Freitag, Januar 3

Mit seinem CD- und Konzertprojekt «Dance!» erforscht Daniel Hope die Geschichte des Tanzes in der Musik. Ein Gespräch über seinen eigenen Tanz mit der Geige, veränderte Hörgewohnheiten nach Corona und die faszinierende Symbiose von Bewegung und Klang.

Die erste Tanzpartnerin des vierjährigen Daniel Hope war seine Geige. Das Instrument unters Kinn geklemmt und den Bogen in der Hand, groovte der Junge durchs Zimmer und ertanzte sich Intervalle und Rhythmen. «Meine allerersten Geigenschritte waren schon mit Bewegung verbunden», erzählt der Musiker, dem seine erste Lehrerin nicht nur das Spielen beibrachte, sondern auch das Singen, Tanzen und Improvisieren. Für Hope ein Geschenk, das bis heute nachwirkt.

Gerade erst hat er sein neuestes Album «Dance!» veröffentlicht, ein Rundumschlag durch 700 Jahre Musik- und Tanzgeschichte, bei dem Hope mit rasantem Tempo durch die Epochen und Genres reist und die Ursprünge des Tanzes erforscht. Astor Piazzollas «Escualo» trifft auf Saint-Saëns’ «Danse macabre», der mittelalterliche Tanzzyklus «Lamento di Tristano» auf Duke Ellingtons «It don’t mean a thing» und Erwin Schulhoffs «Alla Tarantella».

«Der Tanz übt eine unglaubliche Macht auf die Menschen aus und hat mich schon immer fasziniert», sagt Hope. Neben dem Pas de deux mit seinem Instrument haben ihm verschiedene Erlebnisse die Kraft der Bewegung vor Augen geführt. Als Kind besuchte er mit seiner Grossmutter am Royal Opera House Covent Garden in London eine Ballettaufführung des «Nussknackers» – und war wie gebannt. «Die Musik wurde mit einem Male sichtbar, das war wie Magie für mich.» Wenig später begegnete er dem Menuhin-Freund Marcel Marceau bei einer Privataufführung in einem Schweizer Wohnzimmer. Der grosse Pantomime spielte einen Gefangenen, rang um Luft, prallte an unsichtbare Gitterstäbe und liess mit purer Bewegung eine imaginäre Welt entstehen.

Ein Mammutprojekt

Die Idee, dem Tanz ein eigenes Projekt zu widmen, hat Hope schon länger mit sich herumgetragen. Über zwanzig Jahre hatte er das Konzept in einer «gedanklichen Schublade» liegen, wie er sagt, und immer wieder sortierte er diese um. Dass das Tanz-Album nun Wirklichkeit wurde, hat auch etwas mit Corona zu tun: Als Hope nach der Stille des Lockdowns wieder in die Konzerthäuser zurückkehrte, traf er ein verändertes Publikum an. «Es herrschte eine völlig andere Energie im Saal, ein Gefühl von Erlösung», sagt Hope. Das sei bis heute so, ganz gleich, wo er auftrete.

«Das Publikum ist ein anderes geworden», so empfindet es Hope. Offener, ernsthafter und intensiver würden die Menschen zuhören, gewillt, «das Schöne einzufangen für sich». Am deutlichsten sichtbar werde das immer dann, wenn er Musik wie jene von Gershwin oder Duke Ellington spiele. «In der Sekunde, in der die ersten Töne erklingen, hebt es die Menschen förmlich von den Sitzen, und sie beginnen in der Phantasie, aber manchmal auch real, zu tanzen, als hätten sie nur darauf gewartet.»

Was hat es auf sich mit der machtvollen Synthese von Musik und Bewegung? Welche Rolle spielt der Tanz für das Leben? Mit diesen Fragen im Gepäck ist Daniel Hope eingetaucht in die Literatur, hat unzählige Tanzsätze zusammengetragen und daraus eine möglichst breite und doch zusammenhängende Auswahl getroffen, wie er sagt. Ein Mammutprojekt.

Aus den ursprünglich geplanten 500 Jahren Musik- und Tanzgeschichte wurden 700, aus einer CD zwei. Darauf finden sich Originale wie Arrangements, eingespielt in unterschiedlich grossen Besetzungen des Zürcher Kammerorchesters, dessen künstlerischer Leiter Hope seit 2016 ist. Bei einigen Nummern treten auch Gastmusiker wie der Swing-Gitarrist Joscho Stephan oder der Bandoneon-Spieler Omar Massa hinzu. Aber kurzweilig und schmissig ist das Album «Dance!» nur auf den ersten Blick. Hört man intensiver hinein, spiegelt sich in den Tänzen die Zeitgeschichte mit all ihren Härten und menschlichen Extremen.

«Der historische Ursprung von Tänzen ist oft hoch brisant und voller Konflikte», erklärt Hope. Da ist etwa der spanische Fandango, einst ein getanzter Befreiungsversuch der schwarzafrikanischen Sklaven, in dem diese ihren eigenen Rhythmus und ihre Protestlieder zum Ausdruck brachten. «All dies floss ein in eine Tanzart, die in Europa von Mozart und vielen anderen übernommen und weiterentwickelt wurde.» Dann ist da die Sarabande, einst bekämpft und verboten von der katholischen Kirche: «Die Vorstellung, dass ein Mann einer Frau im Tanz zu nahe kommen könnte, löste Panik aus und die Sarabande galt als unsittlich und obszön», sagt Hope. Gesellschaftsfähig wurde der Tanz schliesslich durch Komponisten wie Händel, die ehemals verpönte Rhythmen in «charmante europäische Musik» verwandelten.

Auch die Ursprünge der «Dance macabre» sind fernab vergnüglicher Leichtfüssigkeit. Böse Geister und tödliche Krankheiten sollten mit wilden Reigen bekämpft werden, von Tanzwut befallene Menschen bäumten ihre Körper zur Musik. Daneben finden sich freilich auch Werke wie die «Deutschen Tänze» von Franz Schubert auf dem Album, elegante und perfekt ausgewogene Stücke, bei denen gesellschaftliche Etikette kunstvoll in Musik gegossen wurde.

Früh erlebte Vielfalt

Im Gespräch ist Hope ein nahbarer Kommunikator, selbstkritisch und offen, mit einer ungebremsten Leidenschaft für Entdeckungen. Über den Horizont zu blicken, ist ihm von Kindesbeinen an vertraut, schliesslich wuchs er im Hause seines Mentors Yehudi Menuhin mit auf und sass dort regelmässig mit Musikern verschiedenster Kulturen und Genres auf dem Sofa. Vielfalt hat Hope immer schon als Normalität erlebt, und er zelebriert sie in seinen Programmen bis heute mit einer Selbstverständlichkeit, die jeden modischen «Crossover»-Stempel überflüssig macht.

Seine Hommage an den Tanz knüpft direkt dort an: «Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch tanzen kann und die Bewegung zur Musik in sich trägt», sagt Hope. Am eindrucksvollsten erlebt er dies tagtäglich bei seinen eigenen Kindern. «Wann immer bei uns etwas im Radio läuft, was nur den Hauch eines Rhythmus hat, tanzen sie sofort auf ihre Art und Weise.» Auch er selbst tanzt «sehr, sehr gerne» und mit grossem Enthusiasmus – «aber leider nicht besonders gut». Gleichwohl geniesst er sozusagen jeden Schritt: «Je mehr ich tanze, desto freier fühle ich mich.» Spätestens auf der Bühne ist es dann wieder so weit. Er klemmt die Geige unters Kinn, nimmt den Bogen in die Hand, und Musik und Bewegung werden eins.

Exit mobile version