Montag, Oktober 7

Die Branche will 900 Windräder in der Schweiz. Doch der Widerstand in der Bevölkerung ist gross und die Bewilligungsverfahren zäh. Nun dreht der Wind: Pro-Vereine formieren sich.

«EolJorat Sud», «Grenchenberg», «Montagne de Buttes», «Mollendruz», «Sur Grati» und «Charrat». Das steht auf Plakaten geschrieben, die Personen im Berner Rathaus hochhalten. Es handelt sich um Windkraftprojekte in der Romandie, die 2007 oder 2008 lanciert wurden. Die Projekte stecken im Schweizer Bewilligungsdschungel fest: Bis heute wurde in diesen Gebieten keine einzige Turbine verbaut, keine einzige Kilowattstunde Strom gewonnen.

Es ist Windenergietagung in Bern, und die Branche ist auf der Suche nach dem «Wind of Change». In Deutschland trägt Windkraft fast ein Drittel zur Stromversorgung bei, in Österreich sind es 15 Prozent und in Frankreich, das in erster Linie auf Atomenergie setzt, immerhin ein Zehntel. In der Schweiz: 0,3 Prozent. 40 Anlagen produzieren Strom. Es sollen mehr werden. Der Bund strebt bis in 26 Jahren an, 760 Windturbinen zu installieren. Die Branche sogar 900.

Warum hat die Windkraft in der Schweiz solch einen schweren Stand?

Doch um dieses Ziel zu erreichen, müsse sich einiges ändern, sagt Lionel Perret, Geschäftsleiter von Suisse Eole, dem Branchenverband der Schweizer Windenergie. Als Hauptproblem sieht er die «ewigen» Bewilligungsverfahren.

Zuerst muss der Kanton Gebiete ausscheiden, wo Windenergie produziert werden darf – dort kann es zu Einsprachen kommen. Dann muss der Kanton diese Gebiete im Richtplan festsetzen – dagegen kann Rekurs eingelegt werden. Anschliessend muss die Nutzungsplanung erstellt werden – und wieder kann es zu Einsprachen kommen. Dann folgt die Baubewilligung inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung – inklusive Rekursen. Die Urteile können dabei über die unterschiedlichen gerichtlichen Instanzen gezogen werden.

All dies führt dazu, dass der Bewilligungsprozess für eine Windenergieanlage in der Schweiz bis zu 25 Jahre dauert. Daran ändert der Windexpress wenig, den das Parlament in der Sommersession verabschiedet hat. Auch dann rechnet Perret noch mit einer Realisierungszeit von 23 Jahren.

In Deutschland laufe der Prozess deutlich schneller ab, sagt Perret. Nur 3 Jahre dauere es, bis eine Anlage gebaut werden könne. Kein Wunder, erzeuge Deutschland viel mehr Windstrom als die Schweiz. In den EU-Ländern dauerten die Bewilligungsverfahren ebenfalls bloss etwa 3 Jahre. Das Ziel von Suisse Eole: den Prozess in der Schweiz auf immerhin 5 bis 10 Jahre zu reduzieren.

Einzelne Kantone kennen bereits Beschleunigungsvorlagen. So etwa Luzern, die Waadt, Neuenburg. Auch Zürich und St. Gallen wollen konzentrierte Verfahren einführen. Perret will, dass die verschiedenen Verfahren zusammengelegt werden und wie im Ausland nur einmal Rekurs eingelegt werden kann. Das will er auf Bundesebene erreichen.

Die Gegner der Windkraftgegner

Die Windkraftgegner sind gut vernetzt, laut und mobilisieren stark. Das ist Irene Mischler aufgefallen – und zwar bereits vor zwei Jahren. Damals hatte sie zusammen mit ihrem Mann Stefan Mischler den Verein Pro Wind Thurgau gegründet. Es war die erste Deutschschweizer Pro-Wind-Vereinigung. Schweizweit war einzig Neuenburg schneller: Dort formierte sich ein Pro-Wind-Verein bereits einen Monat früher.

Mischler merkte beim Windprojekt Thundorf im Bezirk Frauenfeld, dass die Pro-Seite kaum präsent war. «Man hörte nur die Gegner», sagt sie. Deshalb gründeten sie den Verein, der heute 120 Mitglieder zählt – unter ihnen kantonale Politiker und Entscheidungsträger. Bereits jetzt habe der Verein einiges bewirken können. Mischler erzählt von einer Frau, die Gegnerin war und heute das Windprojekt Thundorf unterstützt, über das die Gemeinde diesen November abstimmen wird.

Seit der Gründung von Pro Wind Thurgau sind sieben weitere Sektionen dazugekommen: Bern, Waadt, Zürich, St. Gallen und Appenzell, Solothurn, Schaffhausen und Luzern. Anfang dieses Jahres wurde die Dachvereinigung Pro Wind Schweiz gegründet. Bald sollen auch beide Basel, Graubünden, Glarus und der Aargau Ableger erhalten.

Die meisten Kantone haben ihre Richtpläne überarbeitet und Windenergiegebiete festgelegt. Einzelne Kantone, darunter Zürich oder Graubünden, sind mitten im Prozess. An der Windenergietagung in Bern ist der bevölkerungsreichste Kanton mit Regierungsrat Martin Neukom vertreten. Er macht sich vor Ort fleissig Notizen. In Zürich steckt die Windenergie in den Kinderschuhen. Nun will Neukom 20 Windregionen im Richtplan ausscheiden, mit Platz für 70 Anlagen.

Er schildert die Erfahrungen, die er an Informationsveranstaltungen gemacht habe in Gemeinden, die von den Windparks direkt betroffen wären. Ihm sei dort an Informationsveranstaltungen eine steife Brise entgegengeweht. Die Stimmung war aufgeheizt. «Bei uns ist Windenergie zum Kulturkampf geworden», sagt Neukom.

Doch er rät den anderen 180 Pro-Windkraft-Vertretern im Saal, dass man sich nicht aus der Ruhe bringen lassen dürfe. Denn an diesen Anlässen kämen hauptsächlich Gegner zu Wort. Aus Umfragen wisse er, dass 70 Prozent der Bevölkerung positiv gegenüber der Windkraft eingestellt seien. Er ist überzeugt, dass einige Windräder in Zürich realisiert werden könnten – auch wenn es nicht 70 sein werden.

Für Windkraft braucht es einen langen Schnauf

Zurück zu den sechs Vertretern der Windparks in der Romandie. Diese glauben weiterhin an ihre Projekte, auch wenn sie unterschiedlich weit sind. Sie stellen sich der Reihe nach auf, wann sie erwarten, dass ihre Anlage realisiert wird. Die Ersten sagen: «2026», die Letzten: «2029.» Das ist optimistisch. Gut möglich, dass einige dieser Projekte nie realisiert werden.

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