Sonntag, September 29

Der Wikileaks-Gründer übernimmt die Verantwortung für die Publikation von geheimen amerikanischen Regierungsakten. Im Gegenzug legt das US-Justizministerium Julian Assange keine Steine mehr in den Weg und lässt ihn nach Australien zurückkehren.

Ein jahrelanges juristisches Tauziehen ist zu Ende. Der Wikileaks-Gründer Julian Assange hat sich in der Nacht auf Mittwoch (Schweizer Zeit) plangemäss vor einem US-Bundesgericht auf einer exotischen Pazifik-Insel für schuldig erklärt. Auf den Nördlichen Marianen gab der 52-Jährige zu, im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Tausenden geheimer amerikanischer Regierungsdokumente ab 2010 gegen ein Anti-Spionagegesetz verstossen zu haben. Die zuständige Richterin Ramona Manglona sagte nach Angaben der anwesenden Reporter, Assange könne «den Gerichtssaal als freier Mann verlassen». Assange wird in Kürze in Richtung Heimat abfliegen und voraussichtlich am Abend (Ortszeit) in der Hauptstadt Canberra landen.

Assange, der sich ein Dutzend Jahre lang nicht mehr frei hatte bewegen können, wirkte während dieses Schuldeingeständnis gelöst, hiess es aus dem Gerichtssaal. Während der Anhörung in Saipan, der Hauptstadt des amerikanischen Aussengebiets Northern Mariana Islands im Pazifischen Ozean, fand der gebürtige Australier gar Zeit für Scherze. Als Assange von Bundesrichterin Ramona Manglona gefragt wurde, ob er zufrieden mit dem Verfahren sei, da gab er zur Antwort: «Das hängt wohl vom Ausgang der Anhörung ab.»

Die Straftat begründete Assange mit seiner Arbeit als Journalist, obwohl er doch den Medienbetrieb immer wieder in harschen Worten kritisiert hatte. Er sei der Meinung gewesen, seine Arbeit sei vom Recht auf freie Meinungsäusserung geschützt, das im 1. Zusatz zur amerikanischen Verfassung festgeschrieben ist, sagte Assange. Nun sehe er aber ein, dass es ihm schwer gefallen wäre, einen entsprechenden Prozess zu gewinnen – auch weil er Geheimnisträger aktiv aufgefordert hatte, ihm klassifizierte Regierungsdokumente zu übergeben.

Die Bundesrichterin Manglona, seit 2011 im Amt, schien mit dieser Erklärung zufrieden zu sein. Sie segnete den Vergleich ab. Auch verzichtete Manglona auf die Verhängung einer zusätzlichen Gefängnisstrafe.

Per Privatjet von London nach Saipan

Den entsprechenden Vergleich, den Assanges Anwälte in zähen Verhandlungen mit dem amerikanischen Justizministerium ausgearbeitet hatten, unterschrieb der Angeschuldigte angeblich bereits am Montagnachmittag in London. Anschliessend bestieg er einen Privatjet, der ihn (ohne Zwischenfälle) um die halbe Welt beförderte, via Bangkok nach Saipan. Dort traf er am frühen Mittwochmorgen (Ortszeit) ein.

Im Zentrum des höchst ungewöhnlichen Deals stand die Bedingung von Assange, dass er keinesfalls freiwillig amerikanisches Festland betreten werde – weil er um sein Leben fürchtet. Deshalb willigte das Justizministerium ein, die Anklage gegen Assange vor einem Bundesgericht in einem Vorort von Washington fallenzulassen. Dieses Verfahren in Alexandria, Virginia, war im Jahr 2019 ursprünglich unter Präsident Trump gestartet worden. Stattdessen reichte das Justizministerium eine Anzeige gegen Assange in einem der westlichsten Gerichtsbezirke der USA ein, der sich praktischerweise auch nahe an seinem Heimatland Australien befindet.

