Donnerstag, Dezember 26

Der Schriftsteller des Habsburgerreichs fand in Frankreich eine Zuflucht. Zu retten war er nicht mehr. Davon handeln zwei neue Romane, die seine letzten Jahre erzählen und erfinden.

Am Ende war Joseph Roth nur noch ein Wrack. In einem Anflug von sarkastisch-morbidem Stolz schrieb er unter eine Zeichnung: «Das bin ich wirklich, böse, besoffen, aber gescheit.» Er sah nicht aus wie ein «heiliger Trinker», wie seine letzte Erzählung hiess, sondern ganz erbärmlich wie ein kranker Mann, aufgedunsen, mit rot unterlaufenen Augen, er zitterte.

Der Alkohol hatte seine inneren Organe längst angefressen. Äusserlich konnte auch die stets korrekte Kleidung nicht darüber hinwegtäuschen, dass im hinteren Eck des Cafés Tournon ein Verlorener sass und Hof hielt für wenige seiner letzten Getreuen im Pariser Exil.

In seinen «Briefen aus der Mitternacht» erinnerte sich Walter Mehring nach dem Tod Roths 1938 wehmütig und desillusioniert an den Mann, «von dessen Bart Weissagung troff» und der «sich weise drum zu Tode soff». Mehring, selber auf der Flucht vor den Nazis, vermisste den Stammtisch «nah dem Luxembourg», wo Roth unermüdlich über «Rechtspolitik und Linkskultur» diskutiert hatte.

Er vergass freilich in seinem traurigen Gedicht, dass der Vermisste schon lange auch wirr geredet hatte, von der Rückkehr eines Kaisers auf den österreichischen Thron träumte, den er als Kämpfer und Sieger gegen Hitler sah. Pläne für die heimliche Machtübernahme hatte er allen Ernstes geschmiedet und Otto von Habsburg, der seinerseits im Exil lebte, dazu auserkoren, das Unmögliche in diesem Europa am Rand des Abgrunds zu vollbringen.

Rastlos und unbehaust

Bei einem Besuch wenige Jahre vor seinem Tod erzählte Otto von Habsburg, wie ihn damals Joseph Roths Arzt gebeten hatte, dem Schriftsteller das Trinken kraft seiner Autorität zu verbieten.

Er habe Roth zu sich ins Hotel kommen lassen und ihm, der schon früh am Tag ziemlich angetrunken gewesen sei, gesagt: «Herr Roth, ich befehle Ihnen: Hören Sie auf mit dem Trinken, sonst werden Sie sehr bald nicht mehr bei uns sein.» Worauf Roth geantwortet habe: «Ja, Majestät, ich werde es tun.» Dann sei er weggegangen – und wenig später gestorben.

Es war ein angekündigter Tod, und keiner wusste besser als Joseph Roth selber, dass ihm auf Erden nicht mehr zu helfen war. Das Exil, die Fremde hatte einen zermürbt, der doch eigentlich ein Leben lang nirgendwo zu Hause war, rastlos reiste und darüber schrieb, nur in Hotelzimmern hauste. Ein einziges Mal nur hatte er in Berlin eine feste Wohnadresse für kurze Zeit.

Auch wenn er in seiner Wahlheimat Paris noch relativ sicher war, sah er auch dort das Unheil immer näher kommen. Noch schrieb er, in winzig kleiner Schrift, noch korrespondierte er unermüdlich mit Freunden und Weggefährten. Trotzig war er und nach einigen Gläsern auch nicht mehr so klarsichtig wie einst. In seinem letzten Brief an Stefan Zweig beschimpfte er diesen, der ihn in finanziellen Schieflagen stets unterstützt hatte, als «Defaitisten»: «Ich sehe nicht ein, weshalb Sie, lieber Freund, sagen, unsere Situation sei ‹aussichtslos›. Wenn ja, so jetzt: haben wir die Pflicht, die absolute, keine Art von Pessimismus zu zeigen.» Das war im Oktober 1938, ein halbes Jahr später war Joseph Roth tot.

Redeschlacht am Grab

Dieses qualvolle Sterben ist auch Thema von zwei neuen Büchern, die sich auf sehr unterschiedliche Weise mit den letzten Jahren des Schöpfers des «Radetzkymarsches» beschäftigen. Es sind keine biografischen Dokumentationen, vielmehr Romane, die aus den überlieferten Quellen Roths Leben in Paris zu imaginieren versuchen.

Lea Singer stellt in «Die Heilige des Trinkers» (Kampa-Verlag) Roths «letzte Liebe» in den Fokus: Andrea Manga Bell, die ihn in Paris einige Jahre begleitete. Jan Koneffke erfindet in «Im Schatten zweier Sommer» (Galiani-Verlag) mit Fanny Fischler eine Figur, die es in Roths Leben nie gegeben hat. Im Roman begleitet sie ihn in ihrer Jugend in Wien und trifft ihn nach Jahren an der Seine wieder.

Beide Bücher zeigen den Dichter in seinen letzten Jahren, die ihn schliesslich unheilbar ins Hôpital Necker führten und am 30. Mai 1939 auf den Cimetière Thias: Seine Beisetzung südöstlich von Paris geriet zu einem grotesken Schauspiel. Am offenen Grab stritten sich Juden und Katholiken beinahe um Roths Seele, die dann auch noch die Kommunisten retten wollten, während ein Habsburger Abgesandter einen Kranz niederlegte. Es war eine Rede- und Gedenkschlacht um einen, der es seiner Nachwelt nicht einfach machte. Der Jude liebäugelte mit dem katholischen Prunk, der streitbare Sozialist sah sich als Anhänger der Monarchie.

