Donnerstag, Mai 8

In der Schweiz soll die Individualbesteuerung eingeführt werden. Der Entscheid im Nationalrat am Mittwoch war knapp, im Ständerat dürfte es noch knapper werden.

Die ungewöhnliche Allianz von Liberalen und Linken hat gehalten: Eine Mehrheit um SP und FDP hat am Mittwoch im Nationalrat die Reform zur Einführung der Individualbesteuerung einen grossen Schritt vorangebracht. Es wäre ein grundlegender Systemwechsel, der auch für die Kantons- und Gemeindesteuern gelten würde: Heute werden verheiratete Paare als Einheit besteuert, weil sie als Wirtschaftsgemeinschaft gelten. Künftig müssten sie zwei Steuererklärungen ausfüllen wie Konkubinatspaare, damit sie individuell veranlagt und besteuert werden können.

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Die Entscheide im Nationalrat sind so knapp ausgefallen, wie dies zu erwarten war. Hinter der Reform stehen neben SP und FDP auch Grüne und GLP. SVP und Mitte hingegen sind geschlossen dagegen. Die Fronten in dieser Debatte sind seit Jahren verhärtet. Das konservative Lager sieht durch die Individualisierung die Ehe als Institution bedroht. Zudem gehören insbesondere traditionell organisierte Familien, in denen ein Elternteil den Hauptteil des Einkommens erzielt, zu den Verlierern der Reform.

Entlastung um 600 Millionen Franken

Die Liberalen und die Linken hingegen vertreten ein moderneres Familienbild, sie wollen die viel zitierte «Heiratsstrafe» mildern, von der insbesondere Doppelverdiener betroffen sind. Mit der Reform soll es zudem für jenen Ehepartner mit dem tieferen Einkommen – in der Regel die Frau – attraktiver werden, mehr zu arbeiten.

Die Vorlage würde gemäss den aktuellen Schätzungen des Bundes unter dem Strich zu einer Entlastung der Privathaushalte um 600 Millionen Franken führen. Allerdings gibt es Gewinner und Verlierer. Sowohl die positiven wie die negativen Effekte sind vor allem für Haushalte mit höheren Einkommen spürbar, weil die Bundessteuer stark progressiv ist.

Gesamthaft könnte sich rund die Hälfte aller Steuerpflichtigen auf eine Entlastung freuen, die mehrere tausend Franken im Jahr betragen kann. Zu den Nutzniessern der Reform zählen vor allem Doppelverdiener und Pensionierte. Auf der anderen Seite müssten sich 14 Prozent der Steuerzahler darauf einstellen, dass sie mehr Bundessteuern bezahlen müssen. Verlierer der Reform sind neben den traditionell organisierten Familien vor allem Alleinstehende. Der Aufschlag kann ebenfalls mehrere tausend Franken ausmachen.

Bissige Fragen an die FDP

Die Mehrbelastung für die betroffenen Haushalte fällt mit der Variante, die der Nationalrat am Mittwoch beschlossen hat, grösser aus als ursprünglich geplant. Das liegt daran, dass die SP und die Grünen gedroht hatten, die Reform nicht mehr zu unterstützen, wenn die Steuerausfälle für den Bund nicht reduziert werden. Daraufhin haben sie sich mit der FDP in der Wirtschaftskommission des Nationalrats auf einen neuen Kompromiss geeinigt, der nun am Mittwoch den ersten Test bestanden hat.

Die Freisinnigen unterstützten den Antrag einstimmig. Daran vermochten auch die Mitte- und die SVP-Vertreter nichts zu ändern, die mehrfach bissig bis spöttisch fragten, seit wann die FDP Steuererhöhungen unterstütze. Deren Wortführer gaben zurück, dass die Entlastungen gesamthaft deutlich überwiegen.

Die Absturzgefahr für die prestigeträchtige Reform ist weiterhin gross. Nun geht sie in der neuen Form wieder zurück in den Ständerat. Dort dürfte es noch knapper werden. Beim letzten Mal hat er sich nur mit 23 zu 22 Stimmen für die Reform ausgesprochen. Und nun fehlt dem Lager der Befürworter eine Stimme, weil das Bundesgericht die Wahl des Schaffhauser SP-Ständerats Simon Stocker aufgehoben hat.

Der Entscheid im Ständerat dürfte im Juni fallen. Falls die Reform zustande kommt, ist mit einem Referendum des konservativen Lagers zu rechnen, womit das Stimmvolk das letzte Wort hätte.

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