Samstag, Oktober 5

Die Expertengruppe hat mehr Sparvorschläge vorgelegt als nötig. Politisch haben die meisten einen schweren Stand – in normalen Zeiten. Und das Volk kann nur summarisch mitreden.

Und jetzt? Lange hat man auf diesen Tag gewartet. Am Donnerstag haben die fünf externen Experten, die der Bundesrat angesichts der schlechten Finanzlage zu Hilfe gerufen hatte, ihren Bericht vorgelegt. Und man darf sagen: Sie haben übererfüllt. Würde das Parlament sämtliche vorgeschlagenen Massnahmen umsetzen, könnten sich damit nicht nur die drohenden Defizite in Luft auflösen, sondern es würde darüber hinaus sogar zusätzlicher Spielraum für höhere Ausgaben in wichtigen Bereichen geschaffen.

Aber man soll realistisch bleiben. Bereits das Minimalziel – die Einhaltung der Schuldenbremse in den Jahren ab 2026 – ist anspruchsvoll. Denn der schwierige Teil kommt erst noch: Nachdem die Experten ihre Vorschläge präsentiert haben, ist nun die Politik am Zug. Die entscheidende Rolle spielt just jenes Gremium, das mit dem Sparen traditionsgemäss die grösste Mühe hat: das Parlament. Was ist zu erwarten, wenn die Ideen der ökonomisch geprägten Expertengruppe auf die politische Realität treffen?

Dass die Linke tobt, ist klar. Was die Experten vorschlagen, widerspricht allen rot-grünen Prinzipien. SP und Grüne wollen die Schuldenbremse lockern und die Steuern erhöhen; die Experten hingegen wollen kürzen, sparen, bremsen, verzögern, verzichten. Sie haben den Fokus so klar auf die Ausgabenseite gelegt, dass es offenkundig selbst dem bürgerlich dominierten Bundesrat nicht ganz geheuer ist. Deutlicher als erwartet hat er am Donnerstag bereits angekündigt, er werde das Paket «im Hinblick auf dessen Ausgewogenheit» punktuell mit Massnahmen auf der Einnahmenseite ergänzen, mit höheren Abgaben oder Steuern.

Linke will kämpfen

Der SP genügt das nicht. Um maximale Kampfbereitschaft zu demonstrieren, hat ihre Parteispitze am Donnerstag kurz nach dem Auftritt der Expertengruppe subito eine eigene Medienkonferenz abgehalten. Botschaft: Man wehre sich gegen diesen «Angriff auf die soziale Schweiz».

Das Paket umfasst indes nur bei einer Massnahme einen direkten Abbau von Sozialleistungen: Die Experten wollen die Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose abschaffen, die erst vor drei Jahren eingeführt worden sind – ironischerweise unter der Ägide der heutigen Finanzministerin Karin Keller-Sutter, was zumindest die Unabhängigkeit der Gruppe unterstreicht.

Dass das Parlament bei den Überbrückungsleistungen nach so kurzer Zeit eine Kehrtwende macht, darf bezweifelt werden. Doch für die SP ist das Thema perfekt, um das ganze Paket anzuprangern. Es umfasst für die Linke weitere bittere Pillen wie den Verzicht auf neue Subventionen für die familienexterne Kinderbetreuung und einen Stellenabbau in der Bundesverwaltung.

Grosse Differenzen beim Armeebudget

Parteipolitisch ist die Balance fragil. Zwar müssen auch Mitte, FDP und SVP einige unangenehme Fragen beantworten. Das gilt unter anderem für die vorgeschlagenen Kürzungen beim Ausbau der Nationalstrassen, bei der Landwirtschaft und dem Tourismus. Zumindest Mitte- und FDP-Vertreter dürften zusätzlich mit den Einsparungen beim Bahn- und Busangebot, beim Güterverkehr, bei der Forschung, den Studiengebühren und der Presseförderung hadern. Doch das ist nicht alles.

Am grössten ist die Diskrepanz zwischen Expertenbericht und Realpolitik bei einer der grössten Streitfragen überhaupt: beim Armeebudget. Aus Sicht der Experten geht schon der zurzeit geplante Anstieg der Militärausgaben etwas gar weit. Zwar schlagen sie in der Hauptvariante keine konkrete Kürzung vor, stellen das starke Wachstum aber infrage. In einer Nebenvariante empfehlen sie dem Bundesrat, «ein Szenario mit weniger raschem Ausbau zu prüfen».

