Sonntag, Januar 19

Gwynne Shotwell ist die heimliche Chefin von SpaceX, sie verantwortet als Präsidentin alle operativen Prozesse. Für ihren Erfolg ist ihr fast jedes Mittel recht.

Was machen die beiden reichsten Männer der Welt, wenn sie ihre Macht auf der Erde ausweiten wollen? Sie schauen in den Weltraum. Lange hat Elon Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX den Markt für Raumfahrt beherrscht. SpaceX war das erste private Unternehmen, das Menschen für einen Weltraumspaziergang ins All schickte. Jetzt hat sich das Kräfteverhältnis verändert. Denn Jeff Bezos hat es am Donnerstag geschafft, seine neue Rakete New Glenn, eine Schwerlastrakete seines Unternehmens Blue Origin, in den Weltraum zu schicken. Die Starship-Rakete von SpaceX hingegen ist bei ihrem siebten Testflug in der Nacht auf Freitag kurz nach dem Start explodiert.

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Damit nimmt ein Kräftemessen zwischen den Unternehmen seinen Fortgang, ein Aufrüsten im Kampf um den Weltraum. Es geht nicht nur um die Frage, wer die grösste Rakete hat, die die schwerste Nutzlast tragen kann. Entscheidend ist die Wiederverwendbarkeit der Raumschiffbestandteile, denn dadurch sinken die Kosten enorm. Das ist die Voraussetzung für die kommerzielle Eroberung des Weltraums.

Die Welt schaut nun auf Blue Origin und SpaceX und sieht Jeff Bezos und Elon Musk. Doch dies ist kein Wettbewerb zweier Männer. Auf der Seite von SpaceX steht eine Frau. Sie heisst Gwynne Shotwell und ist die heimliche Chefin des Unternehmens.

SpaceX dreht sich immer mehr um Gwynne Shotwell

Während Elon Musk sich vermehrt politischen Tätigkeiten widmet und eine aktive Rolle in der kommenden Trump-Regierung einnehmen dürfte, rückt Shotwell weiter ins Zentrum von SpaceX.

Denn Gwynne Shotwell ist die Präsidentin von SpaceX, und sie ist verantwortlich für die operative Leitung. Sie führt die Mitarbeitenden fast aller Sparten, verantwortet die Beziehungen zu den Kunden, hat enge Kontakte zur Nasa. Gwynne Shotwell ist die einzige Person ausser Musk, die bei Starts und Landungen vor die Öffentlichkeit treten darf. Etwa bei der erfolgreichen Landeaktion im Oktober vergangenen Jahres, als SpaceX eine Raketenstufe wieder einfangen konnte. Elon Musk ist der Chef auf dem Papier. Gwynne Shotwell ist es im Kontrollzentrum.

Wenn jemand weiss, was es braucht, um neben Musk zu bestehen und dabei immer mächtiger zu werden – dann ist es sie. Das hat vor allem mit ihrem unbedingten Siegeswillen zu tun. Und mit einer Kompromisslosigkeit, die auch Jeff Bezos zu spüren bekommen dürfte.

Der Job, unmöglich scheinende Visionen umzusetzen

Shotwell bewegt sich in ihrem Job in einem Hochrisikoumfeld. Hat sie Erfolg, sind die Reaktionen spektakulär. Scheitert sie, sind sie es ebenfalls. Die Firma will Weltraumfahrten als kommerziellen Transportweg etablieren und Menschen auf den Mars fliegen. Die Arbeitsteilung hierbei: Elon Musk hat die grossen Visionen. Gwynne Shotwell setzt sie um.

In einem Interview sagte Shotwell vor ein paar Jahren einmal: «Wenn Elon etwas sagt, darf man nicht sofort herausplatzen und sagen: ‹Das ist doch nicht möglich›, oder: ‹Das können wir auf keinen Fall machen, ich wüsste nicht wie›.» Nein, man halte den Mund und finde Wege, es zu schaffen.

Für ihre Aufgabe muss Shotwell pragmatisch sein. Will Musk mit der Falcon Heavy eine neue Super-Trägerrakete erschaffen, bindet Shotwells Team drei Modelle des kleineren Vorgängermodells Falcon 9 zusammen, deren Motoren wiederum aus neun kleineren Motoren des Vorgängermodells Falcon 1 bestehen. Ist Musk wieder aufbrausend und droht Geschäftspartner zu brüskieren, geht Shotwell dazwischen. Sie deeskaliert, beruhigt die Kunden. Der Nasa-Chef Bill Nelson sagte einmal in einem Interview, eine der wichtigsten Entscheidungen, die Musk getroffen habe, sei gewesen, Gwynne Shotwell als Präsidentin von SpaceX einzusetzen. «Sie führt das Unternehmen und ist exzellent. Also mache ich mir keine Sorgen.»

