Der US-Präsident erlässt die strengsten Migrationsbestimmungen seiner Amtszeit. Nun kann Biden bei grossem Andrang die Grenze für Asylsuchende vorübergehend schliessen.
US-Präsident Joe Biden hat eine Verordnung unterzeichnet, die eine Wende in der Migrationspolitik markiert. Laut der präsidialen Executive Order, die er am Dienstag um 14 Uhr Ortszeit im Weissen Haus vorstellte, können Immigranten, die die amerikanische Grenze illegal überquert haben, unter gewissen Umständen nach Mexiko abgeschoben werden, ohne die Möglichkeit zu erhalten, einen Asylantrag zu stellen. Dies wäre dann der Fall, wenn über einen Zeitraum von einer Woche im Schnitt mehr als 2500 Einwanderer pro Tag unerlaubt ins Land gelangen. Laut der «New York Times» handelt es sich um die restriktivsten Bestimmungen, die ein demokratischer Präsident in der modernen USA je durchgesetzt hat.
Biden unter Druck
Biden hatte während seines Wahlkampfs wiederholt die restriktive Einwanderungspolitik seines Vorgängers Trump kritisiert. Inzwischen ist er jedoch zunehmend unter Druck geraten, etwas gegen die hohe Zahl an illegalen Grenzübertritten zu unternehmen. Umfragen zeigen, dass Immigration eines der wichtigsten Themen für die amerikanischen Wähler ist. Laut einer Gallup-Erhebung äusserten im April 27 Prozent der Amerikaner, die Zuwanderung sei für sie das grösste Problem.
Unter Biden hat die irreguläre Immigration zum Teil Rekordhöhen erreicht, auch wenn sie in letzter Zeit eher wieder abgenommen hat. Im Mai scheiterte zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Anlauf für ein verschärftes Zuwanderungsrecht im Kongress, obwohl es gemeinsam von Demokraten und Republikanern ausgearbeitet worden war. Trump stellte sich quer, weil er offensichtlich das Problem weiter für seinen Wahlkampf bewirtschaften will. Er stellt die «Invasion aus dem Süden», wie er sie nennt, als massive Sicherheitsbedrohung für die USA dar und macht dafür direkt Biden verantwortlich.
Die Schwelle von 2500 dürfte relativ rasch erreicht werden. Im Dezember letzten Jahres kam es zeitweise zu 10 000 irregulären Übertritten pro Tag. Die Zahlen sind inzwischen zwar stark gesunken, aber immer noch kam es laut inoffiziellen Daten, die dem «Wall Street Journal» vorliegen, im Mai täglich zu 3500 entsprechenden Verhaftungen durch die Grenzpolizei. Die neue Regelung sieht vor, dass der Grenzschutz, sobald die Zahl während einer Woche durchschnittlich unter 1500 pro Tag fällt, zwei Wochen später wieder zum «Normalbetrieb» übergeht. Nicht eingerechnet bei den 2500 werden diejenigen, die mithilfe der App CBP One schon in Mexiko einen Asylantrag stellen. Dort gibt es ein Limit von 1400 Anträgen pro Tag. Ausgenommen sind auch allein reisende Minderjährige sowie Opfer von Menschenhandel.
Die Gerichte bringen die Verordnung voraussichtlich zu Fall
Es ist wahrscheinlich, dass Bidens Entscheid auf starken Gegenwind im linken Flügel der demokratischen Partei und beim «migrationsfreundlichen» Teil der Wählerschaft stösst. Bei seiner Rede im Weissen Haus versuchte er offensichtlich diejenigen, die einen strengeren Grenzschutz fordern, zufriedenzustellen, ohne für die anderen allzu sehr nach «Trump» zu klingen.
Vor allem aber könnte die Verordnung von Bundesgerichten abgeschmettert werden, wie dies schon bei einem ähnlichen Entscheid von Trump im Jahr 2018 geschah. Denn die Verordnung hebelt das Recht aus, einen Asylantrag in den USA stellen zu dürfen, egal, wie man in das Land gekommen ist.
Eine zweite Hürde sind die Finanzen. Um die Abschiebungen umsetzen zu können, braucht es viel Geld für Personal und Unterbringung – etwa 20 Milliarden Dollar waren beim Vorstoss im Februar veranschlagt worden. Dieses Geld müsste auch dieses Mal wieder vom Kongress bewilligt werden, und dort dürften sich die Republikaner erneut querstellen. Schon jetzt leidet das ganze Migrationssystem unter einem Mangel an finanziellen und personellen Ressourcen, was zum Beispiel dazu führt, dass Asylanträge lange hängig bleiben, bis es zu einem Entscheid kommt.
Aber selbst wenn die Verordnung am Ende nicht umgesetzt werden kann, geht es Biden vermutlich einfach darum, ein Zeichen zu setzen und den Wählern zu beweisen, dass er ihre Sorgen ernst nimmt. In einem Monat soll die erste von zwei TV-Debatten mit Biden und Trump stattfinden, und da hätte Biden mit seinem Vorstoss ein Argument in der Hand, um Trumps Angriffe wegen der Immigration abzuwehren.
Die Regelung hängt von der Kooperation Mexikos ab
Ein zweiter Grund, warum die Verordnung gerade jetzt kommt, sind vermutlich die Wahlen in Mexiko. Am Sonntag wurde dort Claudia Sheinbaum als neue Präsidentin gewählt, die am 1. Oktober ihr Amt antreten soll. Die abgewiesenen Migranten können nur nach Mexiko verbracht werden, wenn die dortige Regierung mitmacht. Mexiko selbst wird ebenfalls mehr Ressourcen für die Aufnahme der zurückgeschafften Asylsuchenden benötigen, auch deshalb, weil sich viele Herkunftsländer weigern, die Migranten aufzunehmen. Die gegenwärtigen Vereinbarungen erlauben es den USA, monatlich bis zu 30 000 Nichtmexikaner nach Mexiko zurückzuschicken. Sheinbaum hat bereits zugesichert, dass sie die Zusammenarbeit mit den USA im Bereich der Migration wie bisher weiterführen werde.
Biden stützt sich bei der Exekutivverordnung auf einen Absatz in der Immigration and Nationality Act, der als Section 212 (F) bezeichnet wird. Dort heisst es, der Präsident könne die Einreise von Ausländern stoppen, wenn er sie als schädlich erachte. Auf dasselbe Gesetz bezog sich Trump im Jahr 2017, als er Bürgern aus einigen mehrheitlich muslimischen Ländern vorübergehend die Einreise in die USA verbot. Eine ähnlich restriktive Politik war aus Gründen der öffentlichen Gesundheit auch während der Corona-Pandemie in Kraft.

