Donnerstag, Februar 6

Jean-Pierre Nsame traf einst, wie er wollte, doch er hat ein verunglücktes Jahr hinter sich. Jetzt soll er dem FC St. Gallen beim Wachsen helfen.

Die Lage ist kompliziert im St. Galler Kybunpark, als sich unten an der Seitenlinie Jean-Pierre Nsame aufbaut. 0:1 liegt das Heimteam zurück gegen den Leader aus Lugano, Spielminute 65, und viel ist ihm an diesem klirrend kalten Mittwochabend bisher nicht eingefallen.

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Es braucht gerade viel Phantasie, um sich einen St. Galler Sieg vorstellen zu können. Aber vielleicht braucht es auch nur Nsame, den wuchtigen Stürmer, der die Schweizer Strafräume im Dress der Young Boys viele Jahre beherrscht hat und seit ein paar Tagen für die Ostschweizer spielt.

Eine halbe Stunde später ist es im Kybunpark immer noch kalt, aber jetzt brodelt er. In einer Ecke des Stadions bilden Männer in grün-weissen Leibchen eine Menschentraube. Matthias Hüppi, der Präsident der St. Galler, umarmt jeden, den er zu fassen bekommt. Gerade hat Christian Witzig den Ball ins Tor gejagt, 2:1, 94. Minute. Und zugespielt hat ihm diesen Ball Jean-Pierre Nsame.

Ein Assist beim Heimdebüt, verheissungsvoll klingt das, wobei dieser Assist nur in einer kurzen Ablage besteht. Die Hauptarbeit übernimmt dann Witzig, der junge St. Galler, dem an diesem Abend zwei wundervolle Tore gelingen. Und doch ist es nicht falsch, wenn man den Sieg der St. Galler auch der Einwechslung von Nsame zuschreibt. Denn danach passiert etwas beim Heimteam. Entschlossener wirkt es und mit dem Glauben ausgestattet, dass an diesem Abend doch noch etwas passieren könnte, weil jetzt im Sturmzentrum Nsame steht, der 31-Jährige, der schon so viel gesehen hat.

Der Transfer des Kameruners ist gerade eine der spannendsten Geschichten im Schweizer Fussball. Sie dreht sich um einen alten Helden, um den sich in letzter Zeit Zweifel rankten, und um einen Fussballklub, der sich mit ihm auf neues Territorium vorwagt.

In Polen schimpfte der Trainer über Nsame

Die Fussballsprache bietet für einen wie Nsame eine ganze Fülle von Wörtern. Torjäger ist so eines, Knipser ein anderes. Das alles ist Nsame, ein König des Strafraums, mit Gespür für Raum und Zeit und den richtigen Ort, 242 Spiele und 140 Tore für YB, und einmal, in der Saison 2019/20: 32 Tore in einer einzigen Super-League-Saison, Rekord. Das hat Alex Frei nicht geschafft, Seydou Doumbia nicht, Mladen Petric nicht. Nur Nsame.

Als der Stürmer die Young Boys im Januar 2024 verliess, tat er das als sechsfacher Meister, zweifacher Cup-Sieger und dreifacher Torschützenkönig. In der Super League hat er 109 Treffer erzielt, nur Marco Streller kommt auf zwei mehr.

Nsame ging als König des Strafraums, doch als was kehrt er zurück?

Die Frage stellt sich, weil der Kameruner kein gutes Jahr hinter sich hat. Er war in Como und dann in Warschau, aber Spuren hinterliess er dort kaum, 180 Minuten und 0 Tore in Italien, 404 Minuten und 2 Tore in Polen. Dort wird er auf Sportportalen als «Transfer-Debakel» bezeichnet. Gonçalo Feio, der Trainer von Legia Warschau, sagte im Herbst einmal an die Adresse von Nsame, man müsse halt rennen, wenn man spielen wolle. Später verbannt er ihn vorübergehend in die Reservemannschaft.

Das Unheil nahm aber schon früher seinen Anfang, im Januar 2024. Da geht der Kameruner weg aus Bern, der Stadt, in der ihn die Leute nur «Schämpu» nennen, ihn im Herzen tragen, weil er 2018 das Tor geschossen hat, an das alle so gerne zurückdenken: das 2:1 gegen Luzern, das den Meistertitel sichert, den ersten seit 32 Jahren.

