Mittwoch, Januar 15

Das oberste Ziel des abtretenden amerikanischen Präsidenten war es, eine zweite Amtszeit für Donald Trump zu verhindern. Stattdessen hat er ihm den Weg zurück ins Weisse Haus geebnet. Im Grunde hat der 82-Jährige die Probleme, die er lösen wollte, verschlimmbessert.

Am 20. Januar muss Joe Biden die Macht an Donald Trump übergeben. Bei der Inaugurationsfeier wird er sich äusserlich kaum etwas anmerken lassen. Doch innerlich könnten ihn zermürbende Fragen quälen: War es wirklich eine gute Idee, mit 78 Jahren nochmals für das höchste Amt zu kandidieren? Und was wird nach vier weiteren Trump-Jahren überhaupt noch übrig bleiben von seinem Vermächtnis?

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Öffentlich jedoch will Biden bis jetzt keine grundsätzlichen Fehler eingestehen. In seinem jüngsten Interview zeigte er sich überzeugt davon, dass er Trump im Gegensatz zu seiner Vizepräsidentin Kamala Harris hätte bezwingen können. Der Journalist von «USA Today» fragte ihn: «Glauben Sie, dass Sie die Wahl im November hätten gewinnen können?» Biden antwortete: «Es ist vermessen, dies zu sagen, aber ich glaube: Ja.» Doch hätte er auch weitere vier Jahre im Amt durchgestanden? «Ich weiss es nicht», räumte der Präsident ein.

Selbsterklärter Retter der Nation

Klar aber ist: Bidens oberstes Ziel war es, eine zweite Amtszeit für Donald Trump zu verhindern. Daran ist er gescheitert. Als er sich vor sechs Jahren in hohem Alter nach 1988 und 2008 für eine dritte Präsidentschaftskandidatur entschied, trieben ihn die Emotionen an. Zum einen bereute er es, dass er 2016 nicht angetreten war. Das höchste Amt war sein Lebenstraum. Doch der Tod seines Lieblingssohnes Beau Biden liess ihn damals zögern, Hillary Clinton lag in den Umfragen vorne, und auch Barack Obama wollte angeblich, dass er dessen Aussenministerin den Vortritt lässt.

Zum anderen stilisierte Biden es zu seiner persönlichen Pflicht, Trumps Wiederwahl zu vereiteln. Er zeigte sich 2019 überzeugt, dass Trumps Amtszeit rückblickend als «abnormaler Moment» in die amerikanische Geschichte eingehen wird. Sollte der Immobilienmogul jedoch vier weitere Jahre im Weissen Haus erhalten, werde dieser Amerikas «Charakter für immer und fundamental» verändern, sagt er in dem Video, mit dem er seine Kandidatur ankündigte. Die Nation sei in grösster Gefahr: «Ich kann nicht untätig zusehen, wie dies passiert.»

Der erfahrene Politiker sah sich als der beste Kandidat seiner Partei – und vielleicht gar der einzige, der Trump schlagen konnte. Bedenken zu seinem hohen Alter beschwichtigte Biden, indem er sich als «Brücke» zu einer jungen Generation von Politikern und als «Übergangskandidaten» bezeichnete. Seine Mission sollte es sein, Trump zu bezwingen, dessen politische Karriere damit zu beenden und nach einer Amtszeit in den verdienten Ruhestand zu treten.

Mit dem Wahlsieg 2020 gelang der Start in dieses Vorhaben. Warum aber konnte Biden dieses Comeback seines Rivalen letztlich nicht verhindern? Dafür gibt es im Grunde drei mögliche Erklärungen. Erstens verfolgte Biden in der Innenpolitik eine linke Agenda, die auch bei moderaten Wählern in der Mitte unpopulär war oder erst in vielen Jahren spürbar Früchte tragen wird. Zweitens traf er aussenpolitische Entscheidungen, die ihn schwach aussehen liessen und selbst für Unruhe im linken Flügel der eigenen Partei sorgten. Drittens fehlte ihm letztlich die rechtzeitige Einsicht, dass ihm die geistige Frische, Schärfe und Energie fehlte, um Trump ein zweites Mal zu schlagen.

Auf den Spuren von Roosevelt

Biden ist ein grosser Bewunderer des Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Ein Porträt von ihm hängte er sich im Oval Office über den Kamin. FDR führte die USA mit dem «New Deal» durch die Grosse Depression und den Zweiten Weltkrieg. Ähnlich wie sein Vorbild wollte Biden das angeschlagene Vertrauen in die Bundesregierung mithilfe staatlicher Wirtschaftsprogramme zurückgewinnen.

In seinen ersten zwei Amtsjahren verabschiedete der Kongress ein Corona-Hilfspaket für 1,9 Billionen Dollar, ein Infrastrukturprogramm für 1,2 Billionen Dollar, Subventionen von 53 Milliarden Dollar für die Halbleiterindustrie und ein Gesetz zur Förderung klimafreundlicher Technologien im Wert von rund 400 Milliarden Dollar. Gleichzeitig tilgte Biden in den vergangenen Jahren staatliche Studienkredite von 5 Millionen Amerikanern für insgesamt 180 Milliarden Dollar.

Der Sinn der grossen Investitionen in die oft veraltete Infrastruktur – Strassen, Brücken, Wasser- oder Stromleitungen – ist unbestritten. Auch 19 republikanische Senatoren stimmten für das Paket. Die Anreize des Klimagesetzes scheinen zu funktionieren: Die Investitionen in saubere Energien stiegen 2023 im Vergleich zu 2021 um 70 Prozent. Offensichtlich bekommt die grosse Mehrheit der Bürger die Vorteile dieser Programme jedoch kaum zu spüren.

