Der amerikanische Schriftsteller ist ein Verwandlungskünstler. Mit jedem Roman taucht er in eine neue Welt ein. Besuch beim deutsch und englisch schreibenden John Wray in Brooklyn.

Schon die Namen von Heavy-Metal-Bands können einen das Fürchten lehren: Nuclear Assault, Death Angel oder Lucifer’s Friend. Das ist nichts für schwache Nerven. Der Amerikaner John Wray spielt in seinem Roman «Unter Wölfen» gerne mit den dunklen Klängen dieser von Tod und Teufel besessenen Szene. «Für mich ist diese Welt einfach wahnsinnig bunt und wahnsinnig witzig», sagt er.

«Unter Wölfen» ist gerade auf Deutsch übersetzt worden und sei wohl, so sagt er, der erste Heavy-Metal-Roman, der je geschrieben worden ist – jedenfalls der erste, in dem Fans dieses Musikgenres nicht klischierte Nebenfiguren sind, sondern ernstgenommene Protagonisten. Doch er habe in erster Linie ein Buch über Freundschaft schreiben wollen, sagt John Wray: «Ich habe es hoffentlich so geschrieben, dass eben auch Leute, die für Heavy Metal überhaupt nichts übrighaben, trotzdem damit Spass haben können.»

Man muss nicht Metal-Fan zu sein, um mit Genuss durch die fast 500 Seiten zu kommen. Aber es hilft. Die Musikszene der 1980er und 1990er Jahre wird detailliert beschrieben. John Wray hat den Roman aber auch als Coming-of-Age-Geschichte angelegt sowie als Thriller, der in einem Showdown im norwegischen Wald endet, dort, wo eine skandinavische Ausprägung von Black Metal einst zu echten Morden führte. Er fürchte sich je länger, je weniger vor Unterhaltung, sagt der Autor.

Ebenso wenig hat er sich je vor Heavy Metal gefürchtet. Schon als junger Musikkritiker kam John Wray gelegentlich mit diesem einst verteufelten Genre in Berührung. Es gab in den 1980er Jahren Anhörungen im Senat in Washington, ob man diese Musik verbieten sollte, weil sie Jugendliche zu Gewalt anleiten könnte.

John Wray aber fühlte sich in all den Jahren bei Besuchen von Heavy-Metal-Konzerten bis auf ein einziges Mal nie in Gefahr: «Ich habe immer wieder feststellen müssen, wie sanft und offen Heavy-Metal-Musiker sowie deren Fans sind», sagt er, «es handelt sich um ganz andere Menschen, als man erwarten würde von ihrem Aussehen oder der Musik her.»

Und worin bestand die Ausnahmesituation? Da habe er sich als Zuschauer beim Rauf- und Runterspringen auf die Bühne mit dem Mikrofonkabel des Sängers verheddert und ihm das Mikrofon versehentlich entrissen. Jener wirkte darauf wahrhaftig furchterregend. «Ich habe schleunigst rausmüssen. Not my finest moment.»

Die Karriere begann im Keller

Sanft und dazu unprätentiös wirkt auch der Autor John Wray selbst. Er lebt mit seiner Frau Joanna, einer Drehbuchautorin, und seinem sechsjährigen Sohn Julian in einem Backsteinhaus in Brooklyn. Wray hat sein Haus vor zehn Jahren auf einem Spaziergang zufällig ausgeschrieben gesehen; es war zahlbar, aber arg baufällig. Er hat es selbst renoviert.

Freunde und Untermieter gehen nun darin ein und aus. Im Keller ist ein Musikraum, in der Gartenwohnung lebt eine weitere Familie, und im obersten Stock hat Wray Ateliers eingerichtet, die er drei Autoren zum Freundschaftspreis vermietet. Einer von ihnen hat den Pulitzer gewonnen, ein weiterer den Booker Prize. «Es liegt am Haus», sagt John Wray lachend.

Er selbst hat in einem Zelt zu schreiben begonnen. Er hatte es im Keller eines Warenhauses aufgeschlagen, der einem Freund als Proberaum diente. Nur so konnte er als Autor im teuren New York überleben. Sein dort entstandener erster Roman, «Die rechte Hand des Schlafes» (2001), war gleich ein Erfolg.

2007 kürte das renommierte Literaturmagazin «Granta» John Wray zu einem der zwanzig vielversprechendsten Nachwuchsautoren der USA. Zehn Jahre später entdeckte ihn die deutschsprachige Literaturwelt, als er beim Bachmann-Wettbewerb zum Erstaunen vieler seinen ersten deutschen Text aus seinem Kurzgeschichtenband «Madrigal» las. Das hat es angeblich noch nie gegeben, dass ein Autor eigens für Klagenfurt seine Sprache wechselte.

Deutsch ist John Wrays Grossmuttersprache. Sein Vater ist Amerikaner, seine Mutter Österreicherin. Er wurde als John Henderson 1971 in Washington geboren und wuchs in der Kleinstadt Buffalo im Gliedstaat New York auf. Mit der Mutter sprach er Englisch, doch deren Mutter konnte nur Deutsch und war oft monatelang zu Besuch. «Da habe ich einfach müssen», sagt er in unserem Gespräch in einem österreichisch gefärbten Hochdeutsch.

Von seiner Oma habe er ein «Plauderdeutsch» gelernt. Als er nach der amerikanischen Matura an die Uni in Wien ging, habe er mit Schrecken feststellen müssen, wie viel ihm noch fehlte an Sprachkenntnissen. Da habe er sich noch mal so richtig reingekniet.

Er liebt die Abwechslung

Für einen Amerikaner ist es ein kleines Wunder, eine zweite Sprache zu beherrschen und darin dann auch noch zu schreiben. Aber John Wray ist auch thematisch und stilistisch ein Chamäleon. Sein erster Roman handelte vom österreichischen Heimatdorf seiner Mutter während der Nazizeit, ein Ort, der ihm als Kind magisch schön erschien.

Ins Surreale reichen seine deutschen Kurzgeschichten, ein halbes Physikstudium absolvierte er während seiner siebenjährigen Arbeit am Zeitreisen-Roman «Das Geheimnis der verlorenen Zeit». Für seine weiteren Bücher tauchte er ein in die Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges oder in die Psyche eines Schizophrenen. Für den Roman «Gotteskind» über eine amerikanische IS-Kämpferin reiste er sogar nach Afghanistan, wo es um einiges gefährlicher war, als er erwartet hatte.

Er liebe die Abwechslung, sagt John Wray: «Man muss nur ziemlich sicher sein, wenn man ein Thema aussucht, dass es einen nicht nur im Moment interessiert, sondern man sich wirklich zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben Jahre damit beschäftigen kann, ohne vollkommen durchzudrehen.» Für ihn sei der Kosmos extremer Metal-Fans «genauso spannend, vielschichtig, poetisch und imponierend wie Afghanistan oder die Naturwissenschaften in Wien um die Jahrhundertwende».

Und was kommt als Nächstes? Natürlich wieder etwas völlig anderes: Wray hat einen unveröffentlichten Roman seines österreichischen Grossvaters gefunden. «Teilweise toll, teilweise wirklich schlecht.» Er möchte diesen Text nun herausgeben, mit seinen eigenen Kommentaren zwischen den Kapiteln. «Ein Dialog mit dem Text meines Grossvaters, der ein schwieriger und streitbarer Mensch war.» Für diese österreichische Zeitreise wird John Wray wieder ins Deutsche wechseln.

John Wray: Unter Wölfen. Roman. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. Rowohlt-Verlag, Hamburg 2024. 480 S., Fr. 36.90.

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