Mit dem Tor hat sich Nsame für immer in die YB-Historie eingeschrieben, aber knappe sechs Jahre später gelingt es den beiden Parteien nicht, sich in Würde zu trennen. In aller Öffentlichkeit tragen sie einen Streit aus, wobei das von Nsame ausgeht und verschiedenen Aussagen in Zeitungen. Es geht um Einsatzzeit, Vertragsangebote und ausgeschlagene Wechselwünsche. Um Türen, die nach Gesprächen zugeschlagen wurden oder auch nicht. Vor allem aber um grosse Gefühle. Erkaltete Liebe. Verletzten Stolz. Zerstörtes Vertrauen. Die NZZ bezeichnete den Vorgang als komplexe Scheidung, die fast nur Verlierer zurücklasse.

Einst, im Jahr 2020, hatte Nsame gesagt, er wolle niemanden für dumm verkaufen und er wolle selbst nicht für dumm verkauft werden. Er tat das im Zusammenhang mit seinem Weggang aus Genf, wo er für Servette gespielt hatte, ehe er unbedingt nach Bern wollte und sich den Wechsel erstreikte. Später verliess er auch Bern im Streit – erneut, weil er sich ungerecht behandelt fühlte. Ist er einfach stolz, oder ist er auch schwierig?

Aus dem Gespräch vom Sommer 2020 stammt noch ein anderer Satz von Nsame: dass er keiner sei, der sich schnell in die Zukunft stürze. Tatsächlich bleibt er lange in Bern, lange in der Schweiz, viel länger, als das andere Stürmer taten, die viel weniger Tore erzielt haben als er. Das hat auch mit der Corona-Pandemie zu tun und einem Achillessehnenriss zur Unzeit. Aber später stürzt sich Nsame doch doch in die Zukunft, und es kommt nicht gut. 2022 geht er nach einer langen Verletzungspause zu Venezia. Ein halbes Jahr, 235 Minuten und 0 Tore später ist er zurück in Bern. 2024 flüchtet er nach Como und von dort bald nach Warschau.

Wird aus Schämpu Hampi?

Jetzt ist Nsame in St. Gallen, wo an diesem Abend 13 684 Zuschauer in den Kybunpark kommen. Viel ist das nicht für die Verhältnisse der Ostschweizer, ein Saison-Minusrekord sogar. Und das, obwohl Nsame zum ersten Mal zu Hause auftritt. Ostschweizer Herzen fliegen einem nicht einfach so zu, sie wollen erobert werden. Noch ist «Schämpu» nicht «Hampi».

Nsame kommt in einen Klub, der seit Jahren wächst und bei verschiedenen Parametern hinter YB und Basel die Nummer drei des Landes ist, beim Zuschauerschnitt etwa oder beim Umsatz. Kerngesund ist der Klub sowieso. Der FC St. Gallen hat viel Kraft entwickelt, seit Matthias Hüppi im Jahr 2018 Präsident wurde. Nur scheitert er zuweilen noch daran, diese Kraft auch auf den Platz zu bringen.

Mit Nsame leisten sich die St. Galler einen Transfer, den man als Zeichen verstehen kann – einen «Traumstifter» nannte das «St. Galler Tagblatt» den Kameruner. Roger Stilz, der Sportchef, sieht das nüchterner. Er sagt, dass sein Team Mühe gehabt habe, einfache Tore zu erzielen, und da soll Nsame helfen. Aber ambitioniert, das sei man natürlich, sagt Stilz, und der Kameruner personifiziere das durchaus. «Jean-Pierre wird uns guttun, als Fussballer und als Persönlichkeit», sagt Stilz. Vorerst haben die Ostschweizer den Stürmer bis zum Saisonende ausgeliehen, wobei sie eine Kaufoption im mittleren sechsstelligen Bereich besitzen.

Nsame war ein Jahr weg, doch seine Aura hat er nicht verloren. Und auch die Leidenschaft nicht, das zeigt der Mittwochabend in St. Gallen. Der Stürmer stachelt das Publikum an. Hämmert die Fäuste auf den Boden, als er einen Kopfball über das Tor setzt. Feiert nach dem Schlusspfiff den Siegtreffer ausgelassen vor der Heimkurve.

«Je ne peux pas», ich kann nicht, ruft er später, in den Katakomben des Kybunpark. Nsame soll zunächst keine Interviews geben, so wollen sie das in St. Gallen. Sondern erst einmal ankommen.

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