Montag, Oktober 14

Die Dichterin Ingeborg Bachmann und der Komponist Hans Werner Henze versuchten sich an einer idealen Liebes- und Arbeitsgemeinschaft. Doch ihr Projekt einer keuschen Ehe endete in der Katastrophe.

Die beiden hätten das Glamourpaar der Hochkultur werden können: Österreichs berühmte Dichterin Ingeborg Bachmann und der deutsche Komponist Hans Werner Henze, beide Jahrgang 1926. Doch ihr Projekt einer keuschen Ehe endete in einer Katastrophe.

Als sie 1952 aufeinandertrafen, schrieb Bachmann gerade an ihrem ersten Gedichtzyklus «Die gestundete Zeit». Henze hatte mit drei Sinfonien und der abendfüllenden Oper «Boulevard Solitude» Aufsehen erregt und galt als Shootingstar der westdeutschen Kulturszene. Gemeinsam waren ihnen die frühe Meisterschaft und die empfindsamen Seelen, die durch Kriegserlebnisse und faschistische Erziehung Schaden genommen hatten. Sie strebten aus der engstirnigen Provinz in die Welt hinaus, einige Jahre später sollte beiden internationaler Ruhm zuteilwerden.

In Deutschland fehl am Platz

Anlass der Begegnung war ein Treffen der legendären Gruppe 47. Bachmanns dezente Erscheinung unter lauter selbstbewussten Literaten schlug Henze sofort in den Bann. Noch vierzig Jahre später lässt ihn die Erinnerung wie einen verliebten Teenager von ihr schwärmen, er beschreibt sie als «elfenhafte Erscheinung mit schönen Augen und zitternden Lidern, wunderbaren Händen, eine Person, von der eine Aura von Empfindsamkeit ausging».

Brieflich dankt er für ihre «schönen und traurigen Gedichte» und lädt Bachmann zu gemeinsamen Ausflügen ein. Ihr Zwiegespräch bereichert die beiden um Einsichten in die geschätzte Kunstform des jeweils anderen. In wenigen Monaten entsteht eine innige Freundschaft. Henze lädt die «grosse Schwester» – Bachmann ist sechs Tage älter – ein, ihm in eine neue Wahlheimat zu folgen.

Der aufstrebende Komponist verstand Italien als idealisierten Schauplatz der Antike voller Wärme, Schönheit und Freundlichkeit der Menschen. In der deutschen Musikszene irritierten ihn widersprüchliche und unangenehme Erfahrungen: Während er beim Publikum und bei den Institutionen Erfolge feierte, begegneten Henze einige Vertreter der musikalischen Avantgarde, namentlich des Serialismus, mit Verachtung wegen seiner vermeintlich «zu schönen» Musik. So könne man heute doch nicht mehr schreiben, soll Karlheinz Stockhausen geurteilt haben.

Aber nicht nur deshalb fühlte sich Henze im Nachkriegsdeutschland fehl am Platz. Immer wieder begegneten ihm Überreste totalitärer Gesinnung, erschreckend viele Positionen im Adenauer-Staat waren von Altnazis besetzt. Die Mischung aus kleingeistigem Mief und Nationalismus stiess ihm derart übel auf, dass er im Frühling 1953 auf die Insel Ischia übersiedelte. In Italien fand er die erhoffte bessere Welt, die ihm bis zu seinem Tod im Jahr 2012 Heimat bleiben sollte.

Auch Bachmann war bereit, das «Kriegsland der Väter» zu verlassen, und folgte Henze im August 1953 in sein Haus auf der Insel Ischia. Ihr entschlossener Aufbruch in die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit dem homosexuellen Komponisten war ein gewagtes Vorhaben.

Flucht vor der Seelenverwandtschaft

Henze feierte das Ideal «einer keuschen und reinen Idee vom Künstlerleben», das sie zunächst 1953 auf Ischia, dann 1956 in Neapel erprobten. Bachmann schreibt in dieser Zeit die «Lieder von einer Insel», der Freund arbeitet an seiner neuen Oper «König Hirsch». Henze geniesst die Seelenverwandtschaft so sehr, dass er der Dichterin einen Heiratsantrag macht und ihr ein sorgenfreies Eheleben verspricht: «Vom ersten Moment an werden wir so schön, stolz, ruhig und glücklich sein, wie es nur geht.»

