Montag, September 30

Der frühere Nationalspieler Johan Djourou ist einer der wenigen Ex-Profis, die im Frauenfussball arbeiten. Er sagt, was ihn im Männerfussball stört und warum er als Trainer strenger werden musste.

Warum gibt es eigentlich so wenige Fussballer, die nach dem Rücktritt einen Job im Frauenfussball annehmen?

Ich frage mich, ob ich es machen würde, hätte ich nicht drei Töchter. Es werden wohl mehr Ex-Spieler kommen, sobald die Strukturen professioneller sind. Das betrifft nicht das Nationalteam, aber den Frauenfussball in der Schweiz im Allgemeinen. In unserer Liga arbeiten die Spielerinnen und kommen am Abend ins Training. Männer, die im Spitzenfussball gross geworden sind, wollen ein professionelles Umfeld.

Sie machen es trotzdem.

Als ich bei Arsenal war, gab es im Klub bereits ein Frauenteam. Aber der Frauenfussball war im Vergleich zu heute unbedeutend. Ihr Trainer war damals unser Materialwart. Es gab Spielerinnen, die die Schuhe der Spieler putzten, man redete miteinander. Als ich einmal allein in Magglingen trainierte, war das Frauennationalteam ebenfalls dort. Lara Dickenmann sagte mir, ich sei der einzige Nationalspieler, der sich je ein Training der Frauen angeschaut habe. Ich hatte also immer Sympathien – auch wegen meiner Töchter.

Sie haben einmal erzählt, dass sich Ihre Töchter überhaupt nicht für Fussball interessierten, als Sie aktiv waren.

Als sie klein waren, waren sie an allen Spielen im Stadion. Aber es hat sie nie interessiert. Wenn zu Hause ein Ball herumlag, hat ihn niemand berührt. Für mich war das in Ordnung, ich habe sie unterstützt bei dem, was ihnen gefiel: Turnen, Tennis . . .

Plötzlich war alles anders.

Gegen Ende meiner Karriere hat meine älteste Tochter Lou plötzlich ein Interesse entwickelt, wohl auch wegen der sozialen Netzwerke. Sie war zwölf. Wir meldeten sie für ein Training an. Es war eine Katastrophe. Jetzt lachen wir darüber, aber es war wirklich so. Wie wenn man jemandem sagt, er solle laufen, aber er weiss nicht, wie das geht. Sie konnte nicht richtig rennen, ihr fehlte die Koordination, sie wusste nicht, wie einen Ball spielen. Wir mussten von null anfangen mit einer Person, die dachte, sie könne Fussball spielen, weil sie auf Instagram Videos von Xherdan Shaqiri gesehen hatte.

Und sie hat nicht aufgegeben?

Das passiert häufig: Wenn Kinder feststellen, dass man Fussballspielen nicht einfach kann, sondern lernen muss, hören sie auf. Sie nicht. Und heute, drei Jahre später, ist sie eines der Mädchen mit dem meisten Talent. Diesen Durchhaltewillen sehe ich bei Mädchen häufig.

Woran liegt das?

Es gibt viele Mädchen wie Lou, die eher spät zum Fussball kommen und alles von Grund auf lernen müssen. Auch bei uns im Verein, dem FC Lancy, steht die Fussballschule für die Kleinsten nur den Buben offen. Die Strukturen sind noch nicht überall dafür gemacht, die Mädchen früh an den Fussball heranzuführen. Doch die Dinge verbessern sich: Meine jüngste Tochter konnte mit neun beginnen, die beiden älteren erst mit zwölf.

Und wie ist es gekommen, dass Sie Trainer der Mädchen wurden in Lancy?

Ich habe bereits früher Camps für Kinder durchgeführt. Ich kann gut mit ihnen umgehen. Als mich der FC Lancy anfragte, ob ich die U 15 der Mädchen übernehmen wolle, dachte ich, es sei eine gute Gelegenheit, um mehr über den Mädchenfussball zu erfahren. Und es ist eine unglaubliche Erfahrung.

Warum?

Weil ich jeden Tag etwas lerne. Ich habe eine internationale Karriere gemacht, bin mit fünfzehn nach London zu Arsenal gegangen, habe also ein paar Stufen übersprungen: Doch vorher hatte ich den Traum, professionell spielen zu können. Ich will den Mädchen als Trainer die Basis vermitteln, dass sie gross träumen dürfen. Denn an dieser Basis mangelt es oft noch. Vielen Leuten ist nicht bewusst, wie gross die Lust und der Wille der Mädchen sind, Fussball zu spielen.

