Mittwoch, November 27

Im Gegensatz zu den Aktionären der Credit Suisse haben Besitzer von AT1-Anleihen bei der Fusion von UBS und CS einen Totalverlust erlitten. Das ist ein Präzedenzfall für die Schweiz, der dem Finanzplatz zusätzlich schaden könnte.

Bei der CS-Rettungsaktion sind viele zu Schaden gekommen. Einen Aufschrei gab es international aber nicht in erster Linie wegen des ungewissen Schicksals von CS-Mitarbeitenden oder Kunden. Mitunter am meisten Empörung verursachte der Totalverlust von 16 Milliarden Franken, den die Halter sogenannter AT1-Anleihen der Credit Suisse erlitten haben.

Als besonders stossend wird empfunden, dass es mit der Finma eine Schweizer Staatsbehörde war, die die Abschreibung verfügt hat. Als ebenfalls inakzeptabel wird angesehen, dass Obligationäre den grösseren finanziellen Schaden erlitten haben als Aktionäre.

Die Finma reagierte auf die internationale Kritik und verteidigte die Entscheidung, diese speziellen Obligationen abzuschreiben, weil das «vertraglich vorgesehen» sei. Das wird nun bestritten. Eine Gruppe von mindestens 15 Grossinvestoren hat entschieden, diese Verfügung der Finma juristisch anzufechten. Die Zeit drängte, die Eingabefrist für eine Klage beträgt 30 Tage. Eine Notverordnung des Bundes gab am 19. März der Finma die Kompetenz, die CS zur Abschreibung dieser Wertpapiere zu zwingen.

«Es gab einen ungeheuren Aufschrei»

Schon einen Tag nach Bekanntwerden der Übernahme kündigte die in Kalifornien ansässige Anwaltskanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan an, ein internationales Anwälte-Team zusammenzustellen, um «mögliche juristische Schritte» zu prüfen. Offenbar ist jetzt genug Fleisch am Knochen, um zuerst ein Verfahren gegen den Finma-Entscheid anzustrengen. Später könnte eine Klage gegen die Credit Suisse beziehungsweise ihre neue Besitzerin, die UBS, folgen.

«Es gab einen ungeheuren Aufschrei», sagt Thomas Werlen, der das Verfahren gegen die Finma für die US-Kanzlei aus der Schweiz heraus koordiniert. Über 1000 E-Mails von betroffenen Bond-Haltern seien bei der Kanzlei eingegangen, unter ihnen befänden sich auch viele Schweizer Kleinanleger. Werlen kennt die CS, er hatte als externer Prüfer im Auftrag der Finma die Beschattungsaffäre um Iqbal Kahn untersucht.

Der Kreis der Betroffenen ist gross und umfasst Gläubiger in der Schweiz wie im Ausland. Die US-Kanzlei hatte bereits im Jahr 2017 die Interessen von AT1-Gläubigern nach dem Verkauf des spanischen Banco Popular an den Banco Santander vertreten.

Grosser Kreis von Geschädigten

Die Gesamtzahl der Geschädigten im CS-Fall geht in die Tausende. Entsprechend befinden sich unter den Klagewilligen Pensionskassen aus der ganzen Welt, Vermögensverwalter jeder Couleur und Staatsfonds. AT1-Produkte sind auch in vielen Vermögensverwaltungs-Portfolios von wohlhabenden Personen zu finden, besonders auch in Hongkong und Singapur. Gemäss der «Washington Post» gehören auch grosse Vermögensverwalter wie Blackrock, GAM, Invesco oder Lazard zu den Geschädigten.

AT1-Bonds sind eine Art Wandelanleihe oder Contingent Convertible Bonds (Cocos, vgl. Box). Sie richten sich hauptsächlich an professionelle Investoren. In Grossbritannien und den USA werden sie nur an Institutionelle wie Fonds oder Versicherungen vertrieben. «Im Gegensatz zum Ausland können in der Schweiz auch Privatanleger diese Instrumente kaufen», sagt Guido Versondert, Anleihenspezialist bei Independent Credit View (I-CV).

Nebst Stückelungen à 100 000 Franken waren auch solche für 5000 Franken im Umlauf. So hat etwa die Raiffeisen eigene AT1-Bonds Privatkunden angeboten. «Dass solche Instrumente Privaten zugänglich sind, ist nicht nachvollziehbar. Hier besteht Handlungsbedarf für die Finma», sagt Luc Thévenoz, Professor für Bankrecht an der Universität Genf.