Doch der Mythos von der idealen Künstlerpartnerschaft muss nun korrigiert werden. Unter dem Titel «Senza casa» wurden, neben autobiografischen Skizzen und Briefentwürfen, erstmals die Tagebucheinträge Ingeborg Bachmanns aus der Verlobungszeit mit Henze veröffentlicht. Bisher gehörten die zahlreichen Einzelblätter zum gesperrten Nachlass der Dichterin. Akribisch haben die drei Herausgeberinnen die teilweise kaum leserlichen Seiten entziffert. Anders als die für einen Leser bestimmten Briefe gibt dieses private «Neapolitanische Tagebuch» Einblick in Bachmanns Seelenlage und in ihre psychische Krise im Jahr 1956. An deren Tiefpunkt verlässt sie das gemeinsame Zuhause in Neapel fluchtartig.

«Senza casa» lässt keinen Zweifel daran, dass Henze und Bachmann das Projekt Lebensgemeinschaft mit den schönsten Hoffnungen, aber unterschiedlichen Erwartungen angingen. Beide wollten einander Inspiration und Bollwerk gegen die gefühlte Feindlichkeit der Welt sein. Ein freies Leben mit heiterem Wechsel von disziplinierter Arbeit, künstlerischem Diskurs und italienischer Lebensart sollte das einsame Dasein im trüben Norden ablösen. Henze bot der Freundin einen «Pakt gegen die bedrohlich dumme Welt, gegen die Angst» an, den Bachmann dankbar einging.

Tatsächlich aber war ihre Beziehung von Anfang an asymmetrisch. Während Henze dank gut bezahlten Kompositionsaufträgen und Stipendien relative Sicherheit genoss, hatte Bachmann gerade den Sprung in das prekäre Dasein als freie Autorin gewagt. Henze mag sich nach den Anfeindungen als homosexueller Mann im Nachkriegsdeutschland eine nach aussen bürgerliche und glanzvolle Verbindung vorgestellt haben. Bachmann hingegen hoffte – wie schon zuvor in der gescheiterten Liebesbeziehung mit Paul Celan und später mit Max Frisch – auf die Ehe mit einem intellektuell ebenbürtigen Mann, in der künstlerisches Einverständnis, wirtschaftliche und emotionale Sicherheit mit erotischer Erfüllung einhergehen sollten.

Letztere konnte der seinerseits hochsensible und dabei freiheitsliebende Henze ihr nicht bieten, wie er frühzeitig und unmissverständlich klarstellte. Das «Neapolitanische Tagebuch» enthüllt, dass diese Abweisung für Bachmann mit der Zeit zur unerträglichen Kränkung wurde: «Mir ist zum Sterben elend. Jeder Bauernjunge ist attraktiver für ihn als ich.»

Das aufreibende «Nebeneinanderleben auf so engem Raum» weckt schliesslich sogar den Wunsch nach «Selbstmord, an ein Ende, fort gehen, um nichts zu zerstören, was schön war», notiert sie im vierten Heft. Mit der körperlichen Zurückweisung geht ein Gefühl von Unbehaustheit einher, das sie zeitlebens nicht mehr verlässt und das als Motiv bis in den späten Roman «Malina» präsent ist: «Aber man kann ja nicht heimgehen. Senza casa. Sono senza casa.» Der als abgrundtief erlebte Schmerz bildet einen eigentümlichen Kontrast zu der kraftvollen, selbstbewussten Stimme, die aus den «Liedern von einer Insel» spricht – vielleicht war er aber auch Voraussetzung für die Freisetzung ihres einzigartigen künstlerischen Potenzials.

