Nach elf Jahren als Kreativdirektor verlässt der nordirische Designer Jonathan Anderson das Modehaus Loewe. Er hatte weitreichenden Einfluss und war vor allem: erfinderisch.
Die «Puzzle Bag», ein verpixelter Hoodie, ein Kleid mit einer Katze, geflochtene Körbe und schliesslich die Schauspielerin Aubrey Plaza, die versucht, «Loewe» richtig auszusprechen (so einfach ist das nicht, man sagt so etwas wie «Lo-eh-we»): Der nordirische Designer Jonathan Anderson blickte vergangene Woche mit seinen Instagram-Posts zurück. Ein erster Anflug von Sentimentalität? Am Montagmorgen, den 17. März, folgt nun die Bestätigung: Anderson verlässt das spanische Modehaus Loewe. Elf Jahre lang war er an dessen kreativer Spitze.
«Seit meinem ersten Tag bei Loewe habe ich im Designstudio und im Atelier Gleichgesinnte gefunden, deren Talente unübertroffen waren und sind», schrieb Anderson auf Instagram und bedankte sich bei all seinen Weggefährtinnen und Mitarbeitern, bei den Kundinnen und solchen, die «einfach einen Post gelikt hatten». Er habe sich eine «kulturelle Marke» ausgemalt, und das sei nur dank dem Vertrauen und der Grosszügigkeit von vielen Künstlerinnen, Museen, Stiftungen und Handwerkern möglich gewesen.
Über Kreativität hinaus
«Ich hatte das Vergnügen, mit einigen der grössten Kreativdirektoren der letzten Zeit zusammenzuarbeiten, und ich halte Jonathan Anderson für einen der besten», liess sich Sidney Toledano, CEO der Modeabteilung von Loewe-Besitzer LVMH, zitieren. «Was er zu Loewe beigetragen hat, geht über Kreativität hinaus. Er hat eine reichhaltige und eklektische Welt mit starken handwerklichen Grundlagen geschaffen, die es dem Haus ermöglichen wird, noch lange nach seinem Weggang zu gedeihen», fuhr er fort.
Auch Pascale Lepoivre, seit 2016 die CEO von Loewe, bedankte sich bei Anderson. Dessen Nachfolge wurde noch nicht genannt. Seit einiger Zeit wird jedoch über eine Einstellung der amerikanischen Designer Lazaro Hernandez und Jack McCollough als Kreativdirektoren von Loewe gemunkelt. Sie verliessen Anfang Jahr ihr eigenes Label Proenza Schouler. Die nächsten Schritte des 40-jährigen Jonathan Anderson wurden genauso wenig bestätigt. Auch bei ihm köchelt es aber seit Monaten in der Gerüchteküche, er gehe möglicherweise zu Christian Dior.
Verlässlich unerwartet
Jonathan Anderson machte Loewe, 1846 in Madrid gegründet, zu einem der überraschendsten und beeindruckendsten Modehäuser der Gegenwart. Er wurde 2013 zum Kreativdirektor ernannt, nachdem er am London College of Fashion seinen Abschluss gemacht und fünf Jahre lang sein eigenes Label JW Anderson geführt hatte. Loewe war zu dem Zeitpunkt modisch wenig richtungsweisend und vor allem für seine in Spanien gefertigten Lederwaren bekannt.
Jonathan Andersons erste Laufstegkollektion für Loewe im September 2014, mit dem Debüt der «Puzzle Bag».
Anderson änderte dies schnell: Schon sein Laufstegdebüt im September 2014 zeigte die Mischung aus Materialfetisch, Leidenschaft für Farbe und unerwarteten Drapierungen und Proportionen, die ihn so erfolgreich machen sollte. Auch die «Puzzle Bag» mit ihrer charakteristischen Flickenoptik war da, einer der einzigen eigenständigen Handtaschenentwürfe der zehner Jahre und noch immer ein Bestseller.
Kurator und Kostümdesigner
Mit der Zeit wurde Anderson mutiger und gab seinem Hang zum Skurrilen nach. Leder schlang sich in Form von Orchideen um Handgelenke (Frühjahr/Sommer 2017), Spitze erstreckte sich wie ein Reifrock über die Hüfte (2020), Rosen und kaputte Eier wurden zu Absätzen (2022), und Federn imitierten grafische T-Shirts (2025). Damit vermochte er Modekritikerinnen und Kunden zugleich zu überzeugen. Die Jahresumsätze von Loewe, lange die kleinste Marke im LVMH-Universum, überstiegen laut dem Branchenportal «Business of Fashion» zeitweise zwei Milliarden Euro.
Gleichzeitig sah er sich als Kurator, der mit Künstlerinnen und Künstlern wie Tracey Emin und Richard Hawkins arbeitete und Loewe zu ebendieser «kulturellen Marke» aufbaute, die er sich vorstellte. Seine letzte Kollektion war eine Kooperation mit der Josef & Anni Albers Foundation und wurde in Karl Lagerfelds ehemaliger Residenz, dem Hôtel Pozzo di Borgo in Paris, gezeigt.
Mit dem einmal jährlich verliehenen «Craft Prize» unterstützt Loewe seit 2016 Kunsthandwerker ausserdem auf der ganzen Welt. Anderson nannte ihn in seiner Abschiedsnotiz «eine seiner stolzesten Errungenschaften». Doch auch der Pop-Kultur drückte Anderson seinen und den Loewe-Stempel auf: Er kleidete Beyoncé und Rihanna für Auftritte ein, designte die Kostüme für Filme wie «Challengers» und füllte die Front-Rows der Loewe-Shows in Paris stets mit den aufregendsten neuen Schauspieltalenten.
Dass Jonathan Anderson einst Schauspieler werden wollte, ist in diesem Kontext nicht überraschend. Man kann froh sein, dass er sich stattdessen der Mode zuwandte – und gespannt darauf warten, was er als Nächstes tut.