Schweizer Pensionskassen wenig betroffen

Unter den Schweizer Pensionskassen seien indessen nur wenige in die Coco-Bonds der CS investiert gewesen, sagt Hanspeter Konrad, Direktor des Pensionskassenverbands Asip. Trotzdem sei zu prüfen, ob bei der Fusion der beiden Grossbanken alles rechtlich korrekt abgelaufen sei – beispielsweise, ob Coco-Anleihen per Notverordnung des Bundes komplett abgeschrieben werden könnten.

Die Migros-Pensionskasse (MPK) gehört derweil zu den Kassen, die in AT1-Bonds der CS investiert waren. Laut dem Geschäftsleiter Christoph Ryter hatte die Vorsorgeeinrichtung 99 Millionen Franken in entsprechende Anleihen angelegt, als Bundesrat, Banken und Behörden entschieden, diese abzuschreiben. Insgesamt habe die MPK seit Beginn dieses Jahres mit CS-Anlagen rund 110 Millionen Franken verloren, sagt Ryter. Dies entspreche 0,4 Prozent des Gesamtvermögens. Die Pensionskasse investiert in ein breit gefasstes Coco-Bond-Portfolio mit vielen anderen Emittenten neben der CS.

Langfristig gesehen – über fünf beziehungsweise zehn Jahre hinweg – habe es sich für die MPK von der Rendite her gelohnt, in Coco-Bonds zu investieren, sagt Ryter. Man dürfe nicht vergessen, welch hohe Coupons manche der Papiere hätten. Alleine im vergangenen Jahr habe die MPK mit Coco-Bonds einen Ertrag von 65 Millionen Franken erzielt. Ryter sieht Cocos weiterhin als langfristig investierbare Anlageklasse.

Starke Schwankungen am Markt für Cocos

Die Investmentgesellschaft Swisscanto macht indessen keine Angaben dazu, ob sie zu den Geschädigten gehört. Der zur Zürcher Kantonalbank (ZKB) gehörende Vermögensverwalter hat den Fonds Swisscanto (LU) Bond Fund Responsible Coco im Angebot, der auf Coco-Anleihen spezialisiert ist. Der Fonds hatte per 30. März ein Vermögen von knapp 394 Millionen Franken. Im Fact-Sheet zu dem Produkt vom Februar ist noch ein Vermögen von 458,5 Millionen Franken angegeben, er hat also jüngst einiges an Volumen verloren.

«Die Abschreibung der CS-Coco-Bonds war kurzfristig ein grosser Schock für den AT1-Markt», sagt Daniel Björk, der den Coco-Fonds von Swisscanto verwaltet. Am Tag nach der Bekanntgabe der CS-Übernahme durch die UBS sei der Markt vorübergehend um bis zu 20 Prozent getaucht, um die Verluste dann bis zum Ende des Tages auf rund 7 Prozent einzugrenzen. Die starken Schwankungen erklärt Björk einerseits damit, dass die Credit Suisse der zweitgrösste Emittent im Coco-Markt war und ihre Anleihen einen Anteil am Gesamtmarkt von 6 Prozent hatten. Gemäss Thévenoz gab es falsche Erwartungen im Markt. «Hoffentlich ist jetzt klarer, dass solche Bonds vor dem Aktienkapital abgeschrieben werden können.»

Europäische Finanzbehörden distanzieren sich

Zudem gab es nach der Abschreibung der CS-Bonds erhöhte Unsicherheit im Markt über die Ausgestaltung von Cocos. Europäische Finanzbehörden sahen sich im Nachgang der Abschreibung jedenfalls genötigt, sich von der Schweizer Entscheidung zu distanzieren und zu bekräftigen, dass in der EU Wertpapiere wie Aktien als erste die Verluste vollständig absorbieren müssen, bevor nachrangige Bonds wie AT1 oder andere abgeschrieben werden.

Zwischen Schweizer Cocos und solchen aus anderen Ländern gebe es Unterschiede, schweizerische Aufsichtsbehörden hätten bei einer solchen Abschreibung mehr Flexibilität, sagt Björk. Dies sei vielen Marktteilnehmern zunächst nicht bewusst gewesen. Bei der Abschreibung von Coco-Anleihen des Banco Popular im Jahr 2017 sei zunächst das Aktienkapital auf null gestellt worden, bevor die Coco-Bonds ausgelöscht worden seien.

Höhere Risikoaufschläge erwartet

Unabhängig davon, wie juristische Verfahren gegen Finma oder UBS ausgehen werden, den 250 Milliarden Dollar grossen Markt für AT1-Anleihen haben die Schweizer Behörden mit ihrem Vorgehen bereits verändert. «Damit wird eine grundlegende Neubewertung der Instrumente einhergehen. Der Kreis der Banken, die diese emittieren können, wird viel kleiner werden», sagt Versondert.