Es ist diese Mischung aus Führungsstärke und psychologischem Geschick, die Shotwell an die Spitze von SpaceX gebracht hat. Ihren Namen scheint sie zu Recht zu tragen. Doch Shotwell hat noch eine andere, dunklere Seite.

Eine der 25 mächtigsten Frauen der Welt

In Interviews und bei Auftritten gibt sich Shotwell zwar nahbar, bodenständig, sie macht Witze. Führt SpaceX eine Sicherheitsrutsche ein, testet Shotwell sie selbst, filmt sich dabei und postet es auf X. Sie hat die Erzählung über sich perfektioniert.

Gwynne Shotwell ist in den sechziger Jahren in einem Vorort von Chicago aufgewachsen, als Tochter eines Gehirnchirurgen und einer Künstlerin. Als kleines Mädchen sei sie es gewesen, die geholfen habe, den Rasen zu mähen oder das Basketballnetz zu reparieren, sagte sie der «Los Angeles Times». Ihre liebste Geschichte ist diese, sie erzählt sie bei Interviews oder Vorträgen immer wieder:

Als sie 16 Jahre alt gewesen sei, habe sie mit ihrer Mutter eine Veranstaltung von Ingenieurinnen am Illinois Institute of Technology besucht. Eine der Maschinenbauerinnen habe mit ihr gesprochen und sie mit ihrer selbstbewussten Art und ihrem tollen Anzug beeindruckt. Shotwell sagt jeweils mit einem Lachen: «Ich habe ihre Schuhe geliebt.» Darum habe sie entschieden, Maschinenbauerin zu werden.

Shotwell bewarb sich an der Northwestern University und studierte Maschinenbau und angewandte Mathematik. Ab 1988 arbeitete sie in einem Forschungszentrum für Raumfahrt und war Chefingenieurin eines Satellitenprogramms, danach leitete sie die Abteilung für Raumfahrtsysteme bei einem kleinen Raketenunternehmen. 2002 wurde Shotwell von Elon Musk für SpaceX abgeworben, um den Bereich Geschäftsentwicklung zu leiten. Musk hatte die Firma im selben Jahr gegründet, Shotwell gehörte zu den ersten zwölf Angestellten.

Im Jahr 2008 kam dann der Durchbruch: SpaceX gelang der Startflug seiner Falcon-1-Rakete, und Shotwell schaffte es, ein Geschäft über 1,6 Milliarden Dollar mit der Nasa auszuhandeln. SpaceX durfte zwölf Versorgungstransporte zur Internationalen Raumstation (ISS) durchführen. Von da an ging es für Shotwell nur noch aufwärts.

Im selben Jahr ernannte Elon Musk sie zur Präsidentin von SpaceX. Mit dem Wachstum der Firma wuchs über die Jahre auch Shotwells Verantwortung. Im Jahr 2024 zählte Forbes sie zu den fünfundzwanzig mächtigsten Frauen der Welt.

Die bedingungslose Loyalität zu Elon Musk

Aber Shotwell könnte die zielorientierteste und charismatischste Geschäftsfrau der Welt sein. Unter Elon Musk hätte sie keine Chance, aufzusteigen, würde sie ihm nicht wiederholt ihre bedingungslose Loyalität demonstrieren.

So wurden ab 2021 mehrere Anschuldigungen gegen Musk und SpaceX publik. Eine ehemalige Mitarbeiterin beschrieb eine feindliche Unternehmenskultur bei SpaceX, in der Frauen sexuell belästigt würden und HR-Verantwortliche wegschauten. Das «Wall Street Journal» schrieb letztes Jahr über eine Reihe mutmasslicher sexueller Beziehungen von Musk zu SpaceX-Mitarbeiterinnen. Einer Flugbegleiterin habe er 2016 für sexuelle Handlungen ein Pferd angeboten.

Doch egal, wie drastisch die Vorwürfe waren, Shotwell stellte sich stets auf die Seite von Musk. Die Anschuldigungen seien falsch, sagte sie zum Fall mit der Flugbegleiterin. Als Mitarbeitende von SpaceX im Juni 2022 in einem offenen Brief forderten, dass SpaceX sich von Musk distanzieren solle, war Shotwells Antwort, sie hätten drei Satellitenstarts in 37 Stunden durchzuführen und keine Zeit für diese Art von überbordendem Aktivismus. Die Mitarbeitenden, die den offenen Brief verfasst hatten, wurden wenig später offenbar entlassen.

Es ist diese andere Seite von Shotwells Pragmatismus, die zeigt: Diese Frau hat ein Ziel, und um dieses zu erreichen, scheinen ihr fast alle Mittel recht zu sein. Sie will SpaceX zum Erfolg führen, und sie will an der Spitze des Unternehmens stehen. Hierbei wird sie sich weder von klagenden Mitarbeitenden noch von Jeff Bezos ausbremsen lassen.

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