Sie haben kürzlich auf Instagram einen interessanten Beitrag veröffentlicht. Sie schreiben, dass die Leistung der Frauen und Mädchen im Sport umso höher zu gewichten sei, als sie das ganze Programm auch während der Menstruation bewältigten. Diese Erkenntnis ist im Leistungssport selten – zumal von einem Mann.

Ich sehe bei meinen Töchtern, was passiert, wenn sie ihre Regel haben. Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel . . . Das heisst aber nicht, dass sie nicht trainieren. Alle diese Mädchen, Frauen, Sportlerinnen machen, was ich als Fussballer gemacht habe – während sie bluten, vielleicht weniger Energie haben, dünnhäutiger sind. Das ist nicht allen Leuten bewusst.

Uns Frauen ist es bewusst.

Natürlich wissen Sie es. Aber ich finde, das Thema ist immer noch zu sehr tabuisiert. Gäbe es ein grösseres Bewusstsein, würde das helfen, eine Leistung einzuordnen. Wie kann man als Sportlerin mental auf der Höhe sein, wenn man starke Bauchschmerzen hat? Man kämpft ja nur schon damit, wenn man in einem Büro arbeitet. Meiner Meinung nach braucht es eine grössere Wertschätzung der Leistungen der Frauen.

Sie kommen aus dem Männerfussball. Mussten Sie Ihre Kommunikation anpassen?

Das ist interessant. Vor mir hatten die Mädchen einen sehr strengen Trainer. Er hat sich seine Autorität durch Schreien erarbeitet, sie haben ihn respektiert. Ich war das Gegenteil. Ich habe Fragen gestellt, mit ihnen diskutiert. Eines Tages kam die Captain und sagte: «Du musst etwas strenger sein mit uns.» Ich bin immer noch nicht der Chef, der schreit und befiehlt, aber ich gebe ihnen eine klare Idee.

Waren Sie einer der Spieler, die schon wie ein Trainer gedacht haben?

Das habe ich nie getan. Ich habe erst jetzt verstanden, was es für eine Arbeit ist. Es geht nicht nur darum, die Trainings vorzubereiten. Ich muss meine Spielerinnen kennen. Wie läuft es in der Schule? Wie geht es zu Hause? Was läuft in deinem Kopf? Das ist eine Wahnsinnsarbeit. Aber das ist es auch, was mir so viel Freude macht: Die persönliche Beziehung. Es geht zwar um Leistung – aber zuerst kommt der Mensch.

Sie haben bis im Alter von 17 Monaten in Côte d’Ivoire bei Ihrer Mutter gelebt, dann kamen Sie in die Schweiz zu Ihrem Vater und seiner Frau. Sie sagen, Sie haben zwei Mütter, dazu drei Töchter und eine Ehefrau. Ihre Welt ist sehr weiblich.

Das stimmt. Ich war immer von Frauen umgeben, ich habe sie ständig beobachtet und so viel über sie gelernt.

Was haben Sie gelernt?

Sensibilität zum Beispiel. Ich muss die Mädchen oft bestärken und ihnen sagen, dass sie die Sachen gut machen. Aber das ist vielleicht etwas, das für alle gilt und nicht nur mädchenspezifisch ist. Was ich ebenfalls sehe: Die Mädchen haben wahnsinnig Lust zu lernen. Wenn du ihnen die Gelegenheit und Zeit gibst, um zu lernen, machen sie alles dafür. Sie sind sehr fordernd, man muss wirklich viel investieren.

Sie waren im Männernationalteam, nun haben Sie die Frauenequipe kennengelernt. Was sind die Unterschiede?

Es gibt nicht viele. Es ist etwas professioneller bei den Männern, sie haben immer noch mehr Ressourcen. Was mir bei den Frauen aufgefallen ist: Die Energie und der Zusammenhalt sind speziell. Und es ist alles etwas cooler, entspannter, fröhlicher. Was aber nicht heisst, dass keine Ansprüche vorhanden sind!

Gab es etwas, das Sie im Männerfussball störte?

Mich stört heute eine gewisse Mentalität. Jeder will Kylian Mbappé werden. Aber ohne zu wissen, was das bedeutet. Jeder sieht das Geld, das es zu verdienen gibt. Zu viele Buben denken, sie seien morgen die Stars, die sie auf ihren Smartphones sehen. Der Arbeitseifer meiner Zeit fehlt, als es schwierig war, Profifussballer zu werden. Das ist bei den Mädchen anders. Sie arbeiten für die Sache, sie träumen nicht davon, Millionen zu verdienen. Viele Buben hingegen träumen nicht vom Fussball, sondern vom Geld.