Im selben Band veröffentlichen die Herausgeberinnen eine kommentierte Neuedition von Bachmanns «Kriegstagebuch» aus den Jahren 1944/45, das ihr später so leicht zu erschütterndes Vertrauen ins Leben und ihr Bedürfnis nach Sicherheit in Teilen erklärt. Darin beschreibt sie, wie sie die Bombenangriffe der Alliierten und die Todesangst im Bunker erlebt und von Nazi-Lehrern trotz Fliegeralarm in die sinnlose Verteidigung Klagenfurts geschickt wird. Nur knapp entgeht sie der Ausbildung an der Panzerfaust. Reale Lebensgefahr, tiefe Scham und Abscheu gegen die Verbrechen der Vätergeneration: Erfahrungen, die sie mit Henze und anderen Gleichaltrigen teilt. Auf diesem Boden konnte sich das Leben eines so feinsinnigen Menschen wohl nicht ohne Störungen entfalten.

«Meine grosse Freundin»

Das Scheitern des Eheprojekts mit Henze ist kaum verwunden, da stürzt sich Bachmann 1958 hochgestimmt in die nächste Beziehung. Der 2023 ebenfalls in der Salzburger Bachmann-Edition publizierte Briefwechsel mit Max Frisch liest sich vor dem Hintergrund des nun zugänglichen «Neapolitanischen Tagebuchs» als Fortschreibung eines Musters: Auf die zunächst euphorisch erlebte Liebes- und Arbeitsgemeinschaft folgen tiefe Enttäuschung und das demütigende Verlangen, den sich lösenden Geliebten mit aller Macht zu halten. Wobei sie sich selbst parallele Amouren, unter anderen mit Hans Magnus Enzensberger, zugesteht.

Zu dem Zeitpunkt ist Bachmann trotz ihrem imposanten Erfolg als Lyrikerin – sogar der «Spiegel» widmet ihr 1954 eine Titelgeschichte – körperlich und seelisch stark geschwächt, auch durch den missbräuchlichen Konsum von Alkohol und Tabletten, die ihre überreizten Nerven längst nicht mehr beruhigen. Im Januar 1963 ist es wiederum Henze, den sie nach einem Selbstmordversuch in tiefster Not um Rettung bittet. Und der Freund eilt ihr umgehend und diskret zu Hilfe, obwohl er mittlerweile als gefragtester westdeutscher Komponist unter ständig hohem Arbeitsdruck steht und dazu einen vollen Reiseplan als international tätiger Dirigent erfüllen muss.

Es ist zu bewundern, wie beide nach dem schmerzhaften Trennungsprozess ihre Freundschaft und die künstlerischen Projekte auf Augenhöhe fortführen. Das deutschsprachige Kulturleben des 20. Jahrhunderts kennt keine vergleichbare Zusammenarbeit zwischen Mann und Frau, Komponist und Dichterin. Henze vertont ihre Gedichte, gemeinsam schaffen sie ein Hörspiel, eine Ballettpantomime sowie die Opern «Der junge Lord» und «Der Prinz von Homburg».

Mit jeweils rund dreissig Produktionen an verschiedenen Bühnen gehören diese Opern zu den meistgespielten nach 1945. Hand in Hand erlebten die beiden rauschende Premieren, zu denen «meine grosse Freundin immer unheimlich fein gemacht» erschien, wie Henze sich bewundernd erinnert hat. Sie steht ihm ihrerseits loyal zur Seite, wenn seine Werke von Publikum und Kritik abgelehnt werden, etwa bei der Berliner Uraufführung der Oper «König Hirsch», die vom Dirigenten Hermann Scherchen gegen Henzes Willen zusammengestrichen wurde. Hunderte Briefe wechseln die «illustre Bachstelze» und «caro Hans», Texte von oft inniger Zärtlichkeit, manchmal aber auch voller Bitternis und Klagen.

Retten konnte Henze die Freundin nicht. Bachmanns bis heute nicht restlos aufgeklärter Unfalltod in Rom 1973 stürzte Henze in eine tiefe Krise. In seiner Verzweiflung erstattete er sogar Anzeige gegen unbekannt wegen versuchten Mordes. Bis zuletzt stand auf dem kleinen Tisch neben seinem Lieblingssessel ein gerahmtes Foto der Dichterin. Anders als er selbst hatte die hochbegabte Freundin keine Begabung zum Glück. Für Henze blieb Bachmann die Frau seines Lebens.

Ingeborg Bachmann: Senza casa. Autobiographische Skizzen, Notate und Tagebucheintragungen. Salzburger Bachmann-Edition, Piper und Suhrkamp 2024. 334 S., Fr. 58.90.

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