtiger ist es, dass Sie die richtigen Schuhe tragen. Wenn Sie 30 bis 40 Kilometer pro Woche trainieren, sind Sie in einem Bereich, in dem der Körper das erträgt und sich auch bereits adaptiert hat. Sehnen, Bänder, Knochen – der ganze Bewegungsapparat wird sukzessive gestärkt. Wenn Sie aber sehr wenig laufen oder erst anfangen, ist der Körper nicht vorbereitet. Da ist es besonders wichtig, dass nicht auch noch Fehlbelastungen durch die Schuhe entstehen.

Also nicht einfach ins Kaufhaus gehen und einen billigen Schuh kaufen?

Das würde ich so absolut auch nicht sagen. Wir sehen, dass gewisse billige Schuhe besser sind als ganz teure, weil sie nach alten Methoden produziert werden. Sie sind stabiler und halten länger.

Stimmt es, dass ambitioniertere Läufer mehrere verschiedene Paar Schuhe haben sollten?

Das kann man auf zwei verschiedenen Ebenen anschauen. Wenn Sie ein Produkt haben, das für Sie gut funktioniert, mit dem Sie also auch ein kleineres Verletzungsrisiko haben, würde ich dabei bleiben. Aber weil die Kollektionen alle sechs Monate wechseln, müssen Sie sich darauf vorbereiten, dass es Ihr Modell irgendwann nicht mehr gibt oder es nicht mehr passt. Deshalb ist es sinnvoll, ab und zu die Schuhe zu wechseln, um die Anpassungsfähigkeit des Körpers zu fördern. Zudem sollten ambitionierte Läufer für unterschiedliche Trainingsinhalte ohnehin verschiedene Schuhe haben, also passiert die Adaption automatisch.

Kann es nicht auch sein, dass ich Strukturen schwäche, wenn ich im Grundlagentraining jahrein, jahraus mit dem gleichen, gut stützenden Modell renne?

Diese Diskussionen haben wir immer bei orthopädischen Einlagen: Es wird gesagt, wenn man diese trage, würden gewisse Muskeln nicht mehr trainiert. Es gibt jedoch neuere Studien, die das widerlegen. Die Fussmuskulatur arbeitet immer. Beim Laufen haben Sie vertikale Belastungen von 200 Kilogramm – da muss der Fuss arbeiten, ob er nun gestützt wird oder nicht.

Aber muss er sich nicht stärker und somit besser anpassen, wenn er weniger gestützt wird?

Das ist eine Theorie. Ich behaupte, dass der Fuss optimal arbeitet, wenn er richtig geführt oder gestützt wird. Lassen wir eine Fehlstellung zu, müssen einige Strukturen eine höhere Belastung aushalten, und dadurch steigt das Risiko einer Verletzung. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Auto, das immer nach links zieht. Sie gleichen das mit dem Lenkrad aus, von aussen sieht man nichts. Aber wenn Sie lange fahren, haben Sie irgendwann Schmerzen in der Schulter.

Brauche ich für einen Marathon andere Schuhe, als wenn ich nur kürzere Distanzen laufe?

Die Schuhe sollten noch etwas grösser sein. Auf längeren Distanzen schwillt der Fuss an, deshalb braucht es mehr Platz für die Zehen. Sonst gibt es Blasen und blaue Nägel. Zu gross sollte der Schuh aber auch nicht sein, sonst rutscht der Fuss, und man hat genau die gleichen Probleme. Wenn Sie bisher um die 10 Kilometer am Stück gerannt sind und nun für einen Marathon trainieren wollen, sollten Sie Ihren Schuh wohl eine halbe Nummer grösser wählen.

Wann sind orthopädische Einlagen zu empfehlen?

Die Frage ist, ob Sie eine therapeutische oder eine präventive Einlage wollen. Ein grosser Teil der Verletzungen entsteht durch falsche Schuhe. Seit diese so weich gebaut werden, sehen wir eine deutliche Zunahme bei den Entzündungen der Plantarsehne. Wenn Sie das einmal haben, wird es zwischen sechs Monaten und zwei Jahren dauern, bis Sie es wieder im Griff haben. Hätten wir das Risiko vermindert, wenn wir von Anfang an eine Einlage in den Schuh getan hätten? Wenn Sie einen Pfarrer fragen, was er von der Kirche hält, wird er immer positiv reden. Wir haben sehr gute Resultate, aber unsere Referenz sind verletzte Leute.

