Tony Blair vertraute auf Prescotts Bauchgefühl, Al Gore erlebte ihn bei den Verhandlungen zum Klimaschutz als Politiker mit einzigartigen Fähigkeiten. Nun ist das Labour-Urgestein gestorben.
John Prescott war in der britischen Politik eine Ausnahmeerscheinung. Von 1997 bis 2007 diente er unter Premierminister Tony Blair als stellvertretender Regierungschef, doch war er alles andere als ein typischer Politiker. Sein sozialer Hintergrund und sein unkonventioneller Stil standen im Zentrum der Würdigungen, mit denen britische Politiker am Donnerstag auf die Nachricht von Prescotts Tod im Alter von 86 Jahren nach einer Alzheimer-Erkrankung reagierten. «Die Kraft seiner Persönlichkeit und der Stolz auf seine Arbeiterklassen-Herkunft waren der Schlüssel für seine Authentizität und Ehrlichkeit, für die er im ganzen Land respektiert wurde», erklärte Premierminister Keir Starmer.
Mit der Sprache auf Kriegsfuss
Tatsächlich war Prescotts Weg in hohe Regierungsämter keineswegs vorgezeichnet gewesen. Er wurde 1938 in Wales als Sohn eines Eisenbahnarbeiters geboren und wuchs teilweise in Yorkshire in Nordengland aus. Im Alter von 15 Jahren bestand er die Prüfungen für die Mittelschule nicht und musste die Schule verlassen, was er als Erniedrigung empfand.
Er heuerte als Hilfskoch an und arbeitete als Steward auf einem Kreuzfahrtschiff. Eine formelle Ausbildung genoss er erst viel später auf dem zweiten Bildungsweg. Prescott litt unter starker Dyslexie. Als er als Jugendlicher einem Mädchen einen Liebesbrief schickte, retournierte die Verehrte das Schreiben mit markierten Grammatik- und Rechtschreibefehlern.
Auch als Gewerkschafter und Politiker stand er im Ruf, mit der englischen Sprache auf Kriegsfuss zu stehen. Seine Sätze gingen nicht immer auf, was er mit rhetorischer Verve und Engagement freilich mehr als kompensierte. Auch vor dem politischen Nahkampf schreckte der Haudegen und ehemalige Amateurboxer nicht zurück. Als ihn 2001 ein Demonstrant mit einem Ei bewarf, schlug er ihm kurzerhand einen linken Haken ins Gesicht. Als Journalisten Tony Blair auf den Gewaltausbruch ansprachen, meinte er: «John ist nun mal John.»
Prescott war in Blairs Kabinett ein Bindeglied zwischen dem altlinken und gewerkschaftlichen Flügel der Labour-Partei und den Zentristen von New Labour, welche die Partei modernisierten und zu drei Wahlsiegen führten. Der ehemalige Gewerkschafter war auch ein Vermittler zwischen Blair und seinem Schatzkanzler, Rivalen und späteren Nachfolger Gordon Brown.
In einem Brief im Jahr 2007 würdigte Blair Prescott als «Problemlöser». «John entsprach keinen konventionellen Schemen. Ich stützte mich auf ihn, wenn ich attackiert wurde und in Schwierigkeiten war, aber auch wenn ich jemanden brauchte, dessen Bauchgefühl und politischen Instinkten ich mehr vertrauen konnte als meinen eigenen.»
Kämpfer für den Klimaschutz
Prescott, der einen nordenglischen Wahlkreis im Unterhaus vertrat, war ein früher Vorkämpfer für mehr Dezentralisierung und Investitionen in benachteiligte Regionen. Als Vize-Premierminister war er 1997 auch für Verhandlungen über das Kyoto-Protokoll zur Reduktion von Treibhausgasen zuständig.
Der ehemalige amerikanische Vizepräsident Al Gore erklärte in einer Würdigung am Donnerstag, er habe auf beiden Seiten des Atlantiks nie mit einem mit Prescott vergleichbaren Politiker zusammengearbeitet. «Er hatte eine angeborene Fähigkeit, Leute für sich einzunehmen und von seinen Anliegen zu überzeugen, was andere Politiker jahrelang zu erlernen versuchen.» Prescott habe wie ein Löwe für das Kyoto-Protokoll und auch Jahre später noch für den Klimaschutz gekämpft.
In Erinnerung bleibt Prescott auch als Bahnbrecher für die Arbeiterklasse. Für seine Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen, seine Vorliebe für Statussymbole wie Autos oder seine holprige Ausdrucksweise wurde er oft belächelt. Gleichzeitig gilt er als Vorkämpfer, der die hohen Barrieren der englischen Klassengesellschaft überwand und in Ämter vorstiess, die meistens Absolventen von Eliteuniversitäten vorbehalten sind.