Eine kirchliche Volksinitiative verlangt, dass die «Klimakrise» sogar Teil des spirituellen Angebots und der kirchlichen Bildung wird.
Der Klimawandel ist in einer zunehmend säkularen Welt zu einer Ersatzreligion geworden. Es gibt Eiferer und Erlöser, Missionare und Märtyrer, Sünder und Konvertiten. Wer sich nicht rechtzeitig auf den Absenkpfad der Tugend begibt, dem droht ewige Hitze.
Es ist ein Framing, das auch bei traditionell Gläubigen gut ankommt. Viele Christen leiten aus der Verantwortung für die Schöpfung die Pflicht ab, den Klimawandel zu bekämpfen. Der Glaube an Gott und der Glaube an Greta schliessen sich nicht aus.
In der reformierten Kirche des Kantons Zürich sollen die Klimaziele nun offiziell in der nach der Bibel wohl wichtigsten Schrift verankert werden: in der Kirchenordnung. Das ist das Grundgesetz der Gemeinschaft. Dies fordert eine kirchliche Volksinitiative, die vor wenigen Tagen zustande gekommen ist. 1000 Stimmen waren nötig gewesen, 1600 Unterschriften wurden gesammelt.
Die «Schöpfungsinitiative» verlangt im Wesentlichen, dass die reformierten Zürcher Kirchgemeinden auf fossile Energien verzichten. Bis 2035 soll beim Treibhausgasausstoss das Netto-Null-Ziel erreicht werden. Ausserdem sollen die «Klimakrise und weitere Umweltfragen in den Bildungs- und Spiritualitätsangeboten» behandelt werden.
Die erste kirchliche Volksinitiative überhaupt
Wie vor vier Jahren bei der linken Konzerninitiative nimmt sich die Kirche also auch jetzt wieder eines politischen Anliegens an, das aus der gleichen ideologischen Ecke stammt. Es gibt aber einen Unterschied: Bei der Konzerninitiative nahmen die Kirchen über ihre Haltung direkt Einfluss auf eine weltliche Abstimmung. Jetzt geht es um eine Änderung der kircheneigenen Satzungen, also um eine interne Angelegenheit.
Der Schritt ist dennoch speziell. Denn zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte der reformierten Kirche der Schweiz ist ein kirchliches Volksbegehren zustande gekommen. Zum ersten Mal initiieren also nicht Kirchenväter und -mütter eine Kursänderung, sondern ganz gewöhnliche Mitglieder.
Und natürlich öffnet die christliche Auseinandersetzung mit dem Klimawandel viel Raum für Überlegungen, die sich in einem weltlichen Wertesystem so schlicht nicht stellen. Zum Beispiel, ob man sich als tiefgläubiger Mensch wirklich wegen des Klimas sorgen muss, wenn doch der Herr und Versöhner der Welt über einem wacht und das ewige Leben verspricht.
«Das habe ich tatsächlich viel gehört, als ich nach Gottesdiensten Unterschriften für unsere Initiative sammelte», sagt Gina Schibler. Sie ist Theologin, pensionierte Pfarrerin von Volketswil und Klimaaktivistin.
«‹Der Herrgott schaut dann schon.› Das ist ein verbreiteter Gedanke, der auch bei einer Abstimmung eine Rolle spielen dürfte», sagt sie. Und einer, der ihrer Ansicht nach ein völlig falsches Gottesverständnis offenbart.
Das Vertrauen in Gott sei kein Grund, die Hände in den Schoss zu legen. Im Gegenteil. «Wir sind als Gesellschaft viel zu lange untätig geblieben und sehen nun die katastrophalen Folgen. Wir stehen in der Verantwortung, auch als Christen, dem entgegenzuwirken.»
Für Gina Schibler zählt auch das Argument nicht, dass die Kirche sich aus politischen Diskussionen wie der Klimadebatte heraushalten solle. «Wir müssen unseren Teil leisten. Selbst der Zementkonzern Holcim reduziert seinen CO2-Ausstoss. Aber wir als Kirche sollen nichts dergleichen tun? Das kann es doch nicht sein.»