«Das ist ein Erdbeben», sagt Ali Masarwah, Partner bei der Fondsplattform Envestor. Der Verlust der Anlagen habe auch international Schockwellen ausgelöst. Dies zeigt die Performance verschiedener Fonds und Exchange-Traded Funds (ETF) auf Coco-Bonds, die nach der Ankündigung der Fusion von UBS und Credit Suisse deutlich an Wert verloren haben. Das Segment sei schon immer durch starke Kursschwankungen gekennzeichnet gewesen, sagt Masarwah. Nun komme aber die Diskussion über die Sicherheit dieser Anleihen hinzu. Er sieht aber keine grundlegende Gefahr für den Markt der AT1-Anleihen, wenn sich die Bankenkrise nicht massiv zuspitzt.

«Der Bundesrat hat einiges ausser Kraft gesetzt, an das man als Anleger geglaubt hat», sagt Damian Gliott, Mitgründer des Schweizer Beratungsunternehmens Vermögenspartner. Die komplette Abschreibung der Coco-Bonds der CS sei schon «sehr fragwürdig». Er sei konsterniert, dass so etwas in der Schweiz passieren könne. Gliott rechnet mit deutlichen Risikoaufschlägen im Markt für AT1-Anleihen.

Viele Investoren schätzten diesen nun als viel riskanter ein als zuvor. Für Banken heisse dies, dass sie in Zukunft mehr für Eigenkapital bezahlen müssten. Die UBS profitiere so nun von der Abschreibung der CS-Coco-Bonds, müsse auf der anderen Seite aber auch einen höheren Risikoaufschlag bezahlen.

Rätseln über die Gründe

Bis anhin ist nicht bekannt, was zur Entscheidung geführt hat, die AT1-Anleihen auszulöschen. Es wird spekuliert, die UBS habe das im Verhandlungspoker durchgesetzt: Sie zahlt 3 Milliarden Franken für das Eigenkapital der CS, muss dafür 16 Milliarden Franken weniger an Schulden übernehmen. Andere Stimmen gehen davon aus, dass der Entscheid politisch motiviert war, um die CS-Grossaktionäre aus dem arabischen Raum zu schonen.

Unter welchen Bedingungen eine Umwandlung oder Abschreibung erfolgen kann, ist eigentlich festgeschrieben. Dabei müssen gewisse Konditionen erfüllt sein, etwa die Unterschreitung der harten Kernkapitalquote (was nicht der Fall war) oder eine ausserordentliche Unterstützung durch den Staat.

Die Auslegung dieser Klauseln ist jedoch umstritten. «Der Prospekt ist nicht eindeutig», sagt Thomas Werlen, die Vertragsklauseln würden dieser «einmaligen Transaktion» nicht gerecht. Insbesondere die spätere Einführung einer Notklausel durch den Bund, die eine separate Abschreibung der Bonds erlaube, werfe Fragen auf, sagt der Anwalt. Grundsätzlich müsse geprüft werden, ob der staatliche Eingriff überhaupt erforderlich gewesen sei und ob die Behörden verhältnismässig gehandelt hätten.

Was sind AT1-Anleihen?

AT1- oder Additional Tier 1 Bonds sind Wandelanleihen, die nach der Finanzkrise 2008 von den Regulatoren geschaffen wurden, um Banken widerstandsfähiger zu machen. Sie sollen im Falle einer Schieflage eines Finanzinstituts die Kapitalbasis stärken, indem Fremdkapital in Eigenkapital gewandelt oder abgeschrieben werden kann.

Diese Eigenschaft macht sie risikobehafteter als herkömmliche Obligationen, aber sie standen bisher im Ruf, sicherer zu sein als Aktien. Die Instrumente sind nicht für den Abwicklungsfall vorgesehen. Sie wurden entwickelt, um Verluste abzufedern. Die Abschreibung der AT1-Bonds der Credit Suisse sind der grösste Verlust, den AT1-Halter seit ihrer Einführung je erlitten haben.

Nicht nur die Credit Suisse hatte AT1-Bonds. In der Schweiz und Europa hat die UBS den höchsten Anteil dieser Bonds am Gesamtkapital. Hierzulande haben auch die ZKB, Raiffeisen, Vontobel oder die Bank Cler solche Bonds begeben. Auch bei europäischen Banken sind sie verbreitet, Société Générale, Deutsche Bank und Intesa Sanpaolo halten besonders viele davon.

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