Es wird gesagt, dass Einlagen den Fuss sogar schwächen.

Das ist eine einseitige Sichtweise. Einlagen wirken sich auf den ganzen Körper aus, zum Beispiel auf die Beinachsen oder die Torsion des Beckens. Sogar die Schrittlänge kann sich ändern.

Ist Laufen auf dem Asphalt tatsächlich ungesund, oder braucht es einfach die richtigen Schuhe?

Auf dem Asphalt hat man die grösste Stabilität, darum ist für mich das Laufen auf der Strasse unproblematisch. Dass man sich immer auf die Schläge fixiert hat, ist für mich ein Marketing-Gag. Denn heute haben wir weiche Schuhe, wir fangen Schläge auf – und trotzdem werden immer noch mehr Hüft- und Knieprothesen implantiert. Der Knochen braucht die Belastung durch die Schläge, er wird dadurch stärker. Das Risiko ist viel grösser, wenn man auf unebener Unterlage läuft.

Oft wird gesagt, es sei sinnvoll, hin und wieder ein paar Runden barfuss auf dem Rasen zu drehen. Warum?

Das sollte eigentlich für eine Läuferin oder einen Läufer zum Standardprogramm gehören. Barfuss fühlt man den Boden, man weckt die Sensibilität des Fusses, und es ist einfach schön, auf Rasen zu laufen.

Was halten Sie von Barfussschuhen, die vor einigen Jahren im Trend waren?

Sie funktionieren nicht, denn das Barfusslaufen lässt sich nicht mit einem Schuh replizieren. Sobald auch nur eine dünne Sohle am Fuss ist, verhält sich dieser anders. Ausserdem kann man Barfusslaufen nicht als Erwachsener einfach schnell lernen. Die Zellen, die es braucht, um zum Beispiel Fettpolster zu bauen, müssen im Wachstum programmiert werden. Man muss also schon in der Kindheit viel barfuss laufen.

Wie lange halten Laufschuhe?

Im Moment durchschnittlich etwa 400 Kilometer, dann sind sie tot. Das ist brutal wenig, früher waren es zwischen 800 und 1200 Kilometer. Was heute gemacht wird, ist alles andere als nachhaltig, weil man die Schuhe immer leichter baut. Und je leichter sie sind, desto schneller sind sie kaputt.

Dabei reden doch die Schuhhersteller davon, dass sie nachhaltiger werden wollen.

Wenn ich sehe, wie viel Technologie in den Schuhen steckt und welchen Preis wir dafür bezahlen, dann darf es eigentlich nicht sein, dass sie nach 400 Kilometern auf dem Müll landen.

Wie merke ich, dass die Schuhe durchgelatscht sind?

Das ist gleich wie bei den Einlagen: Wenn man das Gefühl hat, einem sei nicht mehr wirklich wohl damit, dann ist es Zeit zu wechseln. Viele Leute spüren das aber nicht. Wenn wir wie bei den Pneus von Autos eine Busse für abgetragene Schuhe einführten, würden 30 bis 40 Prozent aller Läuferinnen und Läufer einen Strafzettel kassieren.

Gibt es einen Trick, wenn ich nicht spüre, dass der Schuh gewechselt werden sollte?

Stellen Sie ihn auf den Tisch. Wenn er nach aussen oder innen deformiert ist, brauchen Sie einen neuen. Es kommt übrigens auch vor, dass zum Beispiel der linke Schuh noch okay wäre, aber der rechte ist hinüber. Auch dann muss das Paar ersetzt werden.

Verändern sich Füsse und Bewegungsapparat über die Jahre?

Bei den Frauen wächst der Fuss auch nach 25 Jahren noch um bis zu anderthalb Schuhgrössen. Das hat unter anderem mit dem Hormonhaushalt zu tun oder mit einer Schwangerschaft. Beim Wachsen passt er sich auch an, und er kann sich deformieren. Das Körpergewicht kann schwanken, auch das wirkt sich aus. Und das Training. Dabei vergisst man meist, dass sich Training auch negativ auswirken kann. Wenn Ihre Lauftechnik nicht sauber ist, trainieren Sie quasi Ihre Fehler mit. Darum kann es sein, dass Sie nach einer gewissen Zeit einen komplett anderen Schuh brauchen.

Muss man heutzutage Laufschuhe noch einlaufen?

