Sonntag, Januar 5

Seit dem 1. Januar erhält die Moldau kein Gas mehr aus Russland. Das trifft zwar die prorussischen Separatisten in Transnistrien am stärksten, bringt aber auch die Regierung in Chisinau in Bedrängnis.

Für die Menschen in Transnistrien hat das neue Jahr äusserst ungemütlich begonnen. Die Energiegesellschaft der abtrünnigen Region im Osten der Moldau hat am 1. Januar die Gasversorgung von Wohnhäusern eingestellt oder so stark eingeschränkt, dass der Brennstoff nur noch zum Kochen zur Verfügung steht. Die Heizungen aber bleiben kalt, Warmwasser gibt es keines.

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Den Bewohnern wird geraten, Ritzen zu stopfen und Decken vor die Fenster zu hängen. Alle Mitglieder eines Haushalts sollen sich im selben Raum aufhalten. Die Schulen kehren nach den Neujahrsferien zum Online-Regime aus Pandemiezeiten zurück. Die Versorgung von Krankenhäusern ist laut Angaben der Behörden aber vorerst gewährleistet.

Zurzeit herrschen im dünnen Landstreifen östlich des Flusses Dnjestr relativ milde Temperaturen von tagsüber bis zu 10 Grad. Ein Wintereinbruch mit bitterem Frost ist aber jederzeit möglich.

Streit um Schulden

Grund für die Notlage ist das Ende der Gaslieferungen aus Russland, die trotz dem Krieg weiterhin über ukrainisches Territorium flossen. Zum Jahresende ist der Transitvertrag des russischen Staatskonzerns Gazprom mit der Regierung in Kiew ausgelaufen. Die Ukraine hat bereits vor Monaten angekündigt, das Abkommen nicht zu verlängern. In der Moldau bestand aber lange die Hoffnung, dass in letzter Minute ein Kompromiss gefunden werden könne.

Vom Ende der russischen Gaslieferungen über die Ukraine sind auch Österreich und die Slowakei betroffen. Die unmittelbaren Auswirkungen sind für die Moldau und vor allem für Transnistrien aber am grössten. Die prowestliche Regierung in Chisinau hat die Versorgung des von ihr kontrollierten Gebiets westlich des Dnjestrs nach dem russischen Überfall auf die Ukraine diversifiziert und bezieht seither auch über Rumänien Gas.

Das moskaufreundliche Transnistrien blieb mit seinen etwa 450 000 Einwohnern und der energieintensiven Industrie aber vollkommen von Russland abhängig. Bis zum 1. Januar 2025 flossen täglich 5,7 Millionen Kubikmeter Gas aus Russland in die abtrünnige Region.

Grundsätzlich wäre die Versorgung auch über die Schwarzmeer-Pipeline Turkstream und Südosteuropa möglich. Gazprom macht hierfür allerdings die Begleichung moldauischer Schulden in der Höhe von mehr als 700 Millionen Dollar zur Bedingung. Laut Chisinau liegen die ausstehenden Zahlungen aber nur im einstelligen Millionenbereich. Eine baldige Einigung in diesem jahrelangen Streit um die Berechnung früherer Gaslieferungen ist nicht absehbar.

Langfristig droht wirtschaftlicher Kollaps

Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass Moskau ausgerechnet das ihm wohlgesinnte, vornehmlich russischsprachige Transnistrien zum ersten Opfer des Gasstreits werden lässt. Doch ist das Wohlergehen der dortigen Bevölkerung für den Kreml nur von untergeordneter Bedeutung.

Das Interesse an der Region, in der sich auch eine russische Militärbasis und ein riesiges Munitionslager aus sowjetischer Zeit befinden, ist geopolitischer Natur. Transnistrien ist ein Trumpf des Kremls, um die Moldau im eigenen Einflussbereich zu halten. Tatsächlich bringt die gegenwärtige Energiekrise die Regierung der Moldau in Bedrängnis. Unter der Präsidentin Maia Sandu hat sich Chisinau eindeutig Richtung Westen ausgerichtet.

Eine Verschärfung der Lage in der abtrünnigen Region wird sich auch im Rest des Landes bemerkbar machen. Viele Bewohner Transnistriens sind moldauische Bürger, deren Situation Chisinau nicht gleichgültig sein kann. Die Regierung hatte noch vor dem Lieferstopp angekündigt, notfalls auf dem europäischen Markt Gas zu kaufen, um damit Transnistrien zu versorgen.

Die hierfür notwendigen Mittel wären aber beträchtlich. Sollte das billige russische Gas langfristig wegfallen, könnte das laut vielen Beobachtern sogar zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Region führen mit unabsehbaren Konsequenzen für die Moldau.

Stromproduktion hängt am russischen Gas

Aber auch ohne eine solch dramatische Entwicklung hat der Lieferstopp direkte Auswirkungen für die Moldau. Chisinau hat seit der Unabhängigkeit zwar nie politische Kontrolle über Transnistrien ausgeübt. In wirtschaftlicher Sicht gibt es aber weiterhin enge Verbindungen, besonders im Energiebereich.

Das Kraftwerk Cuciurgan bei Dnestrovsc im Süden der Region deckte im vergangenen Jahr 80 Prozent des moldauischen Strombedarfs. Betrieben wurde es bisher mit Gas aus Russland. Seit dem 1. Januar wird nun Kohle verstromt. Laut den transnistrischen Behörden reichen die Kohlevorräte für 50 Tage – allerdings nur, um den eigenen Bedarf zu decken.

Die Moldau hat zwar Schritte unternommen, um auch bei der Elektrizität die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Starkstromleitungen nach Rumänien sind im Bau. Rumänischer Strom ist aber um ein Mehrfaches teurer als jener aus Transnistrien, wo man bisher vom verbilligten Preis für russisches Gas profitierte.

Ausnahmezustand in der Moldau

Die Moldau muss sich in jedem Fall auf höhere Energiekosten einstellen. Und dies, nachdem der Gaspreis in den vergangenen Wochen bereits um 30 Prozent in die Höhe geschossen ist. Bereits seit Mitte Dezember gilt angesichts der Energiekrise der Ausnahmezustand mit dem expliziten Ziel, den Energiebedarf zu senken. Der Energieminister musste wegen der Krise den Hut nehmen.

Steigende Energiekosten bringen im ärmsten Land Europas viele Menschen rasch in existenzielle Nöte. Als im Winter 2022/23 die Inflation wegen des Gaspreises auf 30 Prozent anstieg, geriet die Regierung stark unter Druck.

Im Sommer finden Parlamentswahlen statt. Die prowestliche Präsidentin Maia Sandu sicherte sich Ende Oktober zwar die Wiederwahl. Auch das Referendum, das den EU-Beitritt als Ziel in die Verfassung aufnahm, wurde trotz massiver russischer Einflussnahme knapp angenommen.

Die Regierung gehört wohl demselben Lager an wie Maia Sandu, schneidet in Umfragen aber deutlich schlechter ab als die Präsidentin. Mit der Abwahl der prowestlichen Regierung würde der Kreml sein lange gehegtes Ziel doch noch erreichen.

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