Die Fussballkultur bei den Männern ist nach wie vor vom Machismo geprägt, zum Beispiel gibt es immer noch fast keine Spieler, die sich als homosexuell geoutet haben. Wie haben Sie diese Kultur erlebt?

Es stimmt, dass Dinge wie Homosexualität im Männerfussball tabu sind. Als Mensch wirst du in eine Form gepresst. Das heisst: Du bist Fussballer, du musst eine Familie haben und Kinder, und die Spielerfrauen machen viel Shopping. Niemand interessiert sich dafür, was für ein Mensch hinter dem Fussballer steht. Selbst wenn ein Fussballer homosexuell ist, wird er die Rolle spielen, die ihm zugeschrieben wird. Der Druck ist derart gross. Ich weiss nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, mich zu outen, wäre ich homosexuell. Was hätte es für meinen Vertrag bedeutet? Was für meine Rolle in der Mannschaft?

Die Spielerinnen gehen ganz anders damit um.

Zum Glück. Der Mann muss stark sein. Das ist in unserer Gesellschaft immer noch verankert. Liebt er einen anderen Mann, kann er als «schwach» gelten. Jeder soll meiner Meinung nach in seiner Sexualität frei sein.

Was können Sie mit Ihrer Erfahrung den Nationalspielerinnen geben?

Ich versuche ihnen zu sagen, dass sie hier angekommen sind, weil sie viel gearbeitet haben. Dass sie sich bewusst sein sollen, dass sie eine Marke sind.

Was bedeutet das?

Dass sie mit ihrer Persönlichkeit Dinge zu sagen haben. Jede der Frauen kann etwas weitergeben an die kommenden Generationen. Als ich jung war, habe ich Romario bewundert. Ich hoffe, dass die Jungen davon träumen, wie Coumba Sow zu werden oder wie Alisha Lehmann.

Sehen Sie Ihre Arbeit im Frauenfussball als Sprungbrett für eine Aufgabe im Männerfussball?

Nein . . . Wobei es mir schwer fällt, diese Frage zu bejahen oder zu verneinen. Vor drei, vier Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich diesen Job machen werde. Ich liebe es zu lernen. Und hier kann ich jeden Tag lernen – von der Nationaltrainerin, dem ganzen Staff und den Spielerinnen.

Was lernen Sie von Pia Sundhage?

Viel. Sie hat Erfahrung als Trainerin der grössten Nationen im Frauenfussball: Brasiliens, der USA, Schwedens. Sie ist älter als ich, reifer, hat mehr erlebt. Man kann von ihrer Hingabe lernen, ihrer Intensität und ihrem Willen, die Dinge hier in der Schweiz zu verbessern. Sie ist eine, die die Menschen zusammenbringt.

Der Bund hat für die EM im nächsten Sommer zunächst nur vier Millionen gesprochen. Daraufhin haben Sie eine Petition gestartet. Wie sind Sie vorgegangen?

Ich habe zusammen mit Marie Barbey-Chappuis, der früheren Genfer Stadtpräsidentin, meine Kollegen um Unterstützung angefragt. Granit Xhaka, Manuel Akanji, Breel Embolo, Kevin Mbabu, Stan Wawrinka und andere. Wir haben uns alle in Genf getroffen, um einen Brief zu schreiben, dass es nicht in Ordnung sei, so wenig Geld zu sprechen, und dass die Parlamentarier und Parlamentarierinnen ihre Position überdenken sollten. Was soll man mit vier Millionen machen? Bei solchen Dingen merkt man, dass es noch viel zu tun gibt bei uns im Frauenfussball.

Gibt es denn bei den Nationalspielern ein Bewusstsein für den Frauenfussball?

Oh, ja. Viel mehr als noch vor ein paar Jahren. Manuel Akanji zum Beispiel ist sehr engagiert, weil seine Schwester Sarah ebenfalls Fussballerin war. Auch ein Granit Xhaka ist sensibilisiert, er hat zwei Töchter, Breel Embolo und Stan Wawrinka haben eine Tochter – das sind Mädchen, die vielleicht einmal Fussball spielen wollen. Wir sind diejenigen, die heute einen Impact haben müssen – weil wir Töchter haben. Wenn wir ihnen keinen Platz schaffen: Wer soll es machen?

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