Im Prinzip nicht. Aber ich würde nach wie vor nicht einen neuen Schuh aus der Schachtel nehmen und damit einen Marathon bestreiten. Eine oder zwei Runden würde ich vorher schon damit laufen.

Worauf muss ich achten, wenn ich einen Carbonschuh anschaffen will?

Die erste Frage ist: Habe ich das Trainingsniveau, um die Vorteile des Schuhs wirklich nutzen zu können? Es braucht eine gewisse Kapazität, der Körper muss bereit sein. Diese Schuhe müssen wir tatsächlich einlaufen, aber in dem Sinn, dass wir uns daran gewöhnen. Was auch ganz wichtig ist: Ein Carbonschuh ist kein Trainingsschuh. Wir sehen immer mehr Leute, die nur noch damit trainieren, weil sie das Laufgefühl cool finden. Damit steigt die Verletzungsgefahr erheblich.

Wie setze ich ihn sinnvoll ein?

Je näher der Wettkampf kommt, desto mehr sollten Sie ihn benutzen. Wenn Sie einen Halbmarathon oder einen Marathon damit laufen wollen, sollten Sie etwa zwei Monate vorher anfangen, ihn gezielt einzusetzen. Laufen Sie eine kleine Runde damit, setzen Sie ihn einmal in einem Intervalltraining ein, um zu sehen, wie der Körper darauf reagiert. Es braucht spezifische Fähigkeiten, um die Schuhe nutzen zu können, zum Beispiel muss sich die Wadenmuskulatur aufbauen.

Wem würden Sie auf jeden Fall davon abraten?

Wenn Sie den Marathon nicht unter drei Stunden laufen können, würde ich keine Carbonschuhe tragen.

Aber eine Studie der «New York Times» bewies, dass sogar Fünf-Stunden-Läufer damit schneller sind.

Ja, aber welche Konsequenzen hat es? Wir wissen, dass sich die Muskeln der Oberschenkel schneller regenerieren, wenn man mit diesen Schuhen rennt. Aber wir beobachten auch viele Verletzungen: der Knie, des Sprunggelenks, der Achillessehne, der Hüfte, der Gesässmuskulatur. Das sind langwierige Sachen, das kuriert man nicht innerhalb einer Woche nach dem Marathon aus.

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Der richtige Schuh für jeden Zweck

Dauerlauf: Asics GT-2000. Den Schuh gibt es bereits seit dreissig Jahren. Er ist bei Läuferinnen und Läufern beliebt für Trainings im Grundlagenbereich. Wegen seiner Stabilität eignet er sich gut für Leute, die beim Aufsetzen des Fusses nach innen knicken. Asics-Schuhe sind generell relativ schmal gebaut und sitzen darum eng am Fuss.
Preis: zirka 190 Franken.

Leichtes Joggen: On Cloudsurfer. Die Schweizer Firma baut ihre Schuhe nach dem Prinzip, dass Läuferinnen und Läufer die Stabilität selbst erzeugen, also die spezifische Muskulatur dafür stärken. Der Cloudsurfer ist sehr leicht und liegt am Fuss wie ein Filzpantoffel. Die neueste Variante wurde speziell für Leute entwickelt, die mit der Ferse aufsetzen.
Preis: zirka 220 Franken.

Abseits der Strasse: Dynafit Alpine. Rennen im Gelände, das sogenannte Trailrunning, erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Dafür braucht es stabile Schuhe mit gutem Grip. Der Alpine ist zudem leicht und reaktionsfreudig, er eignet sich darum auch für schnelle Läufe in den Bergen.
Preis: zirka 170 Franken.

Intervalltraining: Adidas Adizero SL. Schnelle Einheiten auf der Strasse, Fahrtspiele oder Intervalltrainings sind das Salz in der Suppe des Lauftrainings. Dieser Schuh ist leicht und hat einen guten Grip, es gibt aber keine stabilisierenden Elemente, weshalb er nur für Einheiten auf der Strasse oder auf der Bahn eingesetzt werden sollte.
Preis: zirka 150 Franken.

Wettkämpfe: Nike Vaporfly 3. Dieser Schuh hat mit der Kombination von reaktivem Schaum und einer Carbonplatte in der Zwischensohle den Strassenlauf revolutioniert. Inzwischen gibt es von allen gängigen Marken Carbonschuhe, aber das Original gehört immer noch zu den besten. Für Anfänger nicht geeignet.
Preis: zirka 300 Franken.

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