Das ist das präzise Gegenteil dessen, was die bürgerliche Mehrheit des Parlaments will: SVP, FDP und Mitte wollen dafür sorgen, dass das Verteidigungsbudget sogar noch stärker erhöht wird als zurzeit geplant. Die Differenzen sind enorm: Nach aktuellem Plan wächst das Armeebudget bis 2030 auf 7,9 Milliarden Franken. Die Expertengruppe stellt eine Variante mit 7,3 Milliarden zur Diskussion. Die bürgerlichen Parteien hingegen fordern 9,5 Milliarden.

Wenn sie daran festhalten, kennen sie jetzt dank dem Expertenbericht das Preisschild: Selbst wenn sie sämtliche vorgeschlagenen Massnahmen umsetzten, würde dies aus heutiger Sicht auf Dauer wohl nicht ganz reichen, um das erwünschte Wachstum der Militärausgaben zu finanzieren. In diesem Fall müssten die Bürgerlichen für höhere Einnahmen sorgen. Auch dazu liefern die Experten ausgefeilte Vorschläge: Man könnte Kapitalbezüge bei der Pensionierung stärker besteuern oder bei der Mehrwertsteuer einen Einheitssatz einführen.

Erhöhung der Mehrwertsteuer zeichnet sich ab

Politisch aber geht die Reise in eine völlig andere Richtung: Man will schlicht und einfach die Mehrwertsteuer erhöhen. 2,2 Milliarden für die AHV und 1,5 Milliarden für die Armee: Diesen Vorschlag hat eine einflussreiche Gruppe von Ständeräten, angeführt vom Mitte-Mann Benedikt Würth, im Juni lanciert.

Just diese Woche hat sich nun auch der Bundesrat überraschend wohlwollend dazu geäussert. Zwar lehnt er den Vorstoss aus formellen Gründen ab, inhaltlich aber begrüsst er die Stossrichtung explizit. Und ergänzt: «Falls das Parlament die Armeeausgaben schneller erhöhen will, wäre eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer aus Sicht des Bundesrates eine mögliche Lösung.»

Nun geht es Schlag auf Schlag. Die Strategen im Parlament haben nicht viel Zeit für die Entscheidfindung. Die ersten Reaktionen lassen schwierige Konflikte erwarten. Die vereinigte Linke reagiert empört, die SVP verlangt mehr und andere Kürzungen, die FDP und die GLP reagieren positiv. Nur die Partei, auf die es am meisten ankommt, hält sich vorerst vornehm zurück: Die Mitte will die konkreten Vorschläge des Bundesrats abwarten.

Volk kann nur Ja oder Nein zum ganzen Paket sagen

Finanzministerin Keller-Sutter hat aufreibende Wochen vor sich. Sie hat es kommen sehen. Als in der Junisession bürgerliche Parlamentarier ungeduldig nach Sparvorschlägen riefen, fiel ihre Replik kühl aus: «Ich bin nicht sicher, ob die Sehnsucht dann noch so gross sein wird, wenn Sie die Ergebnisse sehen. Das wird dann schon noch etwas schmerzhaft werden.»

Das gilt auch für die letzte Instanz: das Volk. Falls das Parlament bei den Autobahnen sparen will oder die Mehrwertsteuer erhöht, muss es die Verfassung ändern; in diesem Fall findet eine obligatorische Abstimmung mit Volks- und Ständemehr statt. Die anderen Massnahmen sind ohne Eingriff in die Verfassung möglich, in jedem Fall kann aber das fakultative Referendum ergriffen werden.

Einfach wird diese Debatte nicht, vor allem nicht für die Freunde der Einheit der Materie: Geplant ist, grundsätzlich alle Massnahmen in einem einzigen Erlass miteinander zu verknüpfen – im Sinne eines grossen Deals. Die Stimmbürger könnten nur das ganze Paket annehmen oder ablehnen. Ob dann allerdings auch die allfälligen Steuererhöhungen für die AHV und die Armee Teil davon wären, ist nur eine Unklarheit unter vielen.

Exit mobile version