Es ist das Verdienst Lea Singers, dass sie die Gefährtin Manga Bell aus dem Vergessen holt. Sie war es, die Joseph Roth in der Krankheit selbstlos begleitet hat. Ob sie ihm half, sei einmal dahingestellt; oft betrank sie sich zusammen mit dem Dichter. Sie war die Tochter einer Deutschen und eines Kubaners, fiel in Paris als exotische Schönheit auf, hatte zwei Kinder, die zeitweise mit dem ungleichen Paar in einem Zimmer des kleinen Hotels wohnten. Singer erzählt einfühlsam von dieser Duldenden, die die brüchige Existenz Roths schützte. Sie war keine Gebildete, die sich an den literarischen und politischen Diskussionen am Stammtisch rege beteiligen konnte, sie «passte in kein Raster», wie Singer schreibt.

Zwischen den Fakten erlaubt sich die Autorin eine intime Seelenschau und legt Manga Bell Gedanken und Gefühle in Kopf und Herz, die sie vielleicht gehabt haben mag. Einmal glaubt sie zu wissen, «warum er jenes Gift, das ihm gar nicht schmeckte und ihn zerstörte, brauchte. Mitten im Lärm des Banalen öffnete es ihm die Tapetentür, hinter der nicht ein anderes Zimmer sich auftat, vielmehr eine endlose Weite, die ausser ihm keiner betreten konnte.» Das liest sich schön, und es ist Dichtung. Bisweilen bewegt sich Singer hart an der Grenze zum Melodrama. Dennoch ist ihr Buch eine Ehrenrettung – für einen Lebens- und Sterbensmenschen.

Das Heimweh der Seele

Jan Koneffke geht da noch einen grossen Schritt weiter. Er dichtet «im Schatten zweier Sommer» eine junge Frau herbei und schmuggelt sie in die wahre Biografie Joseph Roths hinein. Diese Fanny ist noch ein Mädchen, als der Student aus dem galizischen Brody in Wien bei ihren Eltern ein Zimmer mietet. So kann sie ihn beobachten, kann aus der Sicht der Unbeteiligten ein Charakterbild Roths zeichnen, den sie bald bewundert und in den sie sich verliebt.

Koneffke ist mit diesem literarischen Trick frei, erlaubt sich immer wieder Beobachtungen und Beurteilungen, die er Fanny in den Mund legt. Atmosphärisch ist das stimmig: Das Wien der kleinen Leute, die gesellschaftlichen Brüche und Umbrüche, die pubertären Träume skizziert Koneffke souverän. Und irgendwann denkt man tatsächlich nicht mehr daran, dass es diese Fanny nie wirklich gegeben hat. Freilich, Roth spricht mit ihr, wie er geschrieben hat. Und Fanny redet wie Koneffke, der hier eine Hommage zelebrieren will.

In Paris trifft sie ihn wieder, da ist die Distanz zu ihren Mädchenträumen schon so gross, dass sie auf seinen Charme, der stets nach Alkohol stinkt, nicht mehr hereinfallen kann. Fanny ist eine aufgeklärte Frau und denkt mit Verwunderung zurück an die Wiener Zeit, als sie sich in den damals schicken, etwas eitlen, klugen Mann verguckt hatte. Jetzt sitzt da einer vor ihr, zitternd am Bistrotisch, auf dem Schnapslachen glänzen und Manuskripte durchweichen, und sie spürt: «Er hatte sein Lebtag nichts anderes als Heimweh, dieses Heimweh der Seele, die friert und einsam ist, von dem man im Warmen und Sicheren nur nichts weiss.»

Restlos befriedigen können beide Romane nicht. Neues aus Joseph Roths Leben erfährt man nicht, die erzählerische Ausschmückung mutet bisweilen fragwürdig und ohne rechten Sinn an. War das nötig? Roth hat in seinen Romanen und Reportagen doch immer auch von sich selber erzählt, überall war da ein Stück seiner Persönlichkeit, seiner Sehnsüchte, seiner Krankheit und seines Unvermögens, die Existenz, zu der man verdammt ist, zu meistern. Sicher, von seinem eigenen Tod konnte er nicht schreiben. Singer und Koneffke tun das jetzt durchaus dezent, als hätten sie einen Freund verloren, den sie doch nie kannten.

Bis zur Erschöpfung hat Joseph Roth zuweilen die Rolle eines von ihm erfundenen Menschen gespielt. «Es gelang ihm nicht, an seine Rolle zu glauben», sagte einmal die Dichterin Irmgard Keun, die auch eine heftige Liebe Joseph Roths war. «Doch er empfand flüchtige Genugtuung und Trost, wenn er andere daran glauben machen konnte.»

Lea Singer: Die Heilige des Trinkers. Roman. Kampa-Verlag, Zürich 2023. 304 S., Fr. 33.90. – Jan Koneffke: Im Schatten zweier Sommer. Roman. Galiani-Verlag, Berlin 2024. 304 S., Fr. 33.90.

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