Mittwoch, April 2

Vor fast 70 Jahren, im März 1958, begann Charles David Keeling auf dem Vulkan Mauna Loa, Kohlendioxid zu messen. Der Arbeit verdanken wir eine der bekanntesten Darstellungen des Klimaproblems. Jetzt ist der Ort womöglich bedroht.

Rund 3400 Meter über dem Meeresspiegel, auf der Nordseite des grössten aktiven Vulkans der Welt, steht eine Beobachtungsstation, die uns im Laufe der letzten 67 Jahre wohl mehr über den Klimawandel erzählt hat als irgendein anderer Ort auf der Erde.

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Die Rede ist vom Mauna Loa auf Hawaii.

Im März 1958 fing dort der amerikanische Wissenschafter Charles David Keeling an, Kohlendioxid in der Atmosphäre zu messen. Heute ist seine Arbeit als Keeling-Kurve bekannt, ein Diagramm, das die stets wachsende Konzentration von CO2 in der Atmosphäre abbildet.

Die Kurve ist gewissermassen das Symbol für den menschengemachten Klimawandel. Als Keeling mit den ersten Messungen begann, lag der CO2-Gehalt bei 313 ppm. Heute liegt er bei rund 420 ppm; übersetzt bedeutet diese Einheit, dass auf eine Million Moleküle in der Luft inzwischen 420 Moleküle CO2 kommen. Laut der Weltwetterorganisation entspricht das 3,276 Billionen Tonnen CO2 in der Atmosphäre, so viel wie seit 800 000 Jahren nicht mehr.

Vergangene Woche wurde bekannt, dass auch diese Anlage womöglich nicht gegen die Sparmassnahmen der neuen amerikanischen Regierung unter Donald Trump gefeit ist und geschlossen werden könnte.

Die Regierungsbehörde NOAA, eine zentrale Schaltstelle für Wetter- und Klimadaten weltweit, betreibt die Messstation, ihre Mitarbeiter warten die benötigten Instrumente und halten die Anlage instand. Seit Wochen ist die Behörde unter Druck, Hunderte Mitarbeiter wurden seit Ende Februar entlassen.

Der Vulkan Mauna Loa ist nicht der einzige Ort auf der Welt, wo heute CO2 und andere Treibhausgase in der Luft gemessen werden, auch in der Schweiz, weit oben auf dem Jungfraujoch, steht eine Anlage. Aber «der Mauna Loa ist der wichtigste Ort, an dem Charles Keeling seine CO2-Messungen begonnen hat», sagt Nicolas Gruber von der ETH in Zürich im Gespräch. Auch am Südpol hatte Keeling mit Messungen begonnen.

Gruber, der das Departement Umweltsystemwissenschaften leitet, hat noch mit Keeling gearbeitet, bevor dieser 2005 starb. «Die Messungen waren wirklich ein bahnbrechender Moment, als sie Anfang der 1960er Jahre zum ersten Mal veröffentlicht wurden», erzählt er. Sie seien die zentralsten Puzzleteile, um zu verstehen, was mit dem Kohlenstoff passiere, den wir emittierten.

Denn Keeling zeigte, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zunimmt. Das gilt heute als Standardwissen in der Klimaforschung. Aber bis in die 1950er und 1960er Jahre habe die Mehrheit der Klimaforscher gefunden, dass die Verbrennung von fossilen Energieträgern kein Klimaproblem darstelle, erzählt Gruber. «Die grosse Mehrheit der Forscherinnen und Forscher war der Meinung, dass CO2 sich nicht in der Atmosphäre ansammelt», sagt er. Stattdessen ging man davon aus, dass der Ozean alle CO2-Emissionen aufnehme.

«Wir haben ein Problem»

Bis die von Keeling gemessenen Werte zum ersten Mal das Gegenteil zeigten. «Plötzlich haben wir realisiert, wir haben ein Problem», sagt Gruber. Die Daten belegten, dass die Emissionen fossiler Brennstoffe den CO2-Gehalt in der Luft erhöhen und nicht einfach verschwinden. «Diese Messungen sind eigentlich der grosse Big Bang gewesen, mit dem die Klimaforschung gestartet ist», so Gruber. Sie seien eine phänomenale Demonstration des menschlichen Einflusses auf die Atmosphäre.

Charles Daving Keeling zeigte mithilfe der Aufzeichnungen zudem, dass die Biosphäre «atmet» und dass sich das atmosphärische Kohlendioxid dadurch saisonal verändert, wie Ralph Keeling erzählt, der Hüter des wissenschaftlichen Erbes seines Vaters. Dabei warnt er im Gespräch nicht nur vor dem Anstieg von CO2, sondern auch davor, dass die Wachstumsrate steige.