Im Gegenteil: Nicht nur der russische Angriffskrieg in der Ukraine oder die von der Corona-Pandemie strapazierten Lieferketten heizten die Inflation an. Auch das fast zwei Billionen schwere Corona-Hilfspaket – mit 1300-Dollar-Checks für private Haushalte – trug zu den höchsten Preissteigerungen seit vierzig Jahren bei. Diese belasteten vor allem die unteren und mittleren Einkommensschichten – gerade jene Wähler, die Biden Trump unbedingt abspenstig machen wollte.

Zu späte Wende in der Migrationspolitik

Während Biden bei der Inflation indes «nur» eine Teilschuld traf, muss er für die Lockerung der Migrationspolitik die volle Verantwortung übernehmen. Monatlich kamen bis zu 300 000 Personen über die Südgrenze zu Mexiko. Selbst demokratische Bürgermeister und Gouverneure kritisierten die Regierung in Washington in der Sache. Für viele Wähler war dies im November das wichtigste Thema. Biden griff jedoch erst vor einem Jahr ernsthaft durch, und die Migrationszahlen sanken drastisch. Aber es war bereits zu spät.

Auch in der Aussenpolitik fällt die Bilanz des demokratischen Präsidenten durchzogen aus. Als langjähriges Mitglied des Aussenausschusses im Senat brachte er viel Erfahrung mit. Trotzdem entschied sich Biden im Spätsommer 2021 gegen den Rat seiner Generäle zu einem schnellen, kompletten und letztlich chaotischen Abzug aus Afghanistan. Seine Umfragewerte stürzten von über 50 auf rund 40 Prozent ab und sollten sich nie mehr erholen.

Während Biden den Krieg am Hindukusch auf unschöne Weise beendete, konnte er wenig später den russischen Einmarsch in der Ukraine nicht verhindern. Früh signalisierte er dem Kremlchef Wladimir Putin, dass die USA keine eigenen Soldaten schicken würden und mit Kiews schnellem Fall rechneten. Aus Angst vor einer nuklearen Eskalation verzögerte der amerikanische Präsident danach die Lieferung von Kampfjets, Panzern, weitreichenden Raketen oder Flugabwehrsystemen. Je länger der Krieg dauerte, umso mehr wuchs der Unmut am rechten Rand der Republikanischen und am linken Rand der Demokratischen Partei im Kongress gegen die Milliardenhilfen für die Ukraine. Obwohl Biden in guter Absicht handelte, verschlimmerte er die Situation durch sein Zaudern.

Noch ungemütlicher wurde die Situation für den Präsidenten nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Je mehr zivile Opfer die israelische Reaktion im Gazastreifen forderte, umso mehr nahmen die propalästinensischen Studentenproteste an den amerikanischen Universitäten zu. Biden entschied sich für einen schwierigen Zickzackkurs: Er kritisierte die israelische Regierung immer deutlicher, hielt aber weitgehend an den Waffenlieferungen für Israel fest. Damit enttäuschte er einen wichtigen Teil seiner Wählerbasis – die Studentenschaft.

Geblendet von den eigenen Ambitionen

Trotz aussenpolitischen Schwierigkeiten und Fehlern hätte Bidens Bilanz aber womöglich für eine Wiederwahl reichen können. Die Inflation hat sich auf unter drei Prozent abgekühlt, die Arbeitslosigkeit ist tief, und die Wachstumszahlen sind gut. Die grossen Investitionen in die Infrastruktur oder die nachhaltigen Energien werden sich vermutlich erst in den kommenden Jahren auszahlen. Dabei ist zu bedenken, dass Trump von Obama eine rundlaufende Wirtschaft erben konnte, während Biden die Turbulenzen der Pandemie meistern musste. Er selbst hinterlässt Trump nun keineswegs das von diesem immer wieder herbeigeredete «Desaster».

Biden fehlte indes am Ende schlicht die mentale Fitness und Überzeugungskraft für eine zweite Amtszeit. Schliesslich vermochte der Präsident seine Politik den Bürgern gar nicht mehr zu erklären. Er gab kaum noch Interviews oder Pressekonferenzen. Erst sein verheerendes Fernsehduell mit Trump im Juni offenbarte der Nation indes, wie stark Biden kognitiv abgebaut hatte. Der Präsident verzichtete nach wochenlangem Widerstand auf seine Wiederwahl und überliess Harris das Feld. Erneut handelte Biden zu spät. Ein offener Wettbewerb zur Suche des stärksten Kandidaten war nicht mehr möglich.

Dies war vermutlich Bidens schwerster Fehler: Er hätte sich zwei Jahre früher aus dem Rennen nehmen müssen, um eine solide Brücke zur nächsten Generation der Demokraten bauen zu können. Die tragische Ironie dabei ist: Wenn Trump nun ins Weisse Haus zurückkehrt, ist er populärer und mächtiger als je zuvor. Erstmals gewann er bei der Wahl im November auch das Volksmehr – wenn auch nur knapp. Zudem nutzte er die vier Jahre fern der Macht, um seine eigene Partei von konservativen Kritikern zu säubern und eine zweite Amtszeit mit loyalen Mitstreitern zu planen.

Biden wirft Trump und den Republikanern gerne vor, das eigene Wohl über dasjenige des Landes zu stellen. Doch bei seinen Entscheidungen für eine Kandidatur 2019 und besonders für die Wiederwahl 2024 liess er sich ebenfalls von den eigenen Ambitionen blenden.

Exit mobile version