Ob die Kirche in Klimafragen tatsächlich aktiv werden muss, kann sich aber nicht nur fragen, wer voller Gottvertrauen ist. Auch aus weltlichen Gründen gibt es Argumente gegen einen christlichen Klimaaktivismus. Ein besonders gewichtiges ist das neue Energiegesetz, das sich der Kanton Zürich vor zwei Jahren gegeben hat.
Es enthält bereits umfassende Vorschriften, namentlich zu Neu- und Umbauten und zu Heizungen. Kirchgemeinden sind davon ebenfalls betroffen, mit einer wichtigen Ausnahme: Die Stromheizungen in den Gotteshäusern dürfen auch nach 2030 noch betrieben werden.
Die Kircheninitiative will nur etwas schneller vorwärtsmachen als der Kanton: Dieser strebt Netto-Null bis 2040 an, die reformierte Kirche soll fünf Jahre vorher so weit sein.
«Wir machen uns mit der Initiative lächerlich»
Nichts mit der Initiative anfangen kann der reformierte Pfarrer von Bauma, Willi Honegger. «Das ist Gutmenschentum fürs Schaufenster», sagt er, «und nicht mehr als ein frommer Wunsch.»
Klimaziele und Umweltvorschriften seien Regeln, die dem Staat oblägen. «Nun will man diese Bestimmungen auch in der Kirchenordnung verankern. Aber im Gegensatz zum Staat fehlen uns die Durchsetzungsmittel. Was wollen Sie tun, wenn sich eine Kirchgemeinde nicht an die Vorgaben hält? Gibt es eine Kirchenpolizei, welche die Verantwortlichen in Handschellen abführt und Bussen verteilt? Nein.»
Als Pfarrer ärgere er sich über die Initiative, sagt Honegger. «Wir machen uns lächerlich. Wir wollen auf unsere Art die Welt verbessern, nur können wir das gar nicht.»
Ausserdem störe ihn die politische Schlagseite, die Verpflichtung auf eine Sichtweise. «Die Kirche muss ein Ort sein, an dem verschiedene Meinungen gleichermassen geäussert werden können. Wenn ich die Gegenmeinung vertrete, dann bin ich genauso Teil dieser Kirche.»
Der Kirche laufen die Mitglieder – und Steuerzahler – davon
Wenn die Kirche ihre Bauten sanieren will, ob aus eigenem Antrieb oder aufgrund von kantonalen Vorgaben, dann ist das mit Kosten verbunden. Und dieser Aufwand verteilt sich auf je länger, je weniger Köpfe.
Noch im Jahr 2000 gab es im Kanton Zürich über 500 000 Reformierte. Ende 2022 waren es noch gut 385 000. Die reformierte Kirche hat also in nur zwei Jahrzehnten jedes vierte Mitglied verloren und somit auch jeden vierten Kirchensteuerzahler.
«Die Kosten sind ein Argument, das wir oft zu hören bekommen», sagt Gina Schibler. «Aber Kirchen sind ja keine Wohngebäude, sie müssen nicht die ganze Zeit auf 23 Grad geheizt werden.»
Vielleicht, sagt sie, müsste eine Kirchgemeinschaft, die kleiner werde, noch weiter denken und Gebäude, auch Gotteshäuser, ganz abgeben oder umnutzen. «Zu viele Gebäude können zur Last werden», sagt Schibler. «Die Aufgabe der Kirche ist auch nicht die Verwaltung von Immobilien, sondern das Evangelium. Jesus besass kein einziges Gebäude.»
Wann und ob die Forderung der Initianten umgesetzt wird, steht noch nicht abschliessend fest. Im für sie günstigsten Fall stimmt das Kirchenparlament, die Synode, der «Schöpfungsinitiative» zu. Dann tritt sie ohne Volksabstimmung in Kraft. Sollte es einen Gegenvorschlag geben, kann es hingegen bis zu drei Jahre dauern, ehe die Kirchenbasis über das Anliegen befinden kann.