Ralph Keeling kann sich immer genau erinnern, wann sein Vater mit den Messungen auf dem Mauna Loa begonnen hat. Denn er sei ein Jahr früher geboren worden, erzählt er im Gespräch.

Dass sein Vater auf einem Vulkan im Pazifischen Ozean seinen Messungen nachgegangen ist, kommt nicht von ungefähr. Der Ort war und bleibt ideal für die Entnahme von reinen Luftproben. Denn er ist weit entfernt von Wäldern und Feldern, von Verkehr, Fabriken und den vielen anderen Herden von Verschmutzung und Kohlendioxid, die die Messungen beeinflussen und verzerren könnten. Zudem habe Keeling einen Ort gesucht, der repräsentativ für die Nordhalbkugel sei, sagt Gruber.

Bevor Keeling auf dem Mauna Loa anfing, die Luft zu messen, begann er schon am Südpol mit seinen Untersuchungen. Keelings Arbeit dort ist jedoch aus einem zentralen Grund weit weniger bekannt: Dort wurde nicht so kontinuierlich gemessen wie auf Hawaii.

Arbeit auf Zeit

Es ist eine mühsame, wenig glamouröse Forschungsarbeit, tagein, tagaus die Eigenschaften der Luft zu registrieren. Aber es brauche die Kontinuität, wenn man präzise Schlüsse ziehen wolle, erklärt Ralph Keeling. Man könne beispielsweise nicht einfach unterschiedliche Aufzeichnungen von Messwerten aus unterschiedlichen Ländern aneinanderreihen und Erkenntnisse daraus ableiten.

Keeling führt die Arbeit seines Vaters fort, er ist ebenfalls an der Scripps Institution of Oceanography in San Diego beschäftigt. Ralph Keeling beschäftigt sich ausser mit Kohlendioxid auch mit anderen Gasen, allen voran Sauerstoff. Ohne die Langzeitbeobachtungen wäre es so, als würde man eine dunkle Strasse ohne Scheinwerfer entlangfahren, sagt er: «Man kann nicht sehen, was um einen herum ist. Das bedeutet auch, man kann nicht sehen, was vor einem ist.»

Das Problem dabei? Solche Langzeitbeobachtungen erwecken kaum Begeisterung bei potenziellen Geldgebern, ob Staat oder private Förderer. «Leute, die über finanzielle Mittel verfügen, wollen in der Regel etwas tun, was etwas Neues hervorbringt, oder etwas unterstützen, was so aussieht, als wäre es noch nie gemacht worden», sagt Ralph Keeling.

Sein Vater habe sein ganzes Leben dafür gekämpft, die Messreihen auf dem Mauna Loa am Leben zu erhalten, erzählt sein Sohn. Nur zwei Mal sei die Arbeit unterbrochen worden. Einmal in den 1960er Jahren, weil die Geldquellen austrockneten, einmal im Jahr 2022, als der Vulkan ausbrach.

Als beteiligter Forscher müsse man einen langen Atem haben, sagt Keeling und lacht. «Man ist teilweise ungläubig, dass irgendetwas von Wert aus etwas so Kompliziertem entstehen kann.» Doch irgendwann komme der Moment, und die Zahlen erzählten eine Geschichte. Er selbst habe zum Beispiel entdeckt, dass die Erde auch Sauerstoff saisonal ein- und ausatme, «so wie mein Vater entdeckt hatte, dass sie je nach den Jahreszeiten Kohlendioxid ein- und ausatmet».

Symbol einer anderen Zeit

Die Anlage auf dem Mauna Loa steht nicht nur für einen zentralen Aspekt der internationalen Klimaforschung, sondern auch für die Rolle der USA für die Wissenschaft und den Wissensaustausch weltweit – jedenfalls bevor Donald Trump angefangen hat, die Forschungsinfrastruktur, die das Land über Jahrzehnte aufgebaut hat, zusammenzukürzen.

So hätten die USA in den 1980er und 1990er Jahren mithilfe der NOAA ein globales Netzwerk aufgebaut, das zentral für die Beobachtung von Treibhausgasen gewesen sei, erzählt Ralph Keeling. Das ist das amerikanische Erbe der vergangenen Jahrzehnte, um das sich heute Forscher in aller Welt angesichts der Politik des Weissen Hauses sorgen.

Auch Gruber sagt, es sei nicht so, als ob es ohne die Station keine CO2-Messungen gäbe. Während der vergangenen Jahre seien viele Anlagen weltweit dazugekommen, unter anderem das Sphinx-Observatorium auf dem Jungfraujoch.

Aber der Mauna Loa sei das «Kronjuwel» des weltweiten Netzwerkes. Schliesst die Anlage, fällt ein zentraler Datensatz weg, der uns erlaubt, etwas wissender in eine unsichere Zukunft zu blicken. «Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist das diagnostische Frühwarnsystem», sagt Gruber.

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