Assange bedingte sich weiter aus, dass er nach seinem Schuldeingeständnis nicht zu einer weiteren Gefängnisstrafe verurteilt würde. Auch hier zeigte sich das Justizministerium flexibel, mit Verweis auf die lange Auslieferungshaft von Assange. Zuletzt war er mehr als fünf Jahre im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Süden Londons eingesperrt gewesen. In dieser Zeitspanne wehrte er sich mit sämtlichen rechtlichen Kniffen gegen eine Überstellung an die USA.

Ein Vertreter von Attorney General Merrick Garland sicherte im Vorfeld der Gerichtssitzung öffentlich zu, dass Assange nach seinem Schuldeingeständnis nicht daran gehindert werde, amerikanisches Staatsgebiet wieder zu verlassen. Sein Privatjet hielt nach dem Abflug aus Saipan Kurs auf die australische Hauptstadt Canberra.

Vorerst kein Kommentar der US-Regierung

Präsident Joe Biden, der sich auf dem präsidialen Landsitz Camp David auf die kommende Fernsehdebatte gegen Donald Trump vorbereitet, meldete sich vorerst nicht zu Wort. Auch Justizminister Garland wollte das überraschende Ende des langen Verfahrens gegen Assange nicht öffentlich kommentieren.

Anzunehmen ist aber, dass die Regierung Biden einen Schlussstrich unter die Affäre ziehen wollte, die der Regierung von Präsident Obama derart viel Kopfzerbrechen bereitete. 2010 hatte Assanges Internet-Plattform Wikileaks Tausende von geheimen Regierungsdokumenten veröffentlicht, die problematische Aspekte der amerikanischen Kriegsführung im Irak und in Afghanistan enthüllten. Assange stellte sich auf den Standpunkt, er habe mit diesem und ähnlichen Coups letztlich die Pressefreiheit hochgehalten.

Von den ursprünglich mehr als ein Dutzend Vorwürfen blieben nur noch ein Anklagepunkt übrig. Demnach gab der 52-Jährige zu, dass er sich von 2009 bis 2011 mit illegalen Mitteln geheime Regierungsakten beschafft hatte, die er dann veröffentlichte. Diese Dokumente waren ihm von der Whistleblowerin Chelsea Manning übergeben worden, die vor ihrer Geschlechtsumwandlung als Gefreiter Bradley Manning bekannt war.

Damit verstiess Assange gegen ein Gesetz, das ursprünglich im Ersten Weltkrieg zur Verhinderung von Spionagetätigkeiten verabschiedet worden war. Präsident Barack Obama hatte Manning kurz vor Ablauf seiner Amtszeit im Januar 2017 den Rest ihrer mehrjährigen Gefängnisstrafe erlassen.

Stella Assange, die Gattin des Angeschuldigten, zeigte sich in Interviews mit britischen Medien höchst erfreut über die Freilassung des Wikileaks-Gründers. Sie sei begeistert, sagte Stella, die mit Julian zwei Kinder hat. Sie deutete zudem an, dass Julian Assange in einem nächsten Schritt den amerikanischen Präsidenten um eine Begnadigung ersuchen werde.

In den USA löste das Ende des langen Tauziehens um Assange – wenig überraschend – höchst unterschiedliche Reaktionen aus. James Clapper, der ehemalige Geheimdienst-Koordinator von Ex-Präsident Obama, zeigte sich in einem Interview mit dem Nachrichtensender CNN zufrieden über die Tatsache, dass Assange sich vor einem amerikanischen Bundesgericht einer schweren Straftat für schuldig bekenne. Clapper sagte aber auch: «Er hat sein Soll erfüllt», mit Verweis auf die lange Zeit, in der sich Assange nicht hatte frei bewegen können.

Der staatskritische Abgeordnete Thomas Massie äusserte sich beim Kurznachrichtendienst X positiv über die Freilassung des gebürtigen Australiers. Der Republikaner sagte aber auch: «Es ist eine Farce, dass er bereits so viel Zeit im Gefängnis verbracht hat.» Massie bezeichnete es als Fehler, dass die Präsidenten Obama, Trump und Biden gerichtlich gegen den ehemaligen Hacker vorgegangen seien.

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