Sonntag, November 17

Makkabi-Sportvereine in Deutschland werden seit dem 7. Oktober 2023 verstärkt angefeindet. Antisemitische Attacken gegen die Klubs sind aber nicht neu.

Am Donnerstagabend spielte Israels Fussball-Nationalteam in Paris gegen Frankreich. Begleitet wurde die Partie von einem riesigen Aufgebot von etwa 4000 Polizisten und 1600 privaten Sicherheitskräften. Das führte dazu, dass das Geschehen rund um das Hochrisiko-Spiel weitgehend friedlich abgelaufen ist.

Zu frisch sind aber die Erinnerungen an die Szenen aus der Woche zuvor, als ein Mob in Amsterdam Jagd auf die Anhänger von Maccabi Tel Aviv anlässlich eines Europacup-Spiels machte. Von Pogromen sprachen manche, und einige Aufnahmen aus Amsterdam sind mitsamt der dargestellten Brutalität geeignet, diesen Eindruck zu bekräftigen. Der Fussball ist bloss der Anlass.

Nicht nur auf grosser Bühne, an Länderspielen oder im Europacup, ist das so. Es geschieht auch im Kleinen, dort, wo jüdische Amateurklubs in den unteren deutschen Ligen antreten, wo Medien nicht allgegenwärtig sind und sich die Dinge selten ankündigen – dort, wo Aggressionen und Gewalt spontan ausbrechen. In Berlin, aber auch in Frankfurt und in Köln.

Bei den Junioren kam es zu Übergriffen

In der Hauptstadt Deutschlands stand am letzten Wochenende jedes Spiel von Mannschaften des örtlichen Klubs TuS Makkabi Berlin unter Polizeischutz. Und das hat einen guten Grund. In der Woche zuvor war es zu Ausschreitungen anlässlich eines Juniorenspiels gekommen, einem Match der D-Junioren gegen DJK Schwarz-Weiss Neukölln. In dieser Altersgruppe sind die Spieler meist jünger als 13 Jahre. Beobachter berichteten davon, dass die Stimmung zusehends aggressiver geworden war. Am Ende seien die jungen Spieler sogar mit Messern und Stöcken gejagt worden. Der Staatsschutz hat Ermittlungen aufgenommen.

Eine Eskalation während eines Juniorenspiels hat eine besondere Qualität. Die Verfolger werden von Zeugen als arabischstämmige Jugendliche beschrieben. Zu einer Häufung aggressiver Vorfälle sei es nach dem 7. Oktober, nach dem Massaker der Hamas an Juden in Israel, gekommen, sagt der Journalist Philipp Peyman Engel. Er ist der Chefredaktor der «Jüdischen Allgemeinen», einer Wochenzeitung, deren Redaktion in Berlin sitzt.

Engel kennt den Fussball. Er hat selber leidenschaftlich gespielt bei Makkabi Berlin, solange ihn der Trainer noch aufstellte. Dass es jüngst wieder zu Übergriffen gekommen sei, überrasche ihn nicht. Es habe sie immer gegeben, bloss sei die Aufmerksamkeit geringer gewesen. Er selbst habe als Spieler in Neukölln ähnliche Erfahrungen gemacht wie zuletzt Makkabis Junioren.

2015 war das, und das Muster war ähnlich: Die Stimmung schaukelte sich während des Spiels hoch. Am Ende mussten die Spieler flüchten. Ein Ersatzspieler des Gegners schlug einer Flasche den Hals ab, ein Alltagsgegenstand wurde zur potenziellen Tatwaffe. Drohungen kamen auch von den Zuschauern: «Die sind aufs Feld gelaufen, haben gesagt: ‹Wir stechen euch ab, ihr scheiss Juden. Fangt schon mal an, euer Grab zu schaufeln.›»

Aggression bei drohender Niederlage

Auch als es gegen ein Team aus dem Berliner Stadtteil Wedding ging, geriet die Situation einmal ausser Kontrolle. Der Journalist Engel hat anhand beider Vorfälle eine interessante Beobachtung gemacht: «Wenn wir verloren, blieb es meist ruhig. Es passierte aber beide Male, als wir in Führung lagen. Offenbar ist es für einige Leute schwierig, gegen Juden zu verlieren.»

Von den jüngsten Ausschreitungen in Berlin hat Shlomo Afanasev aus erster Hand erfahren. Seit Mai dieses Jahres ist er der Militärrabbiner der Bundeswehr für Berlin und Brandenburg. Gemeinsam mit Pavel Lyubarsky, dem Vorsitzenden der orthodoxen jüdischen Gemeinde Kahal Adass Jisroel, empfängt er in der Synagoge in der Berliner Brunnenstrasse.

Wer das Gotteshaus besuchen möchte, der tritt nicht nur durch eine gewöhnliche Sicherheitsschleuse, wie man sie vom Flughafen kennt. Die kleine Synagoge im Hinterhof wird von drei Polizisten bewacht, die Absperrgitter vor dem Tor vermitteln ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit. Alltag sei das für jüdische Gotteshäuser, sagt Lyubarsky. Das war allerdings nicht immer und überall so. In Halle an der Saale, wo er oft gewesen sei, sei bis zum Anschlag im Jahr 2019 durch den Rechtsextremen Stephan Balliet kein Polizeischutz vor Ort gewesen.

Zum örtlichen Sportverein unterhalten die beiden Männer enge Verbindungen. Ihre Söhne gehören dem Verein an. Der jüngste Neuköllner Vorfall wurde erst durch Shlomo Afanasev publik. Als es in Berlin zum Angriff auf die jungen Makkabi-Spieler kam, war sein Sohn anwesend. Der 13-Jährige verliess mit seinen Freunden die Sportanlage. Erst später erfuhr er, dass die Lage vollkommen aus dem Ruder gelaufen war. Der Rabbiner publizierte dies auf der Plattform X, noch bevor Berliner Medien darüber berichteten. Im Mannschafts-Chat wurden Details genannt. Sein Sohn, sagt Shlomo Afanasev, sei vollkommen verängstigt gewesen.

Pauschalisieren wolle er angesichts der möglichen Herkunft der Verdächtigten auf keinen Fall: «Ich bin in Usbekistan aufgewachsen. Ich habe während 20 Jahren keine Probleme mit Muslimen gehabt», sagt Afanasev. Und das gelte im Inneren auch für Makkabi Berlin. Ein offener Verein sei das. Dort spielen Juden, Christen, aber eben auch viele Muslime. Und genau das mache für ihn den Wert dieses Vereins aus: dass Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenkommen, um sich auszutauschen.

Den Klub sehen Afanasev und Lyubarsky nicht nur als ein Bindeglied zwischen religiösen und nichtreligiösen Juden, die im Verein zusammenfinden, sondern eben auch als eine Brücke zu Leuten nichtjüdischer Herkunft. Die Art und Weise, wie mit Makkabi umgegangen werde, ist für Afanasev ein Seismograf. Er sagt: «Vielleicht kennen Sie das Bild vom Kanarienvogel im Stollen (die Vögel wurden von Kumpeln als Sicherheitsmassnahme gegen zu hohe Konzentration von Kohlenmonoxid im Bergbau mitgeführt, Red.). Wenn es Juden schlecht geht, dann stimmt in einer Gesellschaft meist etwas nicht.»

Der Präsident fordert hartes Vorgehen

Alon Meyer könnte dem Rabbiner nicht deutlicher zustimmen. Es gehe tatsächlich nicht allein um Juden. Es gehe um die Art, frei zu leben. Was, so fragt Meyer rhetorisch, komme denn nach den Juden? Und er nennt ein Beispiel: Auch muslimische Sportler in den Reihen von Makkabi-Vereinen würden angefeindet, weil sie «jüdisch gelesen werden». Was nichts anderes heisst als: Es gibt gar keinen Unterschied. Aggressoren brauchen eben keine Gründe. Die schaffen sie sich selber.

Der 50-jährige Meyer ist seit 2013 der Präsident von Makkabi Deutschland, dem jüdischen Turn- und Sportverband, und steht mehr als 6600 Mitgliedern vor, Tendenz steigend. Der Frankfurter ist eine präsente Stimme im Diskurs, vor allem, seit es zum Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 gekommen ist. Er vertritt den Verband mit grossem Engagement.

Bekannt wurde Meyer vor allem durch ein Interview im «Aktuellen Sportstudio» des ZDF, nachdem der damalige Bayern-Profi Noussair Mazraoui via Instagram einen Post geteilt hatte, der den Palästinensern den «Sieg» wünschte – was gleichbedeutend mit der Auslöschung Israels ist. Der Makkabi-Präsident kritisierte die Bayern für ihre halbherzige Reaktion gegenüber dem Spieler, die im Wesentlichen aus einer Ermahnung bestand.

Meyer fordert ein robustes Vorgehen gegen solche Vorfälle und Äusserungen: Es könne nicht sein, dass ein Spieler wie der Mainzer Anwar El Ghazi vor dem Arbeitsgericht erfolgreich gegen die fristlose Kündigung durch den Klub klagen könne. El Ghazi wurde nach einem Social-Media-Post über den 7. Oktober 2023 von den Mainzern entlassen.

Meyer sagt: «Zur Not sollen Arbeitsverträge von Profis eben entsprechende Klauseln enthalten.» Eines sei klar: Der Sport finde nicht in einem Vakuum statt. Was dort geschehe, finde stets Resonanz. Was von prominenten Fussballern vorgelebt werde, werde aufgenommen und nachgeahmt. «Im schlimmsten Fall», sagt Meyer, «normalisieren sich die Dinge.» Und genau das sei im Begriff, zu geschehen.

«Die Täter müssen lernen.» So lautet das Credo Meyers: «Wir müssen versuchen, diese Menschen in erster Linie einmal zurück in unsere Gesellschaft zu holen, in die Mitte der Gesellschaft. Aber wenn das nicht klappt, dann haben sie in unserer demokratischen Werteordnung nichts zu suchen. Und dann müssen sie das Ganze dort ausleben, wo es vielleicht gewollt wird. Aber nicht hier.»

Dass die Täter lernen, mag auf den ersten Blick wie ein allzu frommer Wunsch erscheinen. Aber ganz so aussichtslos, wie die Dinge angesichts der Nachrichtenlage im ersten Augenblick aussehen, sei es nicht. Vor einigen Jahren initiierte Makkabi Deutschland die Initiative «Zusammen 1». Ein Projekt, an das sich Betroffene von Übergriffen wenden können, aber auch eines, das in Konflikten vermitteln will. Luis Engelhardt leitet es. Dem jüdischen Sportverband ist er seit vielen Jahren verbunden. Auch er hat die Erfahrung gemacht, dass es «vier, fünf Mal nötig war, dass wir uns in der Kabine einschliessen mussten», weil die Spieler angegangen worden seien.

Mitglieder zu betreuen, denen Aggressionen entgegenschlagen, die Diffamierungen und offenen Antisemitismus erleben: Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, sagt Roy Rozenek, der seit vielen Jahren als Funktionär und Trainer beim Fussballklub Makkabi Frankfurt tätig ist. Die Arbeit, die «Zusammen 1» leistet, könne nicht hoch genug eingeschätzt werden, sagt er.

Ein Trainer wurde nur für kurze Zeit gesperrt

Auch Rozenek beobachtet, dass sich das Klima seit dem 7. Oktober 2023 verändert hat. In einem grossen Verein wie Makkabi Frankfurt, in dem nicht nur Fussball gespielt wird, würden nun auch Vorfälle in anderen Sportarten gemeldet. Rozenek selbst wurde in diesem Jahr Opfer eines Übergriffs. Der gegnerische, deutschstämmige Trainer beleidigte erst Makkabis Torhüter als «scheiss Juden», dann bedrohte er Rozenek mit dem Tode. Ein Verbandsgericht sprach eine kurze Sperre aus. Einsicht, sagt Rozenek, der auf eine Strafanzeige verzichtete, habe er bei seinem Gegenüber allerdings nicht erkennen können.

Der Fussball, sagt Rozenek, sei auch ein Ventil. Viele Dinge würden viel ungehemmter geäussert. Aber manchmal sind selbst Menschen wie er, die schon viel im Fussball erlebt haben, überrascht. Jüngst ging er in seinem Makkabi-Pullover durch die Frankfurter Innenstadt. Man müsse sich gut überlegen, ob man das tue, sagt Rozenek. Dann wurde er angesprochen: «Ist das ein Makkabi-Pulli?», wollte ein Mann von ihm wissen. Ärger sei nicht auszuschliessen gewesen, sagt Rozenek. Nachdem er die Frage wahrheitsgemäss beantwortet hatte, sagte der Mann: «Gut! Makkabi ist